Scharbeutz will Tourismus wieder ins Gleichgewicht bringen
Mehr als 60 Prozent der Menschen in Scharbeutz (Kreis Ostholstein) finden, dass die Menge an Touristen im Ort zu hoch ist. Ein "weiter so" kann es nicht geben, sagt die Gemeinde und begibt sich nun auf einen Balanceakt.
Der Tourismus ist für viele Gemeinden Fluch und Segen zugleich. Denn natürlich spülen Urlauberinnen und Urlauber Geld in die Kassen der Kommunen und Gewerbetreibenden vor Ort. Gleichzeitig beklagen sich Einheimische zunehmend über eine sinkende Lebensqualität in ihren Heimatorten. Das ist in den vergangenen Jahren an vielen Stellen im Land deutlich geworden. Per Bürgerentscheid gestoppte Hotelprojekte auf Fehmarn oder in Heiligenhafen, das Verbot für den Neubau von Ferienwohnungen auf Sylt sind nur einige Beispiele.
Die Gemeinde Scharbeutz hatte deshalb im vergangenen Jahr eine Studie zur Tourismusakzeptanz in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: 96 Prozent der Bürgerinnen und Bürger wohnen gern in Scharbeutz, Haffkrug, Klingberg, Pönitz und den weiteren Ortsteilen der Gemeinde. Die meisten sehen im Tourismus auch positive Effekte für die Ortschaft. Allerdings beklagen sich 73 Prozent der Befragten über die hohe Anzahl an Tagestouristen und fast alle über die damit verbundenen Verkehrs- und Parkplatzprobleme.
"Ergebnisse aus Studie auffallend negativ"
Die Gemeinde hat die Ergebnisse der Studie zum Anlass genommen, um mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Über eine Online-Befragung, dem Scharbeutzer Dialog, konnten sie der Verwaltung und den Tourismusverantwortlichen mitteilen, wo der Schuh drückt. Die Rückmeldungen waren zahlreich. "Insgesamt 650 Beiträge auf 120 gedruckten Seiten sind zusammengekommen", erklärte der Geschäftsführer der Tourismusagentur Lübecker Bucht, André Rosinski, bei der Vorstellung der Ergebnisse. "Die Bedenken werden ernst genommen", versprach Bürgermeisterin Bettina Schäfer (parteilos). Denn die Ergebnisse aus der vorangegangenen Studie seien auffallend negativ gewesen.
Hauptproblem: Ferienvermietung und Verkehr
Am häufigsten haben sich die Einwohnerinnen und Einwohner in der Online-Umfrage über die vielen Ferienwohnungen und Zweitwohnsitze in Scharbeutz beklagt. Von den rund 7.500 Wohnungen in Scharbeutz sind rund 5.000 Ferien- und Zweitwohnsitze, erklärte die Bürgermeisterin. Eine Anwohnerin beklagte bei der Veranstaltung, dass immer wieder kleine Einfamilienhäuser in den vorderen Reihen verschwinden und Investoren große Gebäude mit mehreren Ferienwohnungen auf den Grundstücken bauen. Sie wünschte sich, dass solche Bebauungen künftig verboten werden. "Da sind uns die Hände gebunden", erklärte Bürgermeisterin Schäfer. Der Bebauungsplan sei nicht so einfach zu ändern. Und Bauträger könnten klagen, sollte ihnen der Bau größerer Gebäude untersagt werden. Denn schließlich sei das diskriminierend, weil andere Investoren auf den Nachbargrundstücken bereits entsprechende Häuser gebaut hätten, so Schäfer. Ob der "Sylter Weg" - also das Verbot für den Bau neuer Ferienwohnungen - für Scharbeutz der Richtige ist, sei fraglich. Allerdings müsse darüber gesprochen werden, sagte die Bürgermeisterin.
Auch der starke Verkehr, insbesondere durch die vielen Tagesgäste im Sommer, ist den Scharbeutzern in Dorn im Auge. Viele von ihnen wünschen sich laut der Online-Befragung mehr Tempolimits und einen besser ausgebauten ÖPNV. Christiane Ehrlicher, die Leiterin des Scharbeutzer Ordnungsamtes, zeigte allerdings die Grenzen der Gemeinde auf. Geschwindigkeitsbeschränkungen seien nur sehr schwer durchsetzbar und der Nahverkehr Aufgabe des Kreises. Allerdings seien mehr Kräfte für die Verkehrsüberwachung eingestellt worden. Im kommenden Sommer würden sie insgesamt härter durchgreifen und bei groben Verstößen auch abschleppen lassen.
Weiteres Thema: Die Besucherlenkung zu den Scharbeutzer Stränden. In der Corona-Zeit hatte die Gemeinde die sogenannte "Strandampel" eingeführt, die Gäste per App an weniger besuchte Strandabschnitte lotst. Das System sei ein Erfolg, so Schäfer. Es soll nun weiter verbessert werden. Denn klar sei: Der Strand ist Allgemeingut. Zugangsbeschränkungen seien nur durch die Regelungen zum Infektionsschutz möglich gewesen. Jetzt gebe es keine Grundlage mehr, Gäste wieder wegzuschicken.
Scharbeutz will Punkte abarbeiten
Die Kritikliste der Bürgerinnen und Bürger geht deutlich über diese Punkte hinaus. Zu wenig Angebote für Jugendliche, unsichere Schul- und Radwege, Probleme mit freilaufenden Hunden und Hundekot, Lärm durch Verkehr und Musik am Strand und in Restaurants. Diese Punkte wurden besonders häufig genannt. Auch rund 300 Schülerinnen und Schüler der Grund- und Gemeinschaftsschule Pönitz haben ihre Wünsche geäußert. Allen voran: eine Besserung der Busverbindung aus den umliegenden Dörfern zum Strand sowie ein Fastfood-Restaurant oder Dönerläden nahe der Schule. Bürgermeisterin Schäfer versprach, dass alle Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger aufgenommen und mit der Politik diskutiert würden. Das Ziel: Wieder ein Gleichgewicht herstellen zwischen den Wünschen der Touristen und Einheimischen. Allerdings werde dies ein Prozess, der mehrere Jahre dauern dürfte, so Schäfer.