Tiefengeothermie: So können wir von Erdwärme profitieren
Wie kann Schleswig-Holstein - besonders jetzt in Zeiten der Energiekrise - Erdwärme nutzen? Darüber haben Experten des Bundesverbandes Geothermie in Neumünster diskutiert - denn das Land hat Potenzial.
Nicht nur der Klimaschutz bewegt viele in der Frage, wie Energiegewinnung neu gedacht werden kann: Auch wegen steigender Öl- und Gaspreise suchen Fachleute besonders jetzt nach kostengünstigen Alternativen. Eine Lösung kann die so genannte Geothermie sein - im Speziellen die Tiefengeothermie, bei der mit besonderer Technik Erdwärme in mehreren Hundert Metern Tiefe als Energiequelle angezapft wird. Geothermie gilt unter Experten als eine zuverlässige und ausgereifte Technologie, mit der die Wärmeversorgung für ganze Städte realisiert werden kann - und das klimafreundlich. Darüber hinaus bringt diese nachhaltige Energiequelle einen weiteren interessanten Vorteil mit: Die Erdwärme ist immer vorhanden, unabhängig von Wind oder Sonne.
Geothermie: Ein natürlicher Durchlauferhitzer
Unter der Erde - in Tiefen von 400 Metern und mehr - fließt häufig heißes Wasser durch Gesteinsschichten, erhitzt von den natürlichen Prozessen im Erdkern. Etwa 5.000 Meter unter der Erdoberfläche hat Wasser eine Temperatur von ungefähr 130 Grad, wissen Fachleute. Doch schon in etwa 1.200 Metern Tiefe kommt das Wasser nur noch auf halb so hohe Temperaturen. Einmal angezapft, ist die Wärmeenergie dann in der Theorie leicht zu haben. Denn - sehr vereinfacht ausgedrückt - kann das Erdinnere wie ein Durchlauferhitzer genutzt werden: Sehr heißes Wasser wird an die Erdoberfläche befördert, dort in Wärme oder Strom umgewandelt und dann wieder zurückgeleitet - für den nächsten Erwärmungszyklus. Davon könnten sowohl die Industrie als auch private Haushalte profitieren - beispielsweise mithilfe einer Wärmepumpe im Keller.
Untersuchungen sind teuer - viele Daten für SH liegen aber schon vor
Bodenuntersuchungen, um die Gesteinsschichten mit heißem Wasser zu finden, sind allerdings extrem teuer. Aber: In Schleswig-Holstein liegen viele Daten aus vergangenen Zeiten bereits vor. Seit der 30er-Jahren wurde landesweit nach Öl und Gas gesucht, mithilfe von Bohrungen und seismologischen Profilen. "Die Informationslage ist teilweise exzellent", sagt Reinhard Kirsch vom Bundesverband Geothermie - fügt aber noch an: "Teilweise hatten wir aber auch gar nichts. Das waren dann Strukturen, die für die Erdölindustrie uninteressant waren." Diese Bereiche seien dann aber durch neue seismische Untersuchungen und Bohrungen abgedeckt worden, sagt der Geologe Kirsch.
Die Bohrergebnisse und seismologischen Ergebnisse seien vom Geologischen Landesdienst gesammelt und systematisch ausgewertet worden. Die Zahlen sind in das geothermische Informationssystem geflossen, ein digitales 3-D-Modell des Untergrunds. Dieses diene laut Kirsch einer Erstbewertung. Mit der heute besseren Technik würden neue Untersuchungen durchgeführt werden, bevor es zu Bohrungen käme.
Expertin Moeck: "Man muss als Kommune nur willig sein"
Inga Moeck ist Professorin für Angewandte Geothermik und Geohydraulik an der Uni Göttingen. Auch sie sagt: Verlässliche Daten sind da - jetzt brauche es den nächsten Schritt. "Wir warten jetzt nur noch auf die Stadtwerke, die sich diese Daten angucken und sagen: Wo deckt sich der Wärmebedarf mit dem Angebot aus dem Untergrund?", sagt die Fachfrau. Sie kennt die große Hürde bei der Geothermie: Am Anfang koste es ziemlich viel Geld - doch danach sei das alles sehr wartungsarm. "Dann hat man es eigentlich geschafft", meint Moeck und verweist auf die Unterstützung durch den Staat. "Da muss man als Kommune nur willig sein, dann kriegt man eine Förderung vom Bundeswirtschaftsministerium."
Laut Moeck müssen sich Kommunen grundsätzlich erstmal fragen, wie viel Wärme sie überhaupt brauchen, wie sich dieser Wärmebedarf verteilt und wo gute Anschlusspunkte an dieses Wärmenetz sein könnten. Der Erkundungsprozess und die erste Bohrung dauere etwa zweieinhalb Jahre. "Mit der ersten Bohrung kann man schon warmes Wasser fördern, dann ist eine zweite Bohrung nötig, um den Thermalkreislauf zu testen", sagt Moeck - und dann wisse man genau, mit was für einer Wärmeleistung man rechnen kann. "Genauso hat Schwerin das gemacht."
Vorzeigeprojekt Schwerin: Nicht so tief, dafür mit Wärmepumpe
Schwerin gilt als Vorzeigeprojekt und Pionier. Im zweiten Quartal dieses Jahres geht dort eine Tiefengeothermie-Anlage in Betrieb, an der René Tilsen von den dortigen Stadtwerken mitgearbeitet hat. "Gekostet hat es bisher 20,5 Millionen Euro - und wir gehen auch davon aus, dass wir das Budget einhalten werden können." Es rechne sich auf jeden Fall, meint er. "Wir sehen das jetzt an den Großhandelsmärkten, wie teuer die fossile Energie geworden ist." Man müsse natürlich Vorkehrungen treffen, damit die Arbeiten sicher laufen und Gefahren ausgeschlossen seien. "Wir haben technologisch alles Mögliche zur Absicherung der Bohrung vorgesehen und wir gehen davon aus, dass es keine Zwischenfälle geben wird", sagt Tilsen.
Das Thermalwasser im Norden ist aber eigentlich zu kalt: Bei Bohrungen unter der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns, die bis 1.300 Meter unter die Erde gehen, können die Stadtwerke dort Wasser mit 56 Grad Celsius fördern. Für Fernwärme-Heizungen wird aber mindestens 80 Grad heißes Wasser benötigt. Die Stadtwerke haben für dieses Problem eine wegweisende Lösung gefunden: Sie setzen Wärmepumpen ein.
Europaweit einzigartig
Zunächst kommt dort das 56 Grad heiße Thermalwasser in einen Wärmetauscher: Dadurch wird anderes Wasser, das dann später durch die Heizungen fließt, auf 56 Grad erwärmt. In einem zweiten Schritt entziehen Wärmepumpen dem geförderten Thermalwasser Wärme - mit der gewonnenen Energie wird dann das Fernwärme-Wasser weiter erhitzt - auf 82 Grad. "Man muss nicht bis auf 5.000 Meter", sagt Tilsen und lacht, "die Technik macht heute vieles möglich." Dieses Zusammenspiel von Wärmepumpen und Tiefengeothermie in Schwerin ist einmalig: Europaweit sind sie die ersten, die das in dieser Größenordnung machen. Auch in Schleswig-Holstein könnte dieses Modell Schule machen.
Eine erneuerbare Energiequelle, die sich wohl rechnet
Aus Sicht der Stadtwerke kann sich diese erneuerbare Energiequelle gut rechnen: Der Preis für Energie wird dauerhaft hoch bleiben, darin stimmen Fachleute aus Wirtschaft und Technik überein. Und es gibt einen weiteren spannenden Aspekt, den die Energieversorger bislang offenbar noch nicht im Blick hatten: Die Methode ist erprobt. 1984 ging in Waren an der Müritz ein Geothermie-Kraftwerk in Betrieb, als erstes in Deutschland. Wann Schleswig-Holstein mit Tiefengeothermie arbeiten wird, steht aber noch nicht fest. Das Interesse bei den Stadtwerken im Land ist aber groß.