Zeitreise: Die Bombennacht von Elmshorn
Fast 80 Jahre ist es her, dass Elmshorn (Kreis Pinneberg) unmittelbar nach den verheerenden Luftangriffen 1943 in Hamburg ebenfalls zum Teil zerstört wurde. Ein Zeitzeuge blickt zurück.
In der Nacht des 2. auf den 3. August warfen Bomber der Royal Air Force ihre Bomben auf Elmshorn. Sie waren mit hoher Wahrscheinlichkeit für die "Operation Gomorrha" in Hamburg bestimmt. Aber weil die Ziele in der Gewitternacht dort schlecht auszumachen sind, visieren die englischen Maschinen Elmshorn an. Die Stadt ist Industriestandort, hat unter anderem eine Werft. Und vor allem ist sie ein Eisenbahn-Knotenpunkt - und wird deshalb offizielles Ausweichziel.
Zeitzeuge überlebt die Bombennacht im Kartoffelkeller
Nicht weit entfernt vom Bahnhof wohnt damals Hinrich Köhncke: Er ist heute 86 Jahre alt. Als die Bomben auf Elmshorn fallen, ist er gerade sechs und muss die Nacht in der Enge des dunklen, nassen Kartoffelkellers verbringen: "Ja, ich habe diese Erinnerung an den Keller, diese furchtbaren Sirenengeräusche, die mich bis heute verfolgen. Da waren die Lebensmittel drin, die Mülltonne und die Kartoffelkiste, die ich nicht ausstehen konnte, weil im August waren da nicht nur gute Kartoffeln drin." Draußen öffnen die Bomber die Schächte. Zweieinhalb Stunden dauert es, bis die etwa 70 Maschinen ihre zerstörende Last abgeworfen haben.
250 komplett zerstörte Gebäude in Elmshorn
Der Bombenangriff ist der schlimmste Einschnitt in die Geschichte der Stadt, sagt Jens Gatzenmeier. Er arbeitet ehrenamtlich im Stadtarchiv, hat die Dokumente zur Bombennacht zusammen mit seinen Kollegen gesichtet: "Wir sprechen von circa 250 zerstörten, total zerstörten Gebäuden. Desweiteren waren 220 Gebäude ziemlich zerstört und als wieder aufbaufähig wurden circa 1.250 Häuser angesehen." Jede zehnte Elmshornerin und jeder zehnte Elmshorner ist nach dem Angriff obdachlos. Die Bomber haben es auf Fabriken, Infrastruktur sowie besonders auf Arbeiterwohnungen abgesehen, um die Produktion zu bremsen und die Bevölkerung mürbe zu machen.
Viele Häuser "einfach nicht mehr da"
"Der Angriff erfolgte in etwa dem Verlauf der Krückau", sagt Gatzenmeier, also von Ost nach West. Die Zerstörung geschah dabei in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Massiv getroffen wurde die Gegend um den Bahnhof herum. Da gebe es auch heute noch Stellen, die nie wieder aufgebaut wurden. Beispiel: der "Holsteinische Hof" - eines der einstigen Wahrzeichen von Elmshorn und erstes Hotel am Platz damals. Nach der Bombardierung wurde das Gebäude abgerissen und nie weder aufgebaut.
Hinrich Köhncke erinnert sich an die Zerstörungen: Er war verwundert darüber, wie viele Häuser auf einmal nicht mehr da standen. "Da lagen die Trümmer, also die Steine noch auf der Straße. Man kam überhaupt nicht durch zu Fuß." Und für viele Menschen waren die Folgen katastrophal: "Das war ganz klar eine so große Tragödie, dass man die nicht fassen konnte in dem Moment. Das ging ja über die Menschenleben, die verloren gingen, hinaus, indem auch manche Leute weiterlebten mit einem Bein und einem Arm und manche Leute lebten als Blinde weiter."
Perfides Vorgehen der Bomber - analog zu den Deutschen Luftangriffen
Die Bomber der Alliierten gehen nach einem ganz bestimmten Muster vor, um maximalen Schaden zu verursachen - ähnlich wie bei den Deutschen Luftangriffen auf Coventry oder London: Erst kommen die Luftminen und Sprengbomben zum Einsatz, dann folgen Phosphor- und Brandbomben. Die Brandbomben, die mit Phospor gefüllt sind, brennen sofort bei Kontakt mit Luft. Sie sind mit Wasser nicht zu löschen.
Luftminen-Volltreffer legt Siedlung im Westen in Schutt und Asche
Im westlichen Elmshorn macht ein Luftminen-Volltreffer drei komplette Straßenzüge dem Erdboden gleich. Dort standen früher teils einzelne freistehende Häuser - nach dem Krieg wurden diese Flächen vor allem durch größere Mehrfamilienhäuser bebaut. Denn nach dem Krieg ist das Prinzip, schnell viel Wohnraum zu schaffen.
"Die Stadt Elmshorn war gezwungen, ihr Wohnkonzept und auch ihr Industriekonzept zu überdenken. Davon betroffen war auch die Straßenverkehrsplanung", sagt Gatzenmeier. Wenn man das Positive finden wolle, hatte die Stadt in den Nachkriegsjahren die Chance, den Straßenverkehr sowie die Wohnquartiere neu zu ordnen und auch Wohnen und Gewerbe deutlicher als bisher voneinander zu trennen.
Der Angriff von 1943 prägt noch bis heute das Bild von Elmshorn
Im Gesicht der Stadt sind die Spuren der Bombennacht vom 3. August 1943 bis heute zu erkennen. 61 Menschen sterben damals - über 1.000 Menschen erleiden teils schwere Verletzungen und Verstümmelungen. Elmshorn gehört neben Kiel, Lübeck, Flensburg, Helgoland (Kreis Pinneberg), Rendsburg, Neumünster und Bad Oldesloe (Kreis Stormarn) zu den Orten in Schleswig-Holstein, die am schwersten aus der Luft getroffen worden sind.