Hoffnung für Erblindende: Netzhautchip mit Spezialbrille
Peter Stahl ist einer von drei Studienteilnehmern am UKSH Lübeck. Vor drei Monaten wurde ihm ein Netzhautchip eingesetzt. Jetzt soll dieser mit einer Spezialbrille seine Sehkraft zurückholen.
Vor drei Jahren bekam er die Diagnose: Trockene altersbedingte Makuladegeneration. "Es wird von Tag zu Tag für mich dunkler und unschärfer. Ich bin auch schon zwei, dreimal die Treppe runtergefallen, weil ich es einfach nicht mehr sehe", erzählt Peter Stahl. Damit ist er nicht allein: Die Krankheit ist die häufigste Erblindungsursache in Deutschland und war bislang unheilbar. Die Spezialbrille und der Netzhautchip in Peter Stahls linkem Auge sollen das jetzt ändern. Der Chip muss dafür die Funktion der abgestorbenen lichtempfindlichen Sehzellen übernehmen.
Photovoltaikanlage fürs Auge
Die Spezialbrille sieht aus wie aus einem Science-Fiction-Film: Peter Stahls rechtes Auge wird von einer schwarzen Klappe abgedeckt, vor seinem linken ist ein kleiner Kasten mit Kamera und Laser montiert. Damit trainiert der 79-Jährige zusammen mit einer Optometristin wieder besser zu sehen.
Der Netzhautchip bekommt von der Spezialbrille per Infrarotprojektion Bildsignale und Energie und überträgt mit elektrischen Impulsen die Bildinformation auf den Sehnerv. "Dieser Chip funktioniert wie eine Photovoltaikanlage", erklärt Prof. Salvatore Grisanti, Direktor der Klinik für Augenheilkunde, der die Zulassungsstudie am UKSH in Lübeck begleitet. "Das Licht, was ins Auge hineinfällt, wird dort aufgenommen und in elektrische Ströme umgewandelt, dann wieder zurück an die Netzhaut abgegeben, wo dann die Bilder zum Gehirn geschickt werden." So werden abgestorbene Bereiche der Netzhaut wieder aktiviert, scharfes Sehen und das Lesen von mittelgroßen Buchstaben wieder möglich gemacht.
Eine neue Art zu sehen
Für Prof. Grisanti ist dies ein neuer Ansatz, mit dem erstmals die Aussicht einer Sehverbesserung für viele seiner Patientinnen und Patienten besteht. Aber die Verbesserung kommt nicht einfach so. Sie ist mit viel Aufwand verbunden: "Dieser Art des Sehens mit Chip und Brille konnten die Betroffenen vorher nicht. Normalerweise muss man den Blick nicht erst in eine Reihe bringen mit einer Kamera - das ist das, was gelernt werden muss." Für eine erfolgreiche Behandlung braucht das Team der Klinik für Augenheilkunde daher höchstmotivierte Patienten - wie Peter Stahl.
Jahrelanges Training erforderlich
Mehr als zwei Stunden dauert die erste Trainingsstunde für Peter Stahl mit der neuen Spezialbrille: Nachdem der Laser vor seinem linken Auge so positioniert ist, dass er genau auf den Chip hinter Peter Stahls Netzhaut trifft, zeigt ihm die Trainerin und Optometristin Katharina Raschka per Laser Punkte an verschiedenen Positionen. Dazu muss es im Raum dunkel sein, damit keine anderen Reflexionen Peter Stahl ablenken. Die Punkte zu finden und zu fixieren ist nicht leicht, erklärt Katharina Raschka: "Für ihn ist die Schwierigkeit mit seinem Auge eine Position einzunehmen, die er die letzten Jahre vermieden hat, weil die Erkrankung das zentrale Sehen betrifft und man sich eine Ausweichbewegung angewöhnt." Jetzt muss Peter Stahl seinen Blick genau in diesen unscharfen Bereich lenken: "Es ist nicht einfach. Man muss sich daran gewöhnen. Aber es war aufregend und hat mit der Zeit auch gut geklappt. Also, ich bin mit mir zufrieden", lächelt er.
Hoffnung auf mehr Lebensqualität
Künftig wird er jede Woche ins UKSH nach Lübeck kommen, um mit Katharina Raschka zu trainieren - bis zu drei Jahre lang. Auch Zuhause und im Alltag wird Peter Stahl mit seiner Brille üben müssen. Ein langer Weg und viel Arbeit liegen noch vor ihm, aber der Leidensdruck seiner Krankheit treibt Peter Stahl an: "Vor allem Lesen ist das Problem. Ich kann eigentlich überhaupt nicht mehr lesen. Bücher, Hefte, Zeitschriften oder - wenn ich einkaufen gehe - die Preistafeln. Ich kann das einfach nicht mehr erkennen und das ist einfach, was einen so unheimlich runterzieht. Da hoffe ich sehr auf eine Verbesserung." Die europaweite Studie für den neuen Netzhautchip läuft noch bis Ende 2023. Dann werden die Ergebnisse von Peter Stahl und den 37 anderen Studienteilnehmenden ausgewertet. Wenn der Netzhautchip samt Spezialbrille dann in den nächsten Jahren wie geplant zugelassen werden sollte, gibt es endlich eine Behandlungsmöglichkeit für eine bis dahin unheilbare Sehstörungen im Alter.