Stand: 06.06.2015 23:12 Uhr

Tournee-Tagebuch

Tagebuch 14: Suntory Hall

Rund 4260 Kilometer hat das NDR Sinfonieorchester in Asien inzwischen zurückgelegt, gestern sauste es mit über 300 Kilometern pro Stunde im japanischen Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen von Osaka nach Tokio. Mount Fuji grüßte in der Ferne. Die meisten Musiker dösten, versuchten Kraft zu sammeln.

Abends mussten alle topfit sein, beim Konzert in der legendären Suntory Hall in der Millionen-Metropole Tokio. Herbert von Karajan nannte sie einst ein "akustisches Schmuckkästchen".

Farbe bekennen in Karajans "akustischem Schmuckkästchen"

Besucher stehen in einer Schlange vor der Suntory Hall in Tokio an
In aller Ruhe und Gelassenheit warten die Besucher vor Suntory Hall auf den Einlass.

Der Konzertsaal ist so etwas wie die Carnegie Hall von Asien. Hier spielt nur, wer Rang und Namen hat, hier stellte sich das Orchester dem internationalen Vergleich. Zum zweiten Mal war es unter Chefdirigent Thomas Hengelbrock zu Gast in der Suntory Hall. Das Publikum in Tokio ist sehr kritisch und kennt sich aus. Das war allen bewusst.

Am Nachmittag blieb eine Stunde für die intensive Probe.

"Ich bin nach wie vor unglaublich begeistert von diesem Saal", sagte Thomas Hengelbrock anschließend, "das ist so toll, allein schon, wie man auf der Bühne zusammen sitzt, wie dicht. Das Aufeinander-Hören in diesen Räumlichkeiten funktioniert wirklich fantastisch!“

Ein besonderer Geist

Das Haus durchweht ein ganz besonderer Geist. Auf dieser Bühne standen schon Karajan, Bernstein, all die Großen.

Hengelbrock blendete das erst mal aus. "Man ist ganz konzentriert auf das Hier und Heute und nicht auf das, was in dieser Halle schon alles an großartigen Dingen stattgefunden hat. Dem kann man sich vielleicht nach dem Konzert hingeben."

Tafel am Herbert-von-Karajan-Platz in Tokio
Der Herbert-von-Karajan-Platz vor der Suntory Hall in Tokio: Hier versammeln sich die Besucher bereits vor dem Konzert.

Die Atmosphäre spürten aber alle. Backstage hängt eine große Wand mit Autogrammen aus jüngerer Zeit - von Abbado über Jansons bis Rattle, auch sie waren hier, auch sie sind durch den wenig glamourösen Künstlereingang gekommen, der in der Parkgarage liegt. Vor der Halle auf dem Herbert-von-Karajan-Platz warteten schon vor der Anspielprobe die ersten Besucher. Geiger und Orchestervorstand Boris Bachmann saugte das vor dem Konzert noch mal in sich auf: "Wenn man hier schon den Vorplatz betritt mit dem Wasserfall und den ganzen Menschen, die sich andächtig auf das Konzert konzentrieren - das ist so eine spezielle Atmosphäre, irgendwie läuft einem tatsächlich die Gänsehaut über die Schulter. Das ist unglaublich."

Energieleistung

Mit diesen Eindrücken gingen die Musiker auf die Bühne - von Anfang an absolut präsent und voller Energie. Das Publikum im fast ausverkauften Saal war ungeheuer konzentriert bei der Sache.

Konzertszene: Stehende Ovationen für das Thomas Hengelbrock in der Suntory Hall in Tokio
Das gibt es nur selten: Selbst als das Orchester schon abgetreten ist, ruft das Publikum Thomas Hengelbrock mit Bravos und Applaus noch einmal auf die Bühne.

Die Mahler-Sinfonie - eine Glanzleistung. In Korea kreischte das Publikum, in China jubelte es - in Tokio wirkte die Reaktion im Vergleich fast verhalten. Doch nur im ersten Moment. Der Beifall mit zum Teil hoch erhobenen Händen wollte schlicht nicht enden. Das Publikum klatschte auch noch, als das gesamte Orchester die Bühne schon verlassen hatte, bis Thomas Hengelbrock noch einmal allein auf die Bühne kam.

Enthusiasmus auf Japanisch

"Das passiert nicht oft", weiß der japanische Musikkritiker Atsuya Funaki. "Man muss davon ausgehen, dass das japanische Publikum generell nicht so temperamentvoll ist. Aber genau deswegen ist es manchmal sehr interessant zu beobachten, dass so ein sonst verhaltenes Publikum auch zu so einem Enthusiasmus geraten kann. Und eben das ist heute passiert!"

Geiger Boris Bachmann strahlte nach dem Konzert: "Das ist wie ein WM-Endspiel, so haben wir uns gefühlt, wir sind da reingegangen heute, und jeder hat über seine Grenzen hinaus gespielt. Es war vom ersten bis zum letzten Ton ein emotionales Crescendo - wir sind alle gerade high. Das ist das, wofür man Musiker geworden ist!"

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