Lämmer retten durch Flaschenaufzucht

Stand: 09.04.2023 05:00 Uhr

Normalerweise arbeiten Schäfereien und Tierschutz eher nicht zusammen, anders jedoch in der Nähe von Mölln. Hier geben Betriebe schwache, kranke oder verletzte Lämmer an den Tierschutz ab - freiwillig.

von Elin Halvorsen

Ein lautes Mähen setzt ein, als Frederike Hecker den blauen Bauwagen betritt. Dieser ist zum Stall umgebaut und mit viel Heu ausgelegt. Darauf strahlt das warme rote Licht der Wärmelampe. Die drei Lämmchen Grey, Felix und Smilla begrüßen Frederike aufgeregt und hüpfen um sie herum. Als sie sich auf einen Heuballen setzt, kommen sie angelaufen und beginnen aufgeregt, an ihren Fingern zu nuckeln. Lämmchen Grey wurde von seiner Mutter verstoßen und begann deswegen vor Hunger am Stroh zu knabbern. Dadurch fing Grey sich E.Coli-Bakterien ein und bekam Atemprobleme. Nachdem Frederike Hecker ihn vom Schäfer abholte, setzte sie sich geduldig mit dem kleinen Lamm hin und gab ihm Kochsalzlösung zum Inhalieren. "Ein paar Mal haben wir schon gedacht, er schafft es nicht, aber er hat sich immer wieder berappelt", sagt sie. Heute ist Grey vier Wochen alt.

Wolle und Fleisch sind Massenprodukte - und zu billig

Frederike füttert im Bauwagen eines ihrer Lämmchen. © Elin Halvorsen Foto: Elin Halvorsen
Wenn Frederike Hecker den zum Stall umgebauten Bauwagen für die Lämmchen betritt, kommen die sofort angelaufen.

Normalerweise werden untaugliche Lämmer direkt auf den Höfen entsorgt. Denn die meisten Schäfereien könnten es sich nicht leisten, kranke oder verletzte Lämmer groß zu ziehen, sagt Frederike Hecker. Sie macht den Betrieben keinen Vorwurf, denn sie weiß, dass es für sie schlichtweg nicht rentabel ist: "Da wäre die Flaschenmilch schon fast teurer als das, was das Schaf später wert ist", sagt sie. Man dürfe sich das auch nicht so vorstellen, dass es nur in Ausnahmefällen ein Lämmchen mal nicht schafft. Schaffleisch und genauso die Wolle sind Massenprodukte geworden. Das Problem sei, dass dadurch die Preise auf dem Markt viel zu gering sind. Allen Lämmer, die zwischen Januar und April geboren wurden und die es zu Frederike Hecker geschafft haben, steht das nicht mehr bevor. Sie lässt sich bei der Vermittlung vertraglich festhalten, dass die Tiere nicht zur Zucht genutzt werden dürfen und selbstverständlich nicht geschlachtet werden.

Besondere Kooperation hilft allen

Die Zusammenarbeit zwischen Tierschutz und Schäfereien bei Mölln ist eine Besonderheit. Normalerweise erlauben die Betriebe Tierschützerinnen und Tierschützern nicht den Zugang zum Hof. Die Schäferinnen und Schäfer haben zu viel Angst, dass Fotos oder Videos gemacht und gegen sie verwendet werden könnten. Doch hier im Kreis Herzogtum Lauenburg ist es ein Miteinander, Familie Hecker ist bekannt - unter anderem dafür, rumänische Straßenhunde zu retten.

Mehr als 60 Tiere in zwei Jahren

Eines der Lämmchen steht im Bauwagen. © Elin Halvorsen Foto: Elin Halvorsen
Lämmer groß ziehen ist weder leicht noch billig. Viele landwirtschaftliche Betriebe können es sich gar nicht leisten, kranke oder verletzte Lämmer groß zu ziehen.

"Eines Tages stand ein Schäfer vor der Tür und hat gefragt, ob wir auch Lämmer haben wollen", erzählt Friederike Hecker und schüttet routiniert das Milchpulver in die Flasche. Aufgeregt wedelt das Lamm beim Trinken mit dem Schwanz. Innerhalb von 30 Sekunden ist die Flasche leer gesaugt. In den ersten zwölf bis 24 Stunden werden sie alle zwei Stunden gefüttert, auch nachts. Das ändere sich zum Glück schnell, so dass sie dann etwa sechs Mahlzeiten täglich bekommen. "Wir wussten am Anfang gar nichts über die Aufzucht von Lämmern, haben dann aber angefangen zu recherchieren und uns Hilfe geholt", berichtet Hecker. Mittlerweile haben sie ein gutes Netzwerk mit Pflegestellen, tierärztlicher Versorgung und einem Fahrdienst. Unterstützt werden sie vom Verein "Stark für Tiere" mit Sitz in Niedersachsen, auch finanziell. So wurde aus einem Lamm innerhalb von zwei Jahren mehr als 60 der Tiere.

Eine zweite Chance

Frederike füttert im Bauwagen eines ihrer Lämmchen. © Elin Halvorsen Foto: Elin Halvorsen
Familie Hecker hat selbst eine kleine Herde. Die selbst aufgezogenen Tiere sind besonders zutraulich.

Manchmal fällt ihr der Abschied schwer, erzählt Frederike Hecker und kuschelt Lämmchen Grey am Hals. Trotzdem suchen sie immer wieder neue Pflegestellen, denn nach zwei Wochen sind die Kleinen meistens wieder fit genug, so wie Felix und Smilla. "Die beiden ziehen morgen aus, die brauchen mehr Bewegung und wollen jetzt springen", sagt sie. Pro Schaf muss eine Weidefläche von 1.000 Quadratmetern eingeplant werden, einzeln werden die Herdentiere aber nicht vermittelt. Mindestens drei sollten es sein, besser vier. Familie Hecker hat selbst eine Herde mit 17 Tieren. Als die Tierschützerin über den Stromzaun auf die grüne Wiese klettert, kommen die Schafe sofort zu ihr gelaufen. Ein paar Tiere sind aus dem letzten Jahr, wurden von ihr als Lamm mit der Flasche aufgezogen und sind besonders zutraulich. Wichtig sei auch ein Stall für die Lämmer zum Schutz vor dem Fuchs und dem Wolf in der Nacht, sagt sie. Dazu kommt natürlich der ständige Bedarf nach frischem Heu.

"Ich würde mir wünschen, dass die Schafe mehr als Lebewesen betrachtet werden und nicht nur als Nutzvieh", sagt Hecker, während sie Schaf Knirps durch die Wolle krault. Sie hofft, dass sich zukünftig mehr Schäfereien trauen, mit dem Tierschutz zusammen zu arbeiten. Denn auf diese Weise gebe es ausschließlich Gewinner.

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Schleswig-Holstein Magazin | 10.04.2023 | 19:30 Uhr

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