Kieler Studie zeigt: Windräder vertreiben Seevögel
Windräder auf dem Meer verdrängen Seevögel, das haben Forscher der Universität Kiel im Forschungs- und Technologiezentrum Westküste in Büsum herausgefunden. Insbesondere Seetaucher sind rund um die Offshore-Windparks der ostfriesischen Inseln verschwunden.
Die Wissenschaftler haben die Region rund um die ostfriesischen Inseln untersucht. Sie wollten wissen, wie sich der Bau von zwölf Windparks auf den Bestand der fischfressenden Seetaucher ausgewirkt hat. Für ihre Studie hat das Team um den Biologen Stefan Garthe Daten aus den Jahren 2010 bis 2017 ausgewertet. Ergebnis: In direkter Umgebung der Anlagen verschwanden die Seetaucher fast vollständig. Im Umkreis von zehn Kilometern sank der Bestand um 54 Prozent. Die Forscher zählen die Vögel, in dem sie unter anderem die Gebiete überfliegen und fotografieren. Bevor die Windparks gebaut wurden, flogen sie in knapp 80 Meter Höhe. "Um die Population nach dem Bau der Anlagen zu zählen, müssen wir weit über 1.000 Meter hoch fliegen", erzählt Stefan Garthe.
Zahl der Seetaucher bei Borkum von 35.000 auf 25.000 gesunken
Keine andere Vogelart reagiert so empfindlich auf Windräder wie die Seetaucher, heißt es in der Studie, die das britische Magazin "Scientific Reports" veröffentlicht hat. Vor dem Bau der Windkraft-Anlagen lebten dort noch 35.000 Seetaucher. Jetzt sind es rund um Borkum nur noch 25.000. Ein Teil der Vögel siedelte sich weiter nördlich an. Die Forscher zählten sehr viele nordwestlich der Windparks bei Helgoland. Die Vogeldichte sei dort besonders hoch. "Die Vögel gehen nicht zu weit in die Nordsee. Sie meiden große Wassertiefen. Und diese Fläche nordwestlich von Helgoland ist der letzte für sie geeignete Platz", sagt der Kieler Biologe Garthe.
Vögel müssen sich an Windparks gewöhnen
Was genau die Vögel an den Anlagen stört, ist den Forschern noch nicht ganz klar. "Allein die Präsenz, die Strukturen über der Meeresoberfläche, das stört diese Vogelart offenbar", so ein Erklärungsansatz. Die Tiere meiden die Anlagen konsequent, auch wenn sich die Propeller nicht drehen. Bauten dieser Art auf dem Meer gab es in der Evolutionsgeschichte der Tiere nicht. Jetzt aber müssen sie sich an die Windparks gewöhnen. Es könnte sogar sein, dass sich die Seetaucher ganz aus der Region zurückziehen. Denn im Zuge der Energiewende sollen weitere Parks gebaut werden. Andere Arten hingegen werden von den Windrädern sogar angelockt. Möwen seien zum Beispiel generell weniger ängstlich und neugierig. "Jeder kennt das, der mit einer Tüte Pommes an der Promenade entlang läuft, die Möwen picken sich die Pommes aus der Tüte."
Verlieren Seetaucher ihren Rastplatz?
Seetaucher brüten in Russland und Nordeuropa. Um dorthin zu fliegen, stärken sie sich in den Monaten März und April in der Deutschen Bucht mit Fisch. "Die Seetaucher verlieren möglicherweise ein entscheidendes Rastgebiet auf dem Weg zu ihren Brutplätzen, wenn sie sich nicht an die Windparks gewöhnen", befürchtet Stefan Garthe. Ist die Deutsche Bucht nicht mehr verfügbar, müssen sie sich einen anderen Rastplatz suchen. Finden sie dort nicht genug Nahrung, kommen sie geschwächt im Brutgebiet an. "Geschwächte Tiere sind weniger erfolgreich in der Brut. Dementsprechend haben sie weniger Jungvögel und die Bestände nehmen weiter ab."
Konkurrenzdruck bei Nahrungssuche wächst
Die Kieler Forscher vermuten, dass sich der Bau der Anlagen auf die Nahrungssuche der Seetaucher auswirkt, da ihre Aktionsräume nun auf kleinere Gebiete beschränkt sind. Ist die Vogeldichte aber in diesen kleineren Gebieten hoch, steigt der Konkurrenzdruck bei der Jagd nach Fischen. "Wir haben keinen Zweifel daran, dass erneuerbare Energien einen Großteil unseres künftigen Energiebedarfs decken sollten", schreibt das Team in der Studie. Aber Politiker sollten auch die bestehende Krise der Artenvielfalt berücksichtigen. Die Wissenschaftler fordern weitere Analysen, um herauszufinden, wo Offshore-Windparks gebaut werden können, ohne Vogelarten zu gefährden.
Vögel brauchen Schutzgebiete
Um die Artenvielfalt aufrecht zu erhalten, braucht es Schutzgebiete. Allerdings, so der Forscher, kann es nicht sein, dass sich Windräder mitten einem Schutzgebiet befinden. "Diese Gebiete müssen konsequenter umgesetzt werden", fordert Garthe. Dann hätten die Vögel ein Refugium, in dem sie leben könnten. "Vielleicht nicht unbedingt in der Größenordnung wie vorher, aber das brauchen wir als Kompromiss, damit die Biodiversität nicht geopfert wird, zugunsten des Klimawandels."
Auch andere Arten gefährdet
Grundsätzlich erforscht Stefan Garthe das Verhalten sämtlicher Vogelarten. Noch sind aber nicht alle Daten ausgewertet. "Wir sehen aber auch bei der Trottellumme sehr starkes Meideverhalten, ähnlich stark wie bei den Seetauchern." Bei den Basstölpeln hingegen ist das Meideverhalten weniger stark. Es ist wichtig, so der Forscher, einen Teil der Lebensräume zu erhalten. Denn, wenn auf die Vögel keine Rücksicht mehr genommen wird, ist die Gefahr groß, dass sie sich aus unserer Region zurück ziehen und einzelne Arten sogar aussterben.