A-1-Vorzeigeprojekt vor der Pleite
Als im Jahr 2008 die Bagger anrollten, um die Autobahn A 1, die Hansalinie zwischen Hamburg und Bremen, von vier auf sechs Spuren zu erweitern, da war von einem Vorzeigeprojekt die Rede. Denn dieser Ausbau lief anders ab, als bisher üblich. Ein Betreiberkonsortium um die Firmen Bilfinger Berger, Johann Bunte und John Laing gingen mit dem Bund eine sogenannte öffentlich-private Partnerschaft ein, kurz: ÖPP. Dabei übernahm das Konsortium mit seiner Gesellschaft A1 mobil sowohl den Ausbau als auch den Betrieb der Autobahn für 30 Jahre. Dafür bekommt die Gesellschaft über den gesamten Zeitraum einen Teil der Lkw-Maut, der auf der Strecke erhoben wird. Auf diese Weise wollten die Baufirmen Gewinne erwirtschaften. Die Unternehmen rechneten dabei mit einer stetig zunehmenden Lkw-Nutzung auf dieser Strecke. "Alle Verkehrsprognosen gingen kontinuierlich von einem Verkehrswachstum aus," meint A1-mobil-Geschäftsführer Ralf Schmitz rückblickend."
Weniger Mauteinnahmen als gedacht
Der Ausbau gelang dann auch in Rekordzeit. Im Oktober 2012 war die Autobahn fertig. Dafür hatten die Firmen rund 500 Millionen Euro investiert. Doch bereits 2012 zeichnet sich ab, dass die Lkw-Maut bei Weitem nicht in der Höhe floss, wie A1 mobil es erwartet hatte. Denn im Zuge der Weltwirtschaftskrise war der Lkw-Verkehr auf der Strecke dramatisch eingebrochen. "Der Transport auf unserer Autobahn brach zusammen, so dass die Mauteinnahmen um 50 Prozent zurückgegangen sind. Diesen Einnahmeverlust konnten wir nicht kompensieren und auch nicht auffangen", sagt Ralf Schmitz.
Die Banken machten Druck. 2013 meldeten sich die Verantwortlichen erstmals beim zuständigen Bundesverkehrsministerium, um über die angespannte Finanzlage zu sprechen. Man forderte Unterstützung, sah den Bund in der Pflicht. Es folgten weitere Gespräche, ohne dass sich für die Gesellschaft etwas grundlegend änderte. Die Situation für A1 mobil wurde immer schwieriger.
"Existenzbedrohenden Situation in der Gesellschaft"
Mittlerweile ist von einer "existenzbedrohenden Situation in der Gesellschaft" die Rede. Das schrieb A1-mobil-Chef Schmitz Anfang Juli an das Verkehrsministerium in Berlin. Vor einer Woche hat Schmitz nun beim Landgericht Hannover Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Es geht um eine Anpassung des Konzessionsvertrags und auf Mehrvergütung. A1 mobil verlangt rund 778 Millionen Euro.
Der Klage vorausgegangen war eine Schlichtung unter der Leitung von zwei Oberlandesgerichts- und einem Landgerichtspräsidenten aus Niedersachsen. Die Richter kamen im Februar 2017 zu dem Ergebnis, dass A1 mobil "erhöhte Vergütungszahlungen aus dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage" zustünden. So steht es in der aktuellen Klage. Der Bund lehnt dieses Urteil ab. Nur durch ein Stillhalteabkommen mit den Banken kann der Betrieb momentan noch aufrecht erhalten werden.
Sollte es zur Insolvenz kommen, werde das Problem nicht kleiner, meint Schmitz: "Der Insolvenzverwalter würde unsere berechtigten Ansprüche gegen den Bund durchsetzen und die Klage fortführen. Sollte in diesem Fall der Bund versuchen, den Vertrag zwischen uns und dem Bund zu kündigen, so würden wir auf Schadensersatz klagen." Schmitz vermutet einen Betrag in Milliardenhöhe.
Gutachten sieht finanzielles Desaster vorher
Diese ganze Entwicklung ist für den ÖPP-Experten Holger Mühlenkamp von der Universität Speyer nicht verwunderlich: "Der Bundesrechnungshof hat, wenn man so will, diesen Fall im Rahmen seiner Untersuchungen fast vorhergesehen."
Tatsächlich erstellte der Bundesrechnungshof im Jahr 2009 ein Gutachten für die ersten vier Autobahn-ÖPP-Projekte, zu dem auch die A 1 gehört. Darin heißt es: "Die Auswertungen des Bundesrechnungshofes zeigen, dass die Bieter mit den vom Bundesministerium prognostizierten Mauteinnahmen im Durchschnitt lediglich 69 % ihrer in den Angeboten dargelegten Kosten decken könnten. Falls sich die vom Bundesministerium prognostizierten Mauteinnahmen verwirklichen, werden die Bieter in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten (Insolvenz) geraten."
Im Jahr 2009 wurde dann auch das erste Autobahn-ÖPP-Projekt der "neuen Generation" bekanntgeben. Ab dann erhalten die Betreiber dieser Projekte einen bestimmten Betrag, abhängig von der Verfügbarkeit der Strecke. Offenbar hatte man im Bundesverkehrsministerium schon intern erste Schlüsse aus dem drohenden Desaster bei der A 1 gezogen. Nach außen verkaufte man das ÖPP-Projekt jedoch weiterhin als Erfolg. Aus dem Bundesverkehrsministerium heißt es dazu: "Der Bund bleibt dabei: ÖPP-Projekte sind ein gutes und sinnvolles Instrument im Bundesfernstraßenbau." Ein Instrument, das im Fall A 1 wohl ein finanzielles Desaster zur Folge hat.