Von Kiel nach Hollywood: Filmstar Rainer Bock wird 70
Die Chancen, Rainer Bock auf dem Bildschirm zu sehen, stehen gut. Gerade ist sein Film "Die Ermittlung" angelaufen. Jetzt wird er 70: Der Kieler, der es bis nach Hollywood geschafft hat.
Zwar lebt er schon lange in München, aber eine gewisse Anziehung hat die alte Heimat noch immer. Heimspiele von Holstein Kiel - nur ein Grund für regelmäßige Besuche in seiner Geburtststadt. Dabeisein ist Ehrensache für Rainer Bock, auch wenn die Schauspielschule seiner früheren Lehrerin Hanne Moll Jubiläum feiert. Auf einem alten Dampfer an der Förde - typisch Kiel.
Unter den Gästen etliche alte Bekannte, die Bock seit mehr als 40 Jahren kennt, aber auch Menschen, die ihn fragend anschauen, überlegen, ob und wo sie diesen Mann wohl schon einmal gesehen haben. Nichts Besonderes für Rainer Bock, auch in der Stadt, in der er schon bekannt war wie ein bunter Hund, noch bevor er zum ersten Mal auf einer Theaterbühne stand.
Café Lucy: Der Szenetreff als Sprungbrett
Aus Berlin bringt Bock 1979 eine Geschäftsidee mit und eröffnet mit seinem Freund Karl-Heinrich "Effi" Effinghausen kurzerhand ein Café, in dem man frühstücken konnte. Dazu ein bisschen Kneipe, ab und an Live-Auftritte: "Sowas gab es in Kiel noch nicht wirklich", erinnert sich Bock.
Das Café Lucy mausert sich schnell zum Szenetreff, in dem die jungen Kreativen ein und ausgehen. Unter seinen Stammgästen: Schauspielerinnen und Schauspieler vom Kieler Stadttheater. "Die fanden das immer sehr lustig, wie Effi und ich teilweise hinter dem Tresen so agierten. Und meinten dann natürlich auch ein bisschen scherzhaft, wollt ihr das nicht mal beruflich machen?"
"Es gibt Persönlichkeiten, die kommen zur Tür rein und man weiß, das wird was." Hanne Moll, Schauspiel-Lehrerin
Albern fand er das damals. Dass er jedoch genau das will, geht Rainer Bock erst mit 27 auf. Als sein Kompagnon Effi Kiel verlässt, hat er keine Lust mehr, das Café weiterzuführen, und geht zur Schauspielschule. "Ein Wilder", so beschreibt Schauspiellehrerin Hanne Moll den Mann, der damals seine Ausbildung bei ihr begann. Und einer, bei dem sie nie Zweifel hatte, dass aus ihm etwas werden würde: "Es gibt Persönlichkeiten, die kommen zur Tür rein und man weiß, das wird was."
Mit Theater die Welt verändern
Was ihn motiviert, ist schon damals mehr als Applaus. "Natürlich wollte ich die Welt verändern", sagt er. Schon als Schüler habe er Literatur geliebt, das Theater als Möglichkeit gesehen, etwas gegen die Ungerechtigkeit in der Welt zu tun. Sie zu bekämpfen, abzuschwächen, das Bewusstsein der Menschen dafür zu schärfen.
Genau das versucht er als Anfänger mit viel Idealismus, zunächst am Kieler Stadttheater und später am Schleswig-Holsteinischen Landestheater, teilt die Bühne unter anderem mit Axel Prahl. Ihn und einige andere Kolleginnen und Kollegen trifft Bock bis heute regelmäßig, und immer, so schildern es beide, laufen diese Treffen nach demselben Muster ab: "Fünf Minuten, was machst du so? Aber dann sind wir hier. Und erzählen uns zum hundertsten Mal die gleichen Anekdoten und liegen mit der Stirn auf dem Tisch und lachen uns wieder kaputt."
"Wir haben wirklich damals den Laden so ein bisschen gerockt." Rainer Bock
Aufbruchstimmung habe im Ensemble damals geherrscht, unter der Leitung des Schauspieldirektors Günter Tabor, der viel zugelassen habe. Mit Goethes "Faust", Brechts "Kaukasischen Kreidekreis" oder dem Kultmusical "Linie 1" sind sie im ganzen Land unterwegs - mit Erfolg: "Es klingt so überheblich, aber wir haben wirklich damals den Laden so ein bisschen gerockt."
Mitte der 80er lebt Rainer Bock in einer Schauspieler-WG in Rendsburg - entgegen der Gerüchte übrigens nicht mit Axel Prahl. Doch die "tolle Zeit" endet nach drei Jahren. Rainer Bock zieht weiter, nach Heidelberg, Mannheim, Stuttgart und schließlich nach München, erobert die großen Bühnen. Sein Durchbruch beim Film lässt länger auf sich warten.
Die Eintrittskarte nach Hollywood: "Das weiße Band"
2009 ist es so weit. Seine Rolle als Arzt in Michael Hanekes Drama "Das weiße Band" macht ihn auch international bekannt. Der Film wird für zwei Oscars nominiert, gewinnt die Goldene Palme und den Golden Globe. Für Bock die Eintrittskarte nach Hollywood. Plötzlich steht er im Cast von Quentin Tarantino und Steven Spielberg, taucht als deutscher Ingenieur Werner Ziegler im "Breaking Bad"-Prequel "Better Call Saul" auf, und auch in Deutschland stehen ihm nun als Charakterdarsteller alle Türen offen. Für seine erste Hauptrolle als Möbelpacker Walter Scholl in "Atlas" wird er 2019 mit dem "Deutschen Filmpreis" ausgezeichnet. Die Presse: Voll des Lobes über den Mann mit dem markanten Gesicht.
Dass die Menschen immer noch rätseln, woher sie ihn kennen... Sollte es Rainer Bock stören, so lässt er es sich nicht anmerken. Immerhin wird er so seltener mit seinen Rollen gleichgesetzt als sein alter Freund Axel Prahl. "Bei mir fragen sie: Mensch, ich kenne ihr Gesicht. Bei ihm sagen sie: Olle Thiel, wie geht dir das?" Die Identifizierung, so scherzt er, laufe über die "Massenware Tatort" natürlich ganz anders.
Zum 70. Geburtstag ein "Herzensprojekt"
Knapp eine Woche vor seinem 70. Geburtstag: Kinostart seines Films "Die Ermittlung". Wieder ein Anlass, um nach Kiel zu kommen. Die Verfilmung des Theaterstücks von Peter Weiss will er persönlich vorstellen, dort, wo alles angefangen hat. Als Schauspielschüler hat er den Text hier gelesen. Damals, so gesteht er es seinem Publikum im Studio Filmtheater, habe ihn das Stück über den ersten Frankfurter Auschwitzprozess überfordert.
Jetzt hat er den Richter gespielt. Seine Heimatstadt beschert ihm schon mal einen vollen Kinosaal, so wie es sonst im Sommer nur bei Blockbustern der Fall ist. Und nach vier in jeder Hinsicht aufwühlenden Filmstunden noch ein angeregtes Filmgespräch über sein großes "Herzensprojekt". Mehr geht eigentlich nicht. Oder doch? Bei Rainer Bock weiß man nie.