Braunschweig und VW: Als Günter Mast die Eintracht "rettete"
1985 verhinderte "Mr. Jägermeister" Günter Mast, dass VW zum Groß-Sponsor von Eintracht Braunschweig wurde. Was sonst möglich gewesen wäre, lässt der spätere Aufstieg des VfL Wolfsburg erahnen.
Es war alles vorbereitet - und VW-Vorstandschef Carl Hahn hatte sein Okay gegeben. Arbeitsdirektor Karl-Heinz Briam († August 2012) sollte sich zum Präsidenten der Eintracht wählen lassen. Braunschweigs Oberbürgermeister Gerhard Glogowski, der damals im Wirtschaftsbeirat des Clubs saß und 15 Jahre später selbst Präsident werden sollte, hatte den Deal eingefädelt. "VW wollte den Verein in besonderer Weise fördern", erinnert sich Glogowski im Gespräch mit dem NDR.
Den "Löwen" ging es Anfang der 1980er-Jahre nicht gut. 1980 war der Meister von 1967 das zweite Mal aus der Bundesliga abgestiegen. Und auch wenn der sofortige Wiederaufstieg gelang, war der Club pleite. Womöglich wären sogar die Lichter ausgegangen, wenn nicht die Stadt für rund 11 Millionen Euro das Stadion gekauft und die Eintracht damit entschuldet hätte.
Meister-Keeper Wolter: "Wäre große Chance gewesen"
Dass Volkswagen bereit war, den Braunschweigern nach dem erneuten Abstieg 1985 unter die Arme zu greifen, machte schnell die Runde. "Das wäre eine große Chance für die Eintracht gewesen", ist Horst Wolter, Torwart der Meisterelf von '67, überzeugt.
Wie auch immer diese "besondere Förderung" anfangs ausgesehen hätte: Schon bei einem wahrscheinlichen Trikotsponsoring sah Günter Mast († Februar 2011) offenbar rot. Der Unternehmer aus Wolfenbüttel hatte Eintracht Braunschweig in den 1970er-Jahren mit dem Kooperationsvertrag "Jägermeister Braunschweig" praktisch übernommen. Den Löwen auf dem Vereins-Emblem hatte er kurzerhand durch den Hirschkopf ersetzt, der das Wappentier seiner Firma Jägermeister war. So hatte er die geltenden Regeln des Deutschen Fußball-Bundes ausgetrickst und war der erste Trikotsponsor im deutschen Profifußball geworden.
1983 ließ sich Mast selbst zum "Notpräsidenten" wählen - und wollte ein paar Jahre später einen ihm genehmen Nachfolger installieren. Doch dann trat Briam auf den Plan - und der "Alleinherrscher" wetterte im Interview mit dem "kicker" Ende Oktober 1985: "Sie glauben doch nicht, dass ich nach meiner geleisteten Arbeit diesen sauber geführten Verein Dilettanten, die bei einem Aktenordner nicht einmal wissen, wo unten und oben ist, überlassen würde."
"Ich kann für die Eintracht nur etwas bewegen mit Leuten, die auf meinem Level liegen." Günter Mast im "kicker"
Nach eigener Aussage ging es ihm nicht darum, einen Einstieg von VW zu verhindern - "das wäre ein Glücksfall. Aber Briam ist kein Unternehmer, sondern ein gewerkschaftlich orientierter Privatmann, mit dem der Unternehmer Mast keine gemeinsame Basis finden kann."
Wahrscheinlich wusste er aber, dass es darum auch gar nicht ging. Ganz im Gegenteil: "Wir wollten die Eintracht von Mast befreien", erklärt Glogowski, der regelmäßig an Treffen mit Club-Sympathisanten aus der Wirtschaft teilnahm. "Die Eintracht war für ihn bloß ein Werbevehikel und sollte ein Synonym für Jägermeister sein. Das ist eine legitime Absicht. Aber für Fußball interessierte er sich gar nicht."
Mast wollte sogar den Verein umbenennen
An Günter Mast scheiden sich die Geister. "Das Logo mit dem Hirschkopf fand ich damals als Teenager noch ganz cool. Heutzutage ist das ja Kult", sagt Christoph Bratmann, seit dem 13. November 2020 Präsident der Eintracht und seit 40 Jahren selbst Fan. Die angestrebte, aber nie umgesetzte Umbenennung des Clubs in SV Jägermeister Braunschweig ging aber auch ihm zu weit. "Es ist unsere Eintracht. Mit der Umbenennung wäre die Identität unseres Vereins verloren gegangen."
Doch Masts Kalkül ging auf. Mit der Posse um den Hirschkopf und den Vereinsnamen waren er und sein Unternehmen ständig in den Medien. "Er war ein super Werbemensch. Das zeigt ja auch die Verpflichtung von Paul Breitner. Das war ein Werbe-Gag", erklärt Wolter. Der Weltmeister von 1974 wechselte drei Jahre nach dem Triumph für eine Saison von Real Madrid in die Braunschweiger "Fußball-Provinz" - wohlgemerkt als Angestellter von Jägermeister. Sportlich erfolgreich war das Intermezzo allerdings nicht.
Briam orientiert sich um: Wolfsburg statt Braunschweig
Die Kandidatur Briams war nach Masts öffentlichen Einlassungen dahin. Glogowski versuchte zwar bei einem persönlichen Besuch in Bochum noch, seinen SPD-Parteifreund vom Gegenteil zu überzeugen. "Doch das kam für einen Vorstand von VW nicht infrage", weiß Glogowski. Briam wollte sein Gesicht wahren.
Mast blieb noch bis 1986 Präsident. Und während sich der Niedergang der Eintracht fortsetzte, führte der Weg des einst kleinen Nachbarn VfL Wolfsburg steil bergauf. Denn Briam hatte seine Fußball-Ambitionen mitnichten aufgegeben. Statt bei der traditionsreichen Eintracht einzusteigen, nahm sich Briam und mit ihm Volkswagen Stück für Stück des Vereins für Leibesübungen an. "Das war ja damals eher ein Leichtathletik-Verein", berichtet Harald Tenzer, insgesamt acht Jahre lang Präsident des BTSV. "Wer bei der Eintracht nicht mehr gut genug für das erste Team war, hat beim VfL in der Dritten Liga gekickt."
Bratmann: "Entwicklung von da an völlig gegenläufig"
1992 stiegen die "Wölfe" erstmals in die Zweite Liga auf. Ausgerechnet in der Folgesaison, in der der VfL mit dem Klassenerhalt die Etablierung im Profifußball feierte, verabschiedeten sich die Braunschweiger in die Dritte Liga. "Von da an war die Entwicklung völlig gegenläufig", schildert Eintracht-Präsident Bratmann.
Für die "Löwen" begann eine neun Jahre andauernde Zeit in der Regionalliga Nord. Wolfsburg wurde 1997 Bundesliga-Standort - und ist es seitdem geblieben. 2001 wurde die Profifußball-Sparte aus dem Verein ausgegliedert und ein Teil des Volkswagen-Konzerns. Spätestens als Martin Winterkorn sechs Jahre später zum ersten Mal Vorstandsvorsitzender des Autobauers wurde, ging bei den Wolfsburger Fußballern nicht zuletzt dank millionenschwerer Investitionen die Post ab.
Wäre Wolfsburgs Entwicklung auf Braunschweig übertragbar?
Sicherlich lässt sich die Entwicklung nicht direkt übertragen. Aber: "Bei der Eintracht wäre alles anders gelaufen", ist Tenzer überzeugt. Glogowski erklärt: "Es ging nie darum, dass die Eintracht eine Abteilung bei VW werden könnte. Aber die Förderung hätte dem BTSV sicher gutgetan." Und auch '67-Meister Wolter betont: "Man hätte schon damals die Zeichen der Zeit erkennen müssen. Ohne Geld kommt man sportlich nicht voran. Ich hätte den Einstieg von VW gut gefunden. Dann wäre auch heute vieles einfacher."
Arnold: "Die Eintracht ist sehr von den Fans geprägt"
Das Thema Investoren ist nach wie vor aktuell - gegenüber anderen Profifußball-Standorten hat die Eintracht aber klare Nachteile. Marc Arnold, von 2008 bis 2018 Manager der Braunschweiger, verdeutlicht das Dilemma: "Regional gibt es keine großen Sponsoren, die die Rahmenbedingungen in Braunschweig deutlich verbessern könnten. Und die Eintracht ist nicht groß genug, um überregional große Sponsoren anzuziehen." Ohnehin sei solch ein Investoren-Einstieg bei einem Verein wie dem BTSV, "der sehr von seinen Fans geprägt ist", schwierig.
"Die Umbenennung des Vereins wurde damals nüchtern diskutiert. Heutzutage gäbe es zu Recht wilde Proteste." Eintracht-Präsident Christoph Bratmann
Womöglich glaubt so mancher Fan, Günter Mast habe den Club im Jahr 1985 gerettet. Bratmann hält dagegen: "Günter Mast war in erster Linie Geschäftsmann und kein Einträchtler. Ich glaube, das mit VW hätte damals was Gutes werden können", sagt der neue Präsident. Zumal der Automobilkonzern mit seinen Unternehmenszweigen mittlerweile seit vielen Jahren Sponsor der "Löwen" ist - wenn auch im vergleichsweise kleinen Umfang.
Selbstbewusster Blick nach Wolfsburg
Der Fan-Beauftragte der Braunschweiger, Erik Lieberknecht, ist überzeugt, dass "alle Fans sich freuen, dass die regionale Wirtschaft inklusive Volkswagen so zur Eintracht hält, denn jedem Fan ist heutzutage klar, dass es Geld von Sponsoren braucht, um konkurrenzfähig zu sein". Aber kann die neue Eintracht-Führung einen Kompromiss zwischen der Öffnung für Investoren und den Wünschen der Fans finden, die Tradition hochzuhalten? Bratmann ist optimistisch: "Auch mir gefällt vieles im modernen Profifußball nicht mehr. Aber von Tradition allein kann ein Verein nicht überleben - und ich bin mir sicher, dass Tradition und ein gutes Investment zusammenpassen. Es ist aber wichtig, dass wir eigenständig bleiben und immer die Entscheidungsgewalt behalten."
Den Abstieg 2018, den Bratmann als "schweren Rückschlag" bezeichnet, konnten die "Löwen" in diesem Sommer korrigieren. Die Eintracht ist wieder Zweitligist - aber Wolfsburg kämpft in der Bundesliga um die Europapokal-Ränge. Bratmann ist als Präsident und Fan hin- und hergerissen beim Blick auf den Rivalen. "Ich glaube, dass der BTSV und der VfL beide immer mal wieder neidisch auf den anderen Club gucken", betont der 51-Jährige. "Wolfsburg hat mitunter fast unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Da verdient ein mittelmäßiger Spieler so viel wie unser ganzes Team. Aber in Braunschweig leidet die ganze Stadt mit der Eintracht. In Sachen Identifikation und Leidenschaft ist das nicht miteinander zu vergleichen."