Günter Wand: "Ochsentour" und Alterskarriere
"Ganz gewiss gehöre ich nicht zu den 'Pultstars', die sich ständig selber zelebrieren müssen. Und wenn ich von der Kritik als deren Gegentyp bezeichnet werde, so bin ich damit einverstanden", sagte Günter Wand einmal zu seinem Biografen Wolfgang Seifert. Und doch wurde aus ihm gegen Ende seines langen Lebens, gleichsam "aus Versehen", ein international gefeierter Stardirigent. Eine bewundernswerte Konstitution hatte es ihm ermöglicht, mit 70 noch einmal zu einer erstaunlichen Alterskarriere durchzustarten und zusammen mit dem NDR Sinfonieorchester zu einer seltenen Reife und Abgeklärtheit der musikalischen Interpretation vorzudringen.
Mustergültige Konzerte
Bis zu seinem Tod im Jahre 2002 schwebte der in der Schweiz lebende Ehrendirigent des NDR Sinfonieorchesters regelmäßig zu Konzerten in Norddeutschland ein. Viele der dabei entstandenen Konzertmitschnitte gelten in ihrer Werktreue bis heute als mustergültig, ging es Wand nach eigenem Bekunden doch vor allem darum, zu vermitteln, was hinter den Noten stehe: "die Idee eines Werkes, seinen musikalischen Charakter, den Geist der Musik".
Er wisse zwar seit seinen frühen Berufsjahren als Operettenkapellmeister, wie man "dem Affen Zucker geben" und Effekte erzeugen könne, um sich vor dem Publikum in Szene zu setzen. Aber von dem Moment an, als er die Musik der Klassik und Romantik gründlich kennengelernt und sich in den schweren Nachkriegsjahren das große Repertoire erarbeitet hatte, seit dieser Zeit habe er sich der Musik nicht mehr anders als "mit großer Ehrfurcht" nähern können.
Keine "normale" Dirigentenbiografie
Der 1912 im heute zu Wuppertal gehörenden Ortsteil Elberfeld geborene Dirigent hatte da schon die sogenannte "Ochsentour" als Operetten- und Opernkapellmeister an kleineren deutschen Theatern gemacht, die er jungen Kollegen zur Nachahmung empfahl. Nach dem Krieg ging Günter Wand an die Kölner Oper, wo er 1946 zum Generalmusikdirektor und dann auch zum Chef des Gürzenich-Orchesters berufen wurde.
Die Kölner Musikkultur prägte er bis 1974, ein Berufsleben, das für eine "normale" Dirigentenbiografie völlig ausgereicht hätte. Doch die erwähnte Alterskarriere stand ihm da erst noch bevor! Zuletzt rissen sich die berühmtesten Orchester der Welt um den alten Mann, der den Weg auf die Bühne nach einem schweren Sturz nur noch mit Mühe bewältigte.
Für das Hamburger Musikleben und die Hörer des NDR brachte die "Ära Wand" nicht nur eine völlig unwahrscheinliche Bruckner-Begeisterung mit sich, sie wirkt aus heutiger Sicht auch wie das späte Abendrot einer versunkenen Interpretationskultur.