Zu schnell für Schulkinder? Felde kämpft um Tempo 30
In Felde kämpfen Schüler, Eltern und die Gemeinde für eine zwei Kilometer lange Strecke der Dorfstraße, auf der nur Tempo 30 gefahren werden darf. Bisher erfolglos, denn der Kreis sieht keine Grundlage.
Morgens kurz nach 7 Uhr in Felde. Wie immer an Schultagen steht Jonna am Straßenrand und versucht, die Dorfstraße in Felde (Kreis Rendsburg-Eckernförde) zu überqueren. Denn sie soll auf dem Weg zur Schule die sogenannte Kinderseite, den breiteren und besser ausgebauten Gehweg, benutzen. "Das dauert manchmal", sagt die Drittklässlerin. Obwohl es heute geschneit hat, fahren die Autos zügig und wie an einer Perlenkette an dem Mädchen vorbei. Nach etwa zwei Minuten endlich eine Lücke: "Es ist schon ein bisschen gefährlich. Kleinere, die das zum ersten Mal machen, denken, hier kann ich nicht mehr lang laufen." Ihr Schulweg führt immer entlang an der Dorfstraße, die auch Landstraße ist. Andere Möglichkeiten zur Querung, um auf die sicherere Seite zu kommen, gibt es kaum, prangert auch Melina Kitzel an. Sie ist Mutter und Mitglied der Bürgerinitiative, die 30 Kilometer pro Stunde als Basisgeschwindigkeit in Felde fordert.
Tagsüber mehr als 90 Kilometer pro Stunde
Viele Autofahrer würden sich schon an die aktuelle Geschwindigkeitsbegrenzung nicht halten, sagt Kitzel. Im Ort gab es zwei mobile Geschwindigkeitsanzeigen, momentan sind sie allerdings in Reparatur. Was viele nicht wissen: Die zeigen nicht nur an, die speichern auch die Daten. Nachts wurden Geschwindigkeiten von über 120 Kilometer pro Stunde gemessen. "Am Mittag und Nachmittag haben wir hier Geschwindigkeiten von 100, 97, 95 und 88 Kilometer pro Stunde. Das kann natürlich nur erfolgen, wenn die Straße frei ist", sagt Melina Kitzel. Das sei aber nicht nur gefährlich für die Kinder, sondern sorgt auch für einen erhöhten Lärmpegel. Das ist ein weiterer Grund für die Forderung nach einer etwa zwei Kilometer langen streckenbezogenen Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 auf der Landstraße 48 (L48) quer durch Felde.
Auch Traktoren und Lkw fahren zu schnell
Noch lauter wird es, wenn Fahrer von Traktoren und Lkw aufs Gaspedal treten. Auch die fahren deutlich schneller als 50 Kilometer pro Stunde, sagen Mitglieder der Bürgerinitiative - und Kinder. "Die sind halt viel, viel größer als ein normales Auto. Da geht man dann lieber mal ein Stück zur Seite, weil man schon merkt, dass die von hinten angebrettert kommen", sagt Mia. Sie spüre dann auch den Luftzug. Leeve ist mit seinem Fahrrad unterwegs, auch er spürt oft den Luftzug der großen Fahrzeuge. Andere Kinder sprechen sogar von einem Sog, der sie zur Straße hinzieht. "Teilweise fahren die auch auf dem Bürgersteig", berichtet ein Drittklässler. Gerade in der Erntezeit kommt das offenbar vor. Wenn sich dann auf der Dorfstraße zwei entgegenkommende Traktoren begegnen, weichen sie offenbar auf die Gehwege aus. Auch Jonna, die inzwischen ihren halben Schulweg gelaufen ist, fühlt sich unwohl, wenn Landmaschinen sie überholen. Heute sieht sie nur einen Traktor - und der fährt auf der anderen Straßenseite. Dafür läuft sie bei Bussen und Kleintransportern instinktiv eine kleine Schlagenlinie weg vom Fahrbahnrand.
Alternativer Gehweg als Möglichkeit
Die Bürgerinitiative für den verkehrsberuhigten Bereich hat Kathrin Stehling gegründet. Sie sei mit ihren Kindern schon seit Jahren an der Dorfstraße unterwegs, sagt sie. Im Frühjahr habe sie in kurzer Zeit drei Beinahe-Unfälle miterlebt. Durch Gespräche mit Nachbarn erfuhr sie, dass es bereits Versuche gab, das Tempo auf der Durchfahrtstraße drosseln zu lassen - bisher erfolglos. "Und ich dachte: Vielleicht ist es jetzt mal wieder an der Zeit, nicht mehr nur zu schnacken, sondern auch Taten walten zu lassen", sagt Kathrin Stehling. Tempo 30 ist in ihren Augen das günstigste Mittel, Sicherheit herzustellen. "Und wir würden uns natürlich auch freuen, wenn die seit Jahren bestehende Planung eines alternativen Gehwegs abseits der Dorfstraße wieder aufgenommen werden würde."
Schüler sammeln Unterschriften für Tempo 30
Auf 300 Meter der Landstraße - direkt an Schule und Kita im Südwesten des Ortes - ist die Geschwindigkeit bereits beschränkt. Es sollten 170 Meter mehr sein, zumindest zwischen 7 Uhr und 19 Uhr - die Viertklässler der Grundschule haben eigenmächtig angefangen, Unterschriften für eine Verlängerung zu sammeln. Mehr als 300 Unterstützer seien zusammengekommen, heißt es auf der Gemeinde-Homepage. Dort wurde bereits Anfang August bekannt gegeben, die neuen Schilder seien auf dem Weg. Vor wenigen Tagen fragte Bürgermeister Olaf Greve (Grüne) beim Kreis nach. Offenbar war das Schilder-Projekt versandet. Nun würden die Schilder bestellt, so der Bürgermeister. Er ist, wie der gesamte Felder Gemeinderat, von einer Tempo-30-Lösung auf der gesamten Dorfstraße überzeugt. Ende September wurde ein entsprechender Antrag beim Kreis Rendsburg-Eckernförde gestellt.
Ortsschau in den Ferien
Im Oktober gab es dann eine Ortsschau. An einem Nachmittag in den Herbstferien. Es wurde ein 350 Meter langes Stück am südlichen Ende Feldes begutachtet - vom Bahnhof Richtung Schule. Mit dabei waren - neben Bürgermeister Greve und Kreisvertretern - auch Beamte der Polizeidirektion Neumünster und Mitarbeiter des Landesbetriebs Straßenbau und Verkehr (LBV). Mitte November kam der Ablehnungsbescheid vom Kreis in Felde an. Zur Begründung sagte Jörn Klatt von der Verkehrsbebehörde des Kreises Rendsburg-Eckernförde NDR Schleswig-Holstein: "Es gibt keine besondere Gefahrensituation, die eine Geschwindigkeitsbeschränkung unterhalb von 50 Kilometer pro Stunde nach der derzeit geltenden Straßenverkehrsordnung rechtfertigen würde". Die Straße sei gut ausgebaut und gut einsehbar.
Bürgermeister: Perspektive der Kinder sollte einbezogen werden
Greve ist ist mit dem Verfahren nicht ganz einverstanden: "Es war klar, dass es eben um eine rechtliche Bewertung geht und nicht um die konkrete Gefährdungslage, so wie sie auch wahrgenommen wird. Wenn ich mich jetzt versuche, in ein Kind hineinzuversetzen, dann sind da eben viele schnelle Autos. Wie soll ich dazwischen durchkommen?" Das sei etwas anderes, als wenn man sagt, "70 Meter in die Richtung und 70 Meter in die Richtung kann man gucken. Also ist rechtlich alles in Ordnung. Die Perspektive ist das Wichtige", so Greve und die sei nicht berücksichtigt worden. Dazu sagt Jörn Klatt (CDU) vom Kreis, dass so eine Betrachtungsweise nach der aktuellen Straßenverkehrsordnung nicht möglich sei. "Ich brauche für Geschwindigkeitsbeschränkungen immer konkrete Anhaltspunkte, entweder eine besondere Gefahrenlage oder aber eine Unfallhäufigkeit. Da hat uns die Polizei mitgeteilt, dass da keine Unfälle vorliegen oder ein anderer Tatbestand, an denen ich das Ganze festmachen kann", sagt Klatt.
Unterschiedliche Auffassung zu Rasern
Außerdem habe der Kreis in diesem Jahr an drei Tagen in Felde geblitzt, auch vormittags im 30-er-Bereich vor Kita und Schule seien nur zehn Prozent der Fahrzeuge zu schnell unterwegs gewesen. Kitzel sagt hingegen, dass die Auswertung ihrer Geschwindigkeitsanzeiger ergeben hätten, dass nur 20 Prozent die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätten, 80 Prozent also zu schnell unterwegs gewesen seien. "Man wundert sich, wenn hier ein Auto die Höchstgeschwindigkeit einhält", sagte Melina Kitzel. Eine Einschätzung, die auch Kathrin Stehling teilt.
Felde gibt nicht auf
Eins steht bereits jetzt fest. Mit dem Ablehnungsbescheid ist der verkehrsberuhigte Bereich in der Dorfstraße in Felde noch nicht vom Tisch. Die Bürgerinitiative kündigt an, Widerspruch einlegen zu wollen. Und die Gemeinde will etwas machen, dass Jonna und die anderen Kinder auf dem Weg zur Felder Grundschule nicht machen können: Sie will einen alternativen Weg gehen. "Wir haben ja auch in der Gemeinde beschlossen, der Initiative "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeit" beizutreten und gehen also auf verschiedenen Ebenen dieses Thema an", sagt der Bürgermeister. Damit der Weg für die Kinder des Dorfes sicherer wird.