Staatsschutz ermittelt: Morddrohungen gegen Kommunalpolitiker in SH

Stand: 28.02.2024 13:31 Uhr

Am Montagabend hat die Versammlung der Stadtverordneten in Ahrensburg im Kreis Stormarn unter Polizeischutz stattgefunden. Kommunalpolitiker in verschiedenen Teilen Schleswig-Holsteins erhalten Morddrohungen.

von Ole ter Wey

Stephan Lamprecht arbeitet als freiberuflicher Tech-Autor. Er engagiert sich ehrenamtlich in der Kirche und ist Stadtverordneter in Ahrensburg im Kreis Stormarn. Erst für die SPD, jetzt für die Grünen. Und Stephan Lamprecht wird angefeindet. Seit rund vier Monaten erhält er anonyme Drohbriefe, erzählt der 56-Jährige. Er lebt seit gut 40 Jahren offen queer.

Grünen-Politiker erhält Drohbrief mit Strick

Stephan Lamprecht. © Stephan Lamprecht Foto: Stephan Lamprecht
Stephan Lamprecht engagiert sich ehrenamtlich in Kirche und Kommunalpolitik – und wird seit rund vier Monaten angefeindet.

"Der anonyme Absender scheint sich daran zu stören, dass ein queerer Mensch Mitglied in einem kirchlichen Gremium ist und auch noch in der Politik mitmischt", sagt er mit ruhiger Stimme. Dann berichtet Stephan Lamprecht von ungeheuerlichen Beleidigungen. Er sei eine "Erkrankung am Volkskörper", heißt es da unter anderem. Und im neuesten Drohbrief "war dann auch ein Strick beigepackt mit der Aufforderung, dass ich mich am nächsten Baum aufhänge". Das würde dem Absender Arbeit ersparen, schreibt der anonyme Verfasser laut Stephan Lamprecht weiter. Eine Morddrohung. Die Polizei bestätigte am Dienstag, dass die Stadtverordnetenversammlung am Tag zuvor in Ahrensburg unter Polizeischutz stattgefunden hat.

Unterstützung aus allen Fraktionen

Natürlich mache das etwas mit ihm, erzählt Stephan Lamprecht. Mit ihm als Mensch - und mit ihm als Politiker. "Bei einer der letzten Stadtverordnetenversammlungen hätte ich gerne etwas gesagt." Aber im Endeffekt blieb er still, da seine Meinung zu einem bestimmten Thema von der Mehrheit abgewichen wäre. Und genau dieses Thema und seine Haltung waren ihm zufolge schon Inhalt in einem Drohbrief. "Deshalb habe ich mir tatsächlich den Redebeitrag in diesem Moment verkniffen. Das habe ich einfach emotional nicht geschafft. Also schlicht und ergreifend, man kann’s auf den Punkt bringen: Einfach aus Angst." Die geschlossene Unterstützung aller Fraktionen habe ihn allerdings bestärkt, gerade jetzt in dieser Situation nicht aufzuhören.

Straftaten gegen Kommunalpolitiker in ganz Schleswig-Holstein

Nach Informationen von NDR Schleswig-Holstein sind die Drohungen und Beleidigungen gegen Stephan Lamprecht ein besonders dramatischer Fall von vielen weiteren im Land. In den vergangenen Monaten sind Kommunalpolitiker und -politikerinnen im ganzen Land zum Ziel von Straftaten geworden. Im Kreis Pinneberg beispielsweise ist das Wohnhaus der Grünen-Politikerin Andrea Dreffein-Hahn mit Eiern beworfen worden. Das bestätigte sie NDR Schleswig-Holstein. Die Autotüren eines anderen Politikers im Kreis wurden nach Angaben des Kreisverbandes der Grünen in Pinneberg eingetreten, es habe auch hier Morddrohungen und Anzeigen gegeben. Auch in Lübeck, Flensburg und Husum hat der NDR von Straftaten erfahren. Offizielle Zahlen kann das Landeskriminalamt derzeit nicht nennen. Es geht aber von einem Anstieg der Zahlen aus.

CDU-Politiker: Erschrocken und sauer wegen Schmierereien

Eine beschmierte Wohnungstür. © Stephan Schmidt Foto: Stephan Schmidt
Die Haustür von CDU-Politiker Stephan Schmidt wurde am vergangenen Wochenende von Unbekannten beschmiert.

Erst am vergangenen Wochenende haben Unbekannte die Haustür von CDU-Politiker Stephan Schmidt aus Pinneberg seinen Angaben zufolge mit Farbe beschmiert. Das habe ihn zunächst verunsichert, berichtet Schmidt, denn seine Haustür liege direkt angrenzend ans Schlafzimmer. Die Täter oder Täterinnen seien also sehr nah an ihm und seiner Familie dran gewesen. Und auch mit wenigen Tagen Abstand zeigt er sich "ziemlich erschrocken und auch ziemlich sauer, dass Leute so etwas als Artikulationsweg finden, um ihre Missgunst auszudrücken, statt mit mir persönlich ins Gespräch zu kommen."

Anzeige erstattet - Staatsschutz ermittelt

Sowohl CDU-Politiker Stephan Schmidt aus Pinneberg als auch Grünen-Politiker Stephan Lamprecht aus Ahrensburg haben Anzeige erstattet. Und in beiden Fällen ermittelt jetzt die Polizei - bei Stephan Lamprecht sogar der Staatsschutz. Denn "nach derzeitigem Sachstand [besteht] der Anfangsverdacht eines politisch motivierten Hintergrunds der Tat", heißt es in einem schriftlichen Statement der Polizei zum Fall von Stephan Lamprecht. Der hofft auf ein schnelles Ende der Drohungen – und ist bereit, bis dahin für seine Überzeugungen und eine freie Demokratie zu kämpfen.

Porträtbild von Monika Dehmel, Gründerin der Gruppe "Politik zum Anfassen". © startsocial Foto: Gordon Welters
AUDIO: Wie können Kommunalpolitiker vor Drohungen geschützt werden? (9 Min)

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 27.02.2024 | 18:00 Uhr

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