Konstruktionsfehler bei Energiekostenhilfe für die Kliniken?
Sechs Milliarden Euro hat die Bundesregierung bereit gestellt, um die Kliniken zu entlasten. Doch die nordfriesischen Krankenhäuser können das Geld trotz gut verdoppelter Kosten nur teilweise abrufen.
Es ist der Blick ins Kleingedruckte, der den Geschäftsführer des Klinikums Nordfriesland, Stephan Unger, ratlos zurücklässt. Zwar hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versprochen, den Krankenhäusern bei gestiegenen Gas- und Strompreisen unter die Arme zu greifen. Doch die Bedingungen dafür sind jetzt so gestaltet, dass von der Hilfe in Husum, Niebüll und Wyk wohl weniger als erwartet ankommen wird. Das liegt vor allem an einem Detail: dem Bezugsmonat März 2022.
Ausgerechnet der teuerste Monat als Vergleichsbasis
Nur ein Viertel der Bundeshilfe von insgesamt sechs Milliarden Euro wird nämlich pauschal nach Bettenzahl ausgezahlt. 1,3 Millionen Euro sind davon in Nordfriesland angekommen. Auf weiteren Kosten von 360.000 Euro bleibt der Klinikverbund aber voraussichtlich sitzen. Denn für dieses Geld muss jedes Krankenhaus nachweisen, dass die Kosten für Strom und Gas tatsächlich gestiegen sind.
Zwar haben sich die Kosten in Nordfriesland im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt, hauptsächlich durch die Gasrechnung. Allerdings will das Bundesgesundheitsministerium nur Rechnungen bezuschussen, die über dem Preisniveau vom März 2022 liegen.
Kliniken mit langfristigen Verträgen zahlten im März meist noch einen moderaten Preis. Sie profitieren von der Regelung. Für das Klinikum Nordfriesland war die Spitze der Preisentwicklung aufgrund eines Sonderfalls dagegen ausgerechnet im März erreicht. Damit wäre eine Auszahlung unmöglich.
Keine Grundversorgung: Klinik war dem freien Energiemarkt ausgeliefert
Das Klinikum Nordfriesland kaufte bis Ende 2021 laut Geschäftsführer Unger die Energie über einen Verbund mit den Sana-Kliniken ein, der dann Insolvenz angemeldet habe. Privatverbraucher landen in solch einem Fall im Sicherheitsnetz der Ersatz- und Grundversorgung. Unternehmen müssen dagegen ihren Energiebedarf auf dem freien Markt decken. Ohne langfristige Verträge bleibt dann nur der sogenannte Spotmarkt als einzige Möglichkeit. Hier wird tagesaktuell mit Energie gehandelt. Angebot und Nachfrage bestimmen den ständig schwankenden Preis.
Im März 2022 waren die Gaspreise am Spotmarkt bereits stark angestiegen. Sie erreichten kurz nach Kriegsbeginn einen ersten Höchststand. Später schlossen die Stadtwerke Husum und Hansewerk Natur Verträge mit dem Klinikum Nordfriesland. Die Versorgung war somit wieder abgesichert, so dass die noch höheren Rekordwerte im Spätsommer 2022 weniger ins Gewicht fielen.
Milliarden lassen sich nicht abrufen
Ursprünglich rechneten die Kliniken damit, dass das Preisniveau von 2021 als Vergleich dient. Erst im letzten Moment sei dies geändert worden, sagt Unger. Er äußert deshalb einen Verdacht. "Diese Art der Unterstützung, wie sie jetzt gestrickt ist, ist für mich ein klares Indiz, dass die Politik die Kliniklandschaft bereinigen möchte."
Kritik äußert auch die Landes-Krankenhausgesellschaft. Geschäftsführer Patrick Reimund sagte NDR Schleswig-Holstein, die Bundesregierung habe 4,5 Milliarden Euro "ins Schaufenster gestellt". Das Geld könne nun nicht vollständig abgerufen werden. Auch viele andere Krankenhäuser mussten bereits im März gestiegene Preise bezahlen.
Ein weiteres Detail: Die Hilfen lassen sich rückwirkend erst ab Oktober 2022 beantragen. Kliniken, die bereits durch die Turbulenzen der Vormonate hohe Energiekosten hatten, bleiben auf diesen Kosten sitzen.
Absage aus Lauterbachs Ministerium: Keine Änderungen geplant
Unger und Reimund hoffen nun, dass die Bundespolitik die Modalitäten noch ändert. Doch aus Berlin kommt eine Absage. Das Bundesgesundheitsministerium schreibt auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein: "Eine Änderung des Referenzzeitraums ist nicht vorgesehen." Bereits in einem Eckpunktepapier sei das Frühjahr 2022 genannt worden. Weiter heißt es: "Zudem würde ein früherer Referenzzeitraum marktüblich bereinigte Preissteigerungen nicht berücksichtigen, die auch ohne den Krieg in der Ukraine eingetreten wären. Allgemeine Preissteigerungen müssen innerhalb des Systems [...] berücksichtigt werden." Mit anderen Worten: Die Preise wären bis einschließlich März vielleicht auch sonst gestiegen. Auf die Frage, ob im Falle der speziellen Situation in Nordfriesland eine Sonderregelung möglich wäre, geht das Ministerium nicht ein.
Klinikchef fordert zu Protesten auf
Der nordfriesische Klinikchef fordert Politik und Bürger nun zu lautstarkem Protest auf: "Seien Sie solidarisch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesundheitswesen, die Ihnen während der Pandemie unter Einsatz ihrer Gesundheit zur Seite gestanden haben und denen jetzt wirklich eine katastrophale Situation droht."