So hilft Künstliche Intelligenz der Polizei in SH bei Missbrauchsfällen
Bilder und Texte zu sehen, in denen Kinder missbraucht werden - das ist eine der belastendsten Ermittlungsaufgaben der Polizei. Um Straftaten künftig schneller aufzuklären, testen die Beamten derzeit eine Künstliche Intelligenz.
Es ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Um den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen aufzudecken, müssen die Ermittler riesige Datenmengen mit Bildern und Videos von Kindesmissbrauch ansehen.
"Das Belastendste ist, dass man die Fälle nicht alle schnell genug abarbeiten kann", sagt Lukas Reddemann. Der 33-Jährige hat knapp acht Jahre gegen Darstellung von Missbrauch an Kindern in Itzehoe ermittelt. Die Ermittlungsarbeit habe ihn oft vor Herausforderungen gestellt, sagt Reddemann. In den Ermittlungen stehen die Beamten unter einem hohem Druck, da nicht klar ist, ob das Kind noch in Gefahr ist.
Seit einem halben Jahr arbeitet er bei der Ansprechstelle für Kinderpornografie im Landeskriminalamt in Schleswig-Holstein mit einer Software, die die Ermittlungen revolutionieren könnte: "Franka" - das steht für "Frage und Auswertungssystem zur KI-basierten Textanalyse" - soll die Ermittler bei der Bewältigung des riesigen Datenmaterials unterstützen. Die Software scannt die beschlagnahmten Festplatten, USB-Sticks oder Rechner. Gesucht wird nach Sätzen, die auf Kindesmissbrauch hindeuten könnten oder Pläne dazu entlarven. Der Ermittler stellt Fragen wie "Geht es hier um sexualisierte Inhalte gegen Kinder? Wie alt sind die Personen?" - die Software antwortet. So werden gezielt einzelne Chats ausgewertet, in denen die KI entsprechende Schlagworte gefunden hat.
Projektleiter will gegen Missbrauch kämpfen
Dr. Kai Brehmer, Projektleiter für Künstliche Intelligenz, hat die Software programmiert. Brehmer arbeitet seit April 2022 beim LKA und will seine Forschungsansätze gezielt nutzen, um zur Aufklärung beizutragen. "Es ist das grausamste Verbrechen, was man unserem Nachwuchs antun kann", sagt der 32-Jährige. Dagegen will er kämpfen. "Ich möchte dazu beitragen, dass man dafür die neuesten Methoden nutzt." Das Projekt wird von der Staatskanzlei gefördert. Um Fachkräfte zu rekrutieren, arbeitet das LKA mit Universitäten zusammen.
Die Fallzahlen steigen
Die Zahl der Straftaten bei Abbildungen von Kindesmissbrauch im Land ist laut Kriminalitätsstatistik in den letzten Jahren gestiegen - allein die Zahl der ermittelten Täter hat sich demnach innerhalb von fünf Jahren verdoppelt. Während es 2019 noch 508 polizeilich ermittelte Täter gab, waren es 2022 etwa 1.088 Täter in Schleswig-Holstein. Das ist laut Reddemann zum einen auf die stetig zunehmende Zahl von Verdachtsmeldungen der US-Nichtregierungsorganisation "National Center for Missing and Exploited Children" (NCMEC/auf Deutsch: Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder) zurückzuführen. Diese meldet Hinweise zu Abbildungen von Kinder- und Jugendmissbrauch an die Strafverfolgungsbehörden. Im Jahr 2023 gingen so 1.888 Fälle ein.
Auch minderjährige Täter
Zum anderen wird das Material auf Kommunikationsplattformen verbreitet. Dort geraten besonders Kinder und Jugendliche ins Visier. "Besonders tragisch ist, dass immer mehr Kinder und Jugendliche in den Fokus der polizeilichen Ermittlungen geraten, weil sie solches Material in den sozialen Netzwerken und Messengerdiensten unbedacht teilen. Also besonders hervorzuheben sind da sogenannte Whatsapp-Sticker, die einfach und ohne großen Aufwand geteilt werden können", sagt Lukas Reddemann.
Unwissende im Fokus der Ermittlungen
Zudem machen sich auch immer öfter Unwissende strafbar. "Auch andere Personen können in den Fokus von Ermittlungen geraten, zum Beispiel die Eltern der Kinder, die Anschlussinhaber für Internetanschlüsse sind oder für Telefonanschlüsse, die die Kinder nutzen. Aber zum Beispiel auch Lehrer an Schulen, die mit den Themen dann in Berührung kommen", sagt Reddemann. Dabei spiele auch die Absicht, den Sachverhalt aufzuklären, keine Rolle. "Wenn Lehrer dann sagt, schick mir das Material zu, dann gerät auch ein Lehrer in den Verdacht polizeilicher Ermittlungen", so der Ermittler.
So wird das Datenmaterial, das die Ermittler durchsuchen, immer größer. Angesichts der steigenden Zahlen kommen die Beamten kaum hinterher, Bilder und Texte zu sichten. Viele Beamte kommen an ihre Grenzen. "Wir sprechen von einer sekundären Traumatisierung", sagt Christoph Andresen vom Landespsychologischen Dienst. Seit zwei Jahren betreut Andresen mit sechs Psychologen Polizeibeamte im Land. Oft sei es ein schleichender Prozess. "Die Person erlebt das Trauma mit, durch Fotografie oder Transkription", sagt Andresen. Dazu kommt die hohe Arbeitsbelastung der Beamten. Aus seiner Sicht ist die Entwicklung der KI ein gutes Signal.
KI ersetzt keinen Ermittler
Dass mit der KI künftig auch Ermittler ersetzt werden, daran glaubt Brehmer nicht. Er hält die KI dennoch für unverzichtbar. Denn für die Beamten alleine sei die Datenflut nicht mehr zu bewältigen. Dennoch müsse die Entscheidungsgewalt zu jedem einzelnen Verdachtsfall bei den Beamten liegen, so Brehmer.
Bis Ende dieses Jahres wird das Projekt vom Land gefördert. Dann, so hofft Kai Brehmer, könnte sich die Software langfristig etablieren, um sexuellen Missbrauch gegen Kinder aufzudecken.