Landtag in SH besorgt über Angriffe auf Politik und Demokratie
Passend zum Jahrestag des Grundgesetzes haben die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags am Donnerstag über Grundwerte der Demokratie debattiert. Zugleich wurde über Wege gesprochen, sie zu stärken. Die jüngsten Angriffe auf Politiker wurden verurteilt.
Es war gerade einmal vier Jahre her, dass der Zweite Weltkrieg in Deutschland ein Ende fand. Erste deutsche Städte begannen, sich aus den Trümmern des Krieges zu erheben, als sich ein Parlamentarischer Rat in Bonn ans Werk machte und das deutsche Grundgesetz aus der Taufe hob.
Es sollte ein Dokument werden, in dem nicht nur Menschen- und Bürgerrechte ihren Platz fanden, sondern zugleich die Funktionen und der Aufbau eines neuen deutschen, demokratischen Staates niedergeschrieben waren. Am 23. Mai 1949 wurde das Gesetz verabschiedet.
Demokratie im Fadenkreuz
75 Jahre später zeigt sich, wie weitsichtig die Mütter und Väter des Grundgesetzes einst waren, wie stabil und nachhaltig es sein sollte, das Grundgesetz. Doch 75 Jahre später zeigt sich auch, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit immer öfter angefeindet und infrage gestellt werden. Das fand jüngst Ausdruck in deutschlandweiten Angriffen auf Politikerinnen und Politiker sowie auf Helfende im Europawahlkampf.
Ernste Debatte ohne Zwischentöne
Anlässlich des Jubiläums nutzten die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags am Donnerstag die Bühne, um für die Werte und den Schutz der Demokratie zu werben. Es war eine ernste Debatte ohne scharfe Zwischentöne. Stattdessen überwog Parteien-übergreifender Applaus für alle Redner.
Zusätzlich brachten die Fraktionen einen Antrag in den Landtag ein, in dem sie Drohungen, Schmähungen und Verunglimpfungen sowie Angriffe auf die Demokratie und deren Vertretende scharf verurteilen. Einstimmig beschlossen die Fraktionen den gemeinsamen Antrag.
Fraktionen einig: Angriffe auf Demokratie stoppen
Für den Fraktionsvorsitzenden der FDP, Christopher Vogt, ist das Grundgesetz eine deutsche und zugleich europäische Erfolgsgeschichte.
"Die entscheidenden Lehren aus der NS-Zeit waren zum einen die sehr klare Betonung der Würde des einzelnen Menschen und zum anderen die sehr kluge Neugestaltung des politischen Systems." Christopher Vogt, FDP
Trotz der Erfolge sollte laut Vogt der Anlass auch genutzt werden, um zu überdenken, ob das Grundgesetz noch richtig gelebt werde und zeitgemäß sei. Seit zehn Jahren würde es zunehmend herausgefordert.
Eine Demokratie müsse gelebt und immer wieder verteidigt werden, so Vogt - gegen ihre Gegner von innen und von außen, wie zuletzt schmerzlich festzustellen sei. Das geschehe durch Populisten, Extremisten, aber durch eine wachsende Abstiegsangst der Mittelschicht in einer älter werdenden Gesellschaft.
CDU: "Ein Angriff auf uns alle”
Birte Glißmann (CDU) sagte, dass das Grundgesetz auch eine gegenseitige Verantwortung darstelle, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen und zu verteidigen - vor allem mit Blick auf den Angriff auf den sächsischen Politiker Matthias Ecke. Menschen, die solche Taten begingen, würden die demokratische Grundordnung, das Grundgesetz und damit alle Menschen angreifen, so Glißmann.
Dabei kämen die Angriffe auch vonseiten der AfD, so die CDU-Politikerin. Wer so handele - chinesische Spione beschäftige, als rechtsextremistischer Verfassungsfall eingestuft werde und die Unabhängigkeit der Justiz infrage stelle - der trete das Grundgesetz mit Füßen.
Grüne: Es braucht wieder Mut
Jan Kürschner, innen- und rechtspolitischer Sprecher der Grünen, schloss sich dem an. Deshalb brauche es wieder mehr Mut, sagte er. "Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen", zitierte er den Staatsrechtler Carlo Schmid, der zugleich einer der Väter des Grundgesetzes gewesen ist. Kürschner sagte, es müsse gegen jene Kräfte angegangen werden, die die demokratischen Strukturen aus dem Parlament heraus angreifen.
SSW: Grundgesetz ist unvollständig
Während die Parteien geeint das Grundgesetz als Erfolgsgeschichte lobten, machte Lars Harms, Fraktionsvorsitzender des SSW, auch darauf aufmerksam, dass es auch heute nicht vollständig sei. Es fehle ein im Grundgesetz verankerter Schutz von Minderheiten. Den hätte es auch 1949 nicht gegeben, weshalb der SSW damals gegen das Grundgesetz stimmte. Und es gebe ihn heute immer noch nicht, so Harms.
"Minderheiten brauchen einen besonderen Schutz und für uns ist es nach wie vor unverständlich, warum dieser nicht auch im Grundgesetz aufgenommen sein sollte." Lars Harms, SSW
In diesem Zusammenhang wiederholte der SSW-Chef die Forderung, die Landesregierung möge eine Bundesratsinitiative anregen, sodass Bestimmungen zugunsten nationaler Minderheiten im Grundgesetz verankert würden.
SPD: "Das Grundgesetz geht mit der Zeit"
Serpil Midyatli, Fraktionschefin der SPD, sieht eine Stärke des Grundgesetzes auch darin, dass es mit der Zeit gehen und lernen könne. Als Beispiel nennt sie die Corona-Pandemie, in der das Gesetz auf eine harte Probe gestellt worden sei. Oder Bestimmungen, an denen noch in Zukunft gearbeitet werden müsse. So will sie die Schuldenbremse, die seit der Finanz- und Bankenkrise im Grundgesetz steht, reformieren oder Kinderrechte aufnehmen.
Antrag einstimmig beschlossen
Neben zahlreichen Veranstaltungen in Schleswig-Holstein anlässlich des Jubiläums gab es in Berlin einen Staatsakt sowie ein mehrtägiges Demokratie-Fest rund um das Bundeskanzleramt und den Reichstag.