Sexuelle Gewalt an Kindern: Influencerin klärt auf und macht Mut

Stand: 12.11.2023 06:00 Uhr

Als Kind wurde Lena Jensen jahrelang sexuell missbraucht. Von Menschen, die ihr und ihrer Familie nahe standen. Heute nutzt sie ihre Reichweite als Influencerin, um aufzuklären und anderen Betroffenen Mut zu machen.

von Corinna Below

Vor zwei Jahren hat sie entschieden, ihr Schweigen zu brechen. Lena Jensen ist Influencerin und nutzt ihre Reichweite, um über sexuelle Gewalt an Kindern aufzuklären. Sie weiß, wovon sie spricht, denn sie ist als Kind missbraucht worden.

Heute in Lübeck zu sein, fällt ihr nicht leicht, denn hier ist sie vier Jahre lang sexuell missbraucht worden. Hier und an anderen Orten in Schleswig-Holstein. Genauer darf sie nicht werden, denn aus Mangel an Beweisen wurden die Täterinnen und Täter nie verurteilt. "Ich riskiere eine Klage wegen Verleumdung und eine Haftstrafe bis zu fünf Jahren, wenn ich Namen und Orte nennen würde", erzählt die heute 30 Jahre alte Lena Jensen. Dabei würde sie so gerne endlich alles erzählen.

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Lena Jensen wird selbst bald Mutter

Zwei Frauen sitzen auf einer Bank und lächeln in die Kamera. © NDR Foto: Corinna Below
Lena Jensen und ihre Mutter Bettina freuen sich gemeinsam auf Lenas erstes Kind, das in wenigen Wochen zur Welt kommen wird.

Am Kanal in Lübeck trifft sie sich heute mit ihrer Mutter, sie umarmen sich fest, gehen dann ein bisschen spazieren, aber schon bei der ersten Bank machen sie eine Pause. Im Dezember bekommt Lena Jensen ihr erstes Kind. Ihre Mutter, Bettina Jensen, streicht über ihren Bauch. "Ich freue mich so sehr, mich als Oma auszuprobieren. Vielleicht werde ich das besser machen." Sie lacht, aber die Erinnerung daran, viele Jahre nicht gewusst zu haben, was ihrer Tochter angetan wird, lastet bis heute auf ihr.

Missbrauch durch vertraute Personen

Die Leute, die sie missbraucht hätten, seien enge Vertraute der Familie gewesen, erzählt Lena Jensen, die gebürtig aus dem Kreis Stormarn kommt. Sie hätte damals nichts vom sexuellen Missbrauch erzählt, "weil sie mich manipuliert haben". Sie hätten ihr vermittelt, es sei ein Geheimnis. Heute weiß sie, dass Täterinnen und Täter ganz bestimmte Strategien verfolgen, um unentdeckt zu bleiben. "Sie sedieren ihre Opfer, damit sie sich nicht erinnern oder man denkt, es war nur ein Traum." Das sei ihr auch passiert. Vor allem hätten sie ihr eingeredet, sie würden sie lieben und Lenas Mutter sei böse.

Im Kindergarten offenbart sich Lena Jensen

Bettina Jensen erinnert sich, dass Lena dann mit drei Jahren auffällig wurde. "Sie war aggressiv, schlug auf mich ein, kratzte an den Wänden rum und nässte wieder ein." Im Kindergarten verkroch sich Lena, sprach nicht mehr. Die Kindergärtnerin äußerte einen Verdacht. Die Mutter brachte Lena zu Ärtzen, zu Therapeutinnen. Niemand erkannte den wahren Grund. Bis Lena sich endlich ihrer Mutter offenbarte. Die setzte daraufhin alles in Bewegung. Ermittlungen wurden aufgenommen. Lena und weitere betroffene Kinder wurden medizinisch untersucht und sagten aus, nannten alle die gleichen Namen. Doch die Polizei hatte eine Hausdurchsuchung angekündigt, sodass die Täterinnen und Täter Zeit hatten, Beweise verschwinden zu lassen. Das Verfahren wurde eingestellt, wegen Mangels an Beweisen.

Eine stationäre Trauma-Therapie half ihr

Die Familie kam über den Weißen Ring in ein Opferschutzprogramm, bekam einen neuen Namen und zog um. Über Jahre hinweg war die Familie im Ausnahmezustand. "Und ich musste doch dafür sorgen, dass Lena das überlebt", erinnert sich Bettina Jensen. Lena glaubte trotzdem, sie sei eine zu große Belastung für die Familie und versuchte, sich das Leben zu nehmen. Da war sie sieben Jahre alt. Daraufhin kam sie in Lübeck in die Kinderpsychiatrie und macht eine stationäre EMDR-Trauma-Therapie (Eye Movement Desensitization and Reprocessing). Lena Jensen selbst empfindet es als Vorteil, sich an alles erinnern zu können. Das habe ihr geholfen, das Trauma zu verarbeiten. Heute fühlt sie sich stabil.

"Ich habe einen Maulkorb bekommen"

Noch heute hat Lena Jensen die medizinischen Gutachten, zahlreiche Briefe ihrer Anwältin. Mehrfach versuchte ihre Familie, die Täterinnen und Täter vor Gericht zu bringen, immer ohne Erfolg. "Ich frage mich manchmal, wie man sexuellen Missbrauch an Kindern beweisen soll?" Schließlich fände der gerade bei Kindern ja immer hinter verschlossenen Türen statt. Da sei es doch klar, dass es keine Zeugen gibt. "Es kann doch nicht sein, dass es nur von Filmaufnahmen abhängt oder von DNA-Spuren." Dass sie die Täterinnen und Täter nicht benennen darf, ärgert sie bis heute. Lange fühlte sie sich deswegen ohnmächtig.

Vor zwei Jahren hat sie entschieden, ihr Schweigen zu brechen

Eine schwangere Frau blickt auf ihr Handy. © NDR Foto: Corinna Below
130.000 Personen folgen Lena Jensen auf ihrem Instagram-Kanal.

Lena Jensen ist Influencerin. Reichweite: 130.000 Followerinnen und Follower. Begonnen hat sie mit lustigen Videos. "Im Grunde Comedy", sagt sie. Kleine Sketche. Albern und harmlos. Nachdem sie zum ersten Mal ihren Freundinnen von dem Missbrauch erzählt hatte und feststellen musste, "dass die Hälfte ähnliche Erfahrungen gemacht hat, wusste ich, ich bin nicht allein mit dem, was ich erlebt habe". Vor zwei Jahren ging sie dann mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. "Ich wollte meine Wut in positive Energie umwandeln."

Aufklärung hilft Betroffenen

Seitdem erzählt sie in kurzen Videos immer wieder ihre Geschichte. Und sie klärt auf. Darüber, welche Strategien die Täterinnen und Täter anwenden, dass es normal ist, dass die eigenen Eltern oft nicht erkennen können, was los ist. Sie klärt auf, was ein Kinderporno-Ring ist oder dass die Gewalt oft nur innere Verletzungen verursache und nicht leicht zu erkennen ist. Einige Follower verlor sie durch ihren neuen Inhalt - denen sei das Thema zu hart, sagt sie. Viele gewann Lena Jensen aber auch dazu. Für die will sie Vorbild sein. "Ich will allen Betroffenen Mut machen, ihr Schweigen zu brechen und sich nicht mehr dafür zu schämen, sondern stolz darauf zu sein, dass sie überlebt haben."

Kindern eine Stimme geben

Auch die Prävention sei ihr sehr wichtig, sagt sie. Die Gesellschaft müsse aufmerksamer werden und Kinder stärken, damit sie gar nicht erst Opfern werden. Sie denkt kurz nach und dann platzt es aus ihr heraus: "Kinder haben ja keine Stimme in unserer Gesellschaft. Kinder setzen sich nicht vor eine Kamera. Kinder können sich nicht für irgendwas nominieren, sie können nicht ins Netz oder so. Die haben ja niemanden, der für sie redet. Das müssen wir machen!"

Mut für die Mutterschaft

In wenigen Wochen bekommt sie selbst ein Kind und es geht ihr sehr gut damit. "Ich weiß, dass ich viel Liebe zu geben habe und eine gute Mutter sein kann." Davon ist auch ihre Mutter, Bettina Jensen, überzeugt. Sie schaut sie an, überlegt und dann sagt sie: "Für mich ist Lena einfach nur toll und bewundernswert, dass ein Mensch so viel Resilienz in sich trägt, so viel Kraft, obwohl sie mal dieses kleine, verängstigte Kind war." Heute sei sie voller Selbstbewusstsein und böte der Welt die Stirn, "da platzt man vor Stolz!" Lena sitzt ganz dicht neben ihrer Mutter auf der Bank am Kanal und strahlt. Eins steht für sie fest: Sie will ihre Bekanntheit weiter nutzen, um gegen sexuelle Gewalt an Kindern zu kämpfen.

Sie haben den Verdacht, einem Kind wird sexuelle Gewalt angetan? Sie sind selbst Opfer von sexualisierter Gewalt gewesen? Hier finden Sie Hilfe:

Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch
(bundesweit, kostenfrei und anonym)
Tel.: (08 00) 22 55 530

Online-Beratung des Hilfe-Telefons:
www.hilfe-telefon-missbrauch.online

Verein Wendepunkt
Tel.: (041 21) 47 57 30
https://www.wendepunkt-ev.de/

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 10.11.2023 | 19:30 Uhr

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