Rothenbaum: Kultstätte von 1911 bis 1963
"Wäre es ein altes Theater, stünde es schon längst unter Denkmalschutz", sagte der damalige DFB-Präsident Egidius Braun über das traditionsreiche Stadion am Rothenbaum. Aber es stand nicht unter Denkmalschutz - und war im Laufe der vergangenen Jahrzehnte von Wind und Wetter in eine Ruine verwandelt worden. Der Kampf um die alte Heimat des Hamburger SV direkt an der U-Bahn-Station Hallerstraße hatte viel zu spät begonnen: Erst im Herbst 1993 war die Aktion "Rettet den Rothenbaum" ins Rollen gekommen, an der sich Vereinsführung, Fans und Fußball-Verbände beteiligten. Der HSV aber hatte zu jener Zeit kaum Argumente, die Kultstätte am Leben zu halten: Finanziell und sportlich am Abgrund, dazu mit einem Gewaltproblem in der Anhängerschaft - so präsentierte sich der Club zu Beginn der 1990er Jahre. Und so wurde die Wiege des Bundesliga-Dinos schließlich 1997 abgerissen, um einem Medienzentrum aus Glas und Stahl zu weichen.
Platz für 30.000 Fans - Überdachung auf zwei Seiten
Heutzutage ist der Verein an der Rothenbaumchaussee ausradiert, nachdem auch die Geschäftsstelle in die neue Arena am Volkspark umgezogen ist. Erinnerungen an die Zeit von 1911 bis 1963, als zunächst der Vorgängerverein HFC und seit dem Zusammenschluss 1919 der HSV in Rotherbaum beheimatet war, werden nur noch im Club-Museum und historischen Texten am Leben gehalten. Für Traditionalisten ist das ein Trauerspiel. Denn das Stadion galt einmal als eines der schönsten im ganzen Land. Etwa 30.000 Zuschauer fanden dort Platz. Und ab 1937 bot es nicht nur 1.500 Zuschauern auf der Haupttribüne, sondern auch 9.500 Stehplatz-Fans auf der Gegengeraden eine Überdachung - zu diesem Zeitpunkt einmalig in Deutschland. Die Atmosphäre war eng und giftig, das Publikum nicht immer fair - und hat Uwe Seeler und Co. so zu Höchstleistungen angetrieben. Gerade zu Oberligazeiten von 1947 bis 1963 galt der Rothenbaum im Norden als wahre Fußball-Festung.
Umzug ins Volksparkstadion als Anfang vom Ende
Der langsame Abschied des HSV aus seinem Stamm-Stadtteil begann mit der Bundesliga-Gründung 1963. Damals genügte das kleine Stadion nicht den Anforderungen des DFB, und so zog der Verein ins ungeliebte Volksparkstadion um. Nur ein paar Mal kehrte die Profi-Mannschaft noch zurück, vor allem für Pokal- und Europapokalspiele. 1971 und 1972 wurden noch einmal fünf Bundesligapartien am Rothenbaum ausgetragen. Zuschauerrekord: 14.000 beim 2:1 über Borussia Dortmund am 29. Mai 1971. Außerdem nutzte Barmbek-Uhlenhorst in der Zweitliga-Saison 1974/75 die Kultstätte als Spielort. Der HSV absolvierte sein letztes Pflichtspiel am 19. August 1989 in der alten Heimat. Ein trauriger Tiefpunkt damaliger Fankultur: Das 2:4 im DFB-Pokal gegen den MSV Duisburg war begleitet von Hooligan-Krawallen, bei denen auch Kinder zu Schaden kamen. Danach durften nur noch Jugend, Amateure und Altliga an der Ecke Hallerstraße/Turmweg gegen den Ball treten.
Verein überlässt sein Stadion Hooligans, Wind und Wetter
Den größten Anteil am Verlust seiner Wurzeln trägt der Verein wohl selbst. Seit 1963 wurde der Pachtvertrag mit der Stadt stets nur um ein Jahr verlängert - mit sechsmonatiger Kündigungsfrist. Es hätte sicher Gelegenheit gegeben, einen besseren Deal zu machen. Präsidenten wie Peter Krohn und Wolfgang Klein träumten schon seit den 1970er Jahren von Sport- und Freizeitzentren auf dem für manch Fan "heiligen Ground". Außerdem überließ der Club sein Stadion nicht nur den Hooligans, sondern auch Wind und Wetter: 1980 zerstörte ein Orkan das Dach über der Stehplatz-Geraden, die fortan nur noch eingeschränkt genutzt werden durfte. Die Aufgänge am Turmweg waren in den 1990er Jahren ebenso überwuchert wie die Ostkurve, die in ihren letzten Tagen hinter hohen Gräsern und Büschen nicht mehr zu sehen war. Zudem sperrte das Bezirksamt Eimsbüttel 1992 die Holzbänke auf der Nordseite, an deren Stelle noch einmal eine provisorische Tribüne mit 300 Sitzplätzen errichtet wurde. Etwas mehr Liebe zur eigenen Heimat hätte das Rothenbaum-Stadion möglicherweise retten können.