Lieferdienste: Der Appetit der anderen ist ihr Geschäft

Stand: 31.05.2024 08:48 Uhr

Hunger, aber der Kühlschrank ist leer? Lieferdienste wie Marktführer Lieferando machen es einfach: per App Restaurant aussuchen, Essen anklicken, kaufen, liefern lassen. Zufriedener Kunde, zufriedener Gastronom, zufriedener Lieferkurier - aber funktioniert das Konzept so wirklich?

von Christiane Stauss und Stella Kennedy

Gastronom Adrian Charly. © NDR
Adrian Charly betreibt seit 2018 die "Cantina Americana".

Dank Lieferdiensten wie Lieferando rücken Pizza, Pasta und Co bei Bedarf in greifbare Nähe: Einfach gemütlich vom Sofa aus bestellen. In vielen Städten hier im Norden gehören sie mittlerweile zum Straßenbild: Die Kurierfahrerinnen und -fahrer mit ihren großen Rucksäcken in Lieferando-Orange, Uber-Eats-Grün, Flink-Pink und Wolt-Blau. Doch was passiert eigentlich nach dem Klick? Wie sieht die Situation für Gastronomen und Lieferkuriere aus? Adrian Charly betreibt seit 2018 die "Cantina Americana" in Norderstedt (Kreis Segeberg). Er ist einer von 35.000 Gastronomen deutschlandweit, die mit Lieferando zusammenarbeiten.

Mindestens 14 Prozent zahlen Gastronomen für den Service von Lieferando

"Lieferando bietet zwei Provisionsmodelle an: Man kann seine Ware mit eigenen Fahrern ausliefern, so wie ich. Dann drückt man an Lieferando 14 Prozent vom Monatsumsatz ab. Oder man nutzt die Fahrer von Lieferando. Dann bezahlt der Gastronom 30 Prozent!", sagt Adrian Charly. Für diese 30 Prozent bekommt der Gastronom dann laut Lieferando folgende Leistungen: "Die vollautomatisierte Vermittlung einer großen Nachfrage direkt in die Küche", sowie "ein 300-köpfiger Kundendienst" und die "effiziente Vermarktung des Geschäfts". Und natürlich: die Lieferfahrer.

 

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Lieferkurier Thomas: "Ich bin ein Kellner auf zwei Rädern"

Ein Lieferando Mitarbeiter fährt auf einem Fahrrad. © NDR
Lieferando-Kurier Thomas auf dem Weg vom Restaurant zum Kunden. Im Rucksack: das bestellte Essen. Im Nacken: der Zeitdruck.

Wie rund 90 Prozent der Gastronomen in Schleswig-Holstein setzt Adrian Charly seine eigenen Fahrer ein. Vor allem in größeren Städten kommen Lieferandofahrer zum Einsatz. Einer, der beinahe täglich für Lieferando in Kiel aufs Rad steigt, ist Thomas. Der 50-Jährige ist seit über fünf Jahren bei Lieferando angestellt und nennt sich selbst einen "Kellner auf zwei Rädern". Für ihn läuft es so ab: Über das System bekommt er auf seinem Handy die Meldung, dass ein neuer Auftrag wartet. Enthalten sind der Name des Restaurants sowie die Kundenadresse. Er bestätigt den Auftrag, dann schwingt er sich aufs Rad. Jetzt heißt es, zügig zum Restaurant und anschließend mit der meist heißen Fracht zum Kunden. Gibt es Verzögerungen, erzählt er, kontaktiere ihn die Lieferando-Zentrale in Berlin.

Liefergebiet reicht bis an die Stadtgrenzen

Thomas ist bei Wind und Wetter auf den Straßen Kiels unterwegs. Erst kürzlich hat er einen Auftrag in Holtenau bekommen, erzählt er. Diesen habe er aber dann abgesagt: "Das war ein stürmischer Tag und ich hätte über die Holtenauer Hochbrücke gemusst. Der Wind hatte mich an dem Tag schon einmal auf die Fahrbahn geschoben, das wollte ich nicht riskieren." Ansonsten lehnt er selten Aufträge ab, denn er verlässt sich auf sein E-Bike. Damit hat er gegenüber den meisten seiner Kolleginnen und Kollegen einen Vorteil. Lieferando selbst stellt in Kiel keine Fahrräder. Auch für den Verschleiß und die Reparaturen kommen die Fahrer selbst auf. Von Lieferando gibt es als Kompensation 14 Cent pro Kilometer, rechtfertigt sich das Unternehmen.

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Gastronomen teils Lieferando ausgeliefert

Gastronom Adrian Charly trägt eine Lieferung durch den Laden. © NDR
Gastronom Adrian Charly setzt lieber auf eigene Fahrer.

Auch Adrian Charly arbeitete anfangs mit Fahrern von Lieferando. Doch schnell kamen Probleme auf: "Irgendwann merkte ich, dass ich keine Bestellungen mehr in mein Restaurant bekam. Ich wusste nicht, warum oder was sich geändert haben könnte." Allerdings hätte er das auch gar nicht wissen können. Denn Lieferando wies den Gastronomen auf folgendes Detail nicht hin: die "kurzzeitigen und vereinzelten Lieferpausen", sagt Adrian Charly. Wenn Lieferando selbst zu wenig Fahrerkapazitäten habe, würde das Unternehmen automatisch den Lieferdienst einiger Gastronomen ausstellen. "Doch ich werde darüber nicht informiert", beklagt sich der Restaurant-Besitzer.

Lieferdienst: "Lieferpausen auch im Interesse der Gastronomen unvermeidbar"

Er müsse sich dann selbst darum kümmern, das Ganze rückgängig zu machen. Eine Entschädigung zahle Lieferando in solchen Fällen nicht. "Das ist eigenes Risiko", erklärt Adrian. Und der Grund, warum er sich letztlich dazu entschied, seine Ware lieber mit eigenen Fahrern auszuliefern. Lieferando erklärt diese Art "Zwangspausierung" so: "Lieferandos Lieferservice hat eine durchschnittliche Verfügbarkeit von über 96 Prozent und bietet damit einen ausgesprochen zuverlässigen Service, selbst in Stoßzeiten oder bei wetterbedingten Nachfragesprüngen. Kurzzeitige und vereinzelte Lieferpausen sind auch im Interesse der Gastronomen unvermeidbar, denn Sie verhindern enttäuschte Bestellkund:innen und Beschwerden, inklusive des nachfolgenden Kundenservice-Aufwands."

Lieferando als Platzhirsch unter Lieferdiensten

In Kiel gibt es derzeit neben Lieferando noch zwei weitere Dienste, die fertige Mahlzeiten von Restaurants an Verbraucher liefern. Das finnische Lieferunternehmen Wolt, eine Tochterfirma des US-amerikanischen On-Demand-Lieferservice DoorDash. Sowie das Unternehmen UberEats vom bekannten Fahrdienstleister Uber. Generell gibt es von Seiten des Schleswig-Holsteinischen Wirtschaftsministeriums keine "harten Zahlen" zu den Beschäftigten dieser Unternehmen. "Klar ist, dass sich der digitale Wandel auch auf den Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein auswirkt. Immer mehr Menschen bieten ihre Arbeitskraft digital auf Plattformen an", so der Pressesprecher des Ministeriums Harald Haase.

Betriebsrat kümmert sich um die "Rider"

In Kiel gibt es seit einem Jahr einen Betriebsrat, der sich für die Belange der Kuriere, "Rider" genannt, einsetzt. Zwar sind wie Thomas alle Fahrer bei Lieferando unbefristet und festangestellt, dennoch gebe es etliche Punkte, die verbesserungswürdig seien. Fabian ist der Vorsitzende des Betriebsrats und auch selbst ein Rider. Er moniert zum Beispiel eine kürzliche Änderung: "Der Arbeitgeber hat vor kurzer Zeit das Liefergebiet vergrößert. Und da haben wir deutlich längere Fahrwege für einzelne Bestellungen zum Kunden hin", sagt er. "Das Problem daran ist, dass die Fahrer dadurch natürlich weniger Aufträge haben innerhalb einer Schicht. Und wenn sie weniger Aufträge haben, kriegen sie weniger Bonus und auch prozentual weniger Trinkgeld", sagt er. Von Lieferando heißt es auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein dazu, dass die Fahrzeiten durch die Bestellradien der Restaurants begrenzt seien.

 

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Trinkgeld am liebsten "Direkt in die Hand"

Das mit dem Trinkgeld ist auch für Thomas ein ganz wichtiger Punkt. Denn an Grundgehalt bekommt er 12,50 Euro pro Stunde. Das sind neun Cent über dem gesetzlichen Mindestlohn. "Es gibt zwei Möglichkeiten, Trinkgeld zu bekommen. Über die App kann der Kunde fünf, zehn oder 15 Prozent geben. Oder man kriegt das Geld direkt in die Hand," sagt Thomas. Dazu gäbe es über das Bonussystem noch die Möglichkeit, das Gehalt aufzustocken. "Ab der 25. Bestellung kriegt man 25 Cent mehr pro Bestellung und ab der 100. Bestellung 1 Euro." Das gelte für alle Fahrten in einem Monat.

Gastronom Adrian Charly teilt den Gesamtbetrag an Trinkgeldern über die App unter allen Fahrern auf. Und Rider Thomas freut sich an diesem Tag über insgesamt drei Euro, die er zusätzlich an der Tür bekommen hat.

 

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 31.05.2024 | 19:30 Uhr

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