Lebendorganspende: Ein besonderes Geschenk unter Freunden
Als Lebend-Nierenspender kommen eigentlich Lebenspartner oder enge Verwandte in Frage. Unter Freunden sind sie selten, aber es gibt sie: Tanja Luft aus Lübeck hat dem chronisch kranken Sohn ihrer Freundin eine Niere gespendet.
Nicklas Wendtland steht hinter einem Stuhl, stützt sich auf die Lehne. Für ihn ist es heute angenehmer, zu stehen als zu sitzen. Seine Narbe schmerzt - im Februar wurde ihm eine Niere transplantiert. Seine Organspenderin sitzt mit am Kaffeetisch: Tanja Luft, eine enge Freundin von Nicklas Mutter. Auch sie ist nach der OP längst noch nicht wieder fit: "Arbeiten gehen, Sport, das geht alles noch nicht", sagt sie.
Suche nach Nierenspender war schwierig
Der 27-jährige Lübecker hat das "Jeune-Syndrom", eine seltene, genetisch bedingte Krankheit. Zu den Symptomen gehört eine Nierenschwäche. Schon mit drei Jahren bekam Nicklas Wendtland seine erste Spenderniere, hing täglich stundenlang an der Dialyse. Als Erwachsener stand er auf der Warteliste für ein neues Organ. Aus seiner Familie kam niemand als Spender in Frage - seine Schwester ist zu jung. Eine Niere seiner Mutter hätte Nicklas Wendtlands Körper wahrscheinlich abgestoßen. Die Lübeckerin Tanja Luft brachte sich nach einem gemeinsamen Urlaub mit Nicklas und seiner Familie als mögliche Spenderin ins Spiel: "Ich habe gesehen, dass Nicklas nichts machen konnte", erinnert sich die 51-Jährige. "Er konnte nur mit den Füßen in den Pool, er hatte dicke Beine. Wir mussten alle vier Stunden wieder zurück zur Dialyse, und es ging ihm immer schlechter."
Vorsichtige Freude über das angebotene Organ
Nachdem erste Untersuchungen zeigten, dass Tanja Luft eine passende Spenderin sein könnte, überraschte sie Nicklas Wendtland mit ihrer Entscheidung. Er freute sich, blieb aber zunächst skeptisch, ob es funktionieren würde. "Bei Mutti hätte es auch klappen sollen - und kurz vor der Operation hieß es: Das wird nichts", erzählt er. Auch seine Mutter Jeannette Wendtland hatte gemischte Gefühle: Die Freude über das Organ für ihren Sohn, dazu Ängste, auch Scham: "Versagt zu haben, nicht selbst helfen zu können. Und immer schlechtes Gewissen. Tanja hat Kinder, wenn etwas schiefgegangen wäre, wäre ich meines Lebens nicht mehr froh geworden."
"Ich sah meine Niere, die bei ihm funktioniert. Das war schon aufregend." Organspenderin Tanja Luft
Organspenderin: "Ich habe die OP unterschätzt"
Nach Tanja Lufts Entscheidung, eine Niere zu spenden, beginnt für sie ein Termin-Marathon mit Voruntersuchungen und Gesprächen mit Psychologen. "Ich sollte erzählen, wie ich zu Nicklas stehe. Ich sagte: Nicklas ist wie ein Sohn." Im Februar standen dann die die Operationen an - alles lief nach Plan. Ein besonderer Moment für Tanja Luft: Der erste Ultraschall. "Ich sah meine Niere, die bei ihm funktioniert. Das war schon aufregend." Bei aller Freude über den gelungenen Eingriff war Tanja Luft überrascht, wie schlecht es ihr danach ging. "Ich habe die Konsequenzen dieser schweren OP doch etwas unterschätzt. Ich war danach fix und fertig. Weil alles wehtat, ich mich nicht bewegen konnte, obwohl ich ziemlich schnell auf die Beine kam."
Nierenspende unter Freunden: Eine Seltenheit
Für Martin Nitschke, Leiter des Bereichs Nierenheilkunde und Transplantation am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck, ist es keine alltägliche Organspende. Erlaubt sind solche Spenden zwischen Lebenspartnern oder enge Verwandten - darüber hinaus können auch Freunde spenden, wenn eine, nachweislich länger bestehende, enge Beziehung besteht. "Das ist immer schwierig, das ist ja sehr dehnbar", sagt der Mediziner - so seien Organspenden unter Freunden eher die Ausnahme.
Das oberste Gebot: Freiwilligkeit
Zur Vorbereitung einer Lebend-Nierenspende gehören neben medizinischen Voruntersuchungen auch immer intensive Einzelgespräche mit den potentiellen Spendern. Dabei soll geklärt werden, ob der Entschluss freiwillig ist - und ob er feststeht. Bei Eltern, die für ihre Kinder spenden, gebe es in der Regel am wenigsten Zweifel, sagt der Mediziner: "Wenn die Nierenfunktion nicht auf beiden Seiten gleich ist, nehmen wir immer die etwas schlechter funktionierende Niere für die Spende. In Vorgesprächen sagen Eltern dazu häufig: Mein Kind soll die bessere Niere haben." Martin Nitschke hat es allerdings auch schon erlebt, dass sich mögliche Spenderinnen und Spender unter Druck gesetzt fühlen. "Als wir das erste Mal alleine im Zimmer waren, brach die Person in Tränen aus und sagte: Eigentlich will ich gar nicht, aber ich habe mich nie getraut, das im Beisein meines Mannes zu sagen."
"Etwas von Tanja ist jetzt in mir"
Familie, Freunde und Bekannte hätten ganz unterschiedlich auf ihre Organspende reagiert, erzählt Tanja Luft. Auch wenn in ihrer Familie alle hinter ihrer Entscheidung stehen, hätten viele Angst um sie gehabt. Eine Bekannte hingegen hätte gefragt, ob sie Geld für die Niere bekommen hätte. Die meisten Reaktionen seien aber positiv, darunter viele nette Nachrichten und Genesungswünsche. Sie habe auch schon gehört, dass sie eine Heldin sei, sagt Tanja Luft lachend - und winkt ab.
Trotz aller Schmerzen hat sie ihre Entscheidung, eine Niere zu spenden, nicht bereut: "Ich sehe, dass es Nicklas besser geht." Auch Nicklas Wendtland ist froh, dass es geklappt hat. Viel mehr Energie habe er heute - und endlich könne auch mal einen Tagesausflug machen, ohne an die nächste Dialyse denken zu müssen. Die Freundschaft zwischen den Familien sei enger geworden, sagt Nicklas' Mutter Jeannette Wendtland. Und noch etwas hat sich verändert, sagt Nicklas Wendtland: "Etwas von Tanja ist jetzt in mir."