Gegen das Trauma: Ukrainische Psychologin hilft Geflüchteten
Acht Jahre lang hat Olga Farina in Odessa als Psychologin gearbeitet - bis sie vor dem russischen Angriffskrieg gegen ihr Land fliehen musste. In Schleswig-Holstein hilft sie jetzt anderen Ukrainern dabei, mit den Folgen der Flucht umzugehen.
Sorgfältig legt Olga Farina verschiedene Schokoladenkekse auf den Teller vor sich. Sie war dafür extra noch einkaufen. Im Nachbarraum läuft in einer Kaffeemaschine der Kaffee durch, den sie mit ebenso großer Sorgfalt aufgesetzt hat. In wenigen Minuten startet ihr offener Treff für ukrainische Geflüchtete in Preetz (Kreis Plön).
Die Psychologin leitet ihn seit Herbst vergangenen Jahres und will, dass sich alle Teilnehmenden hier möglichst wohlfühlen. "Für ukrainische Menschen ist diese gemütliche Atmosphäre einfach sehr wichtig - dass es sich wie zu Hause anfühlt, und nicht wie ein psychologisches Gespräch", erklärt Olga Farina, während sie den inzwischen fertigen Kaffee auf den Tisch stellt und einen letzten prüfenden Blick durch den kleinen Seminarraum wirft.
Flucht von Odessa nach Kiel
Wenige Minuten später füllt sich der Raum langsam mit Leben. Vier Teilnehmerinnen sind heute gekommen. Sie alle haben eine ähnliche Geschichte wie Olga Farina selbst. Sie sind vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen und müssen jetzt in einem fremden Land neu anfangen. Olga hat den "Offenen Treff" der Brücke Schleswig-Holstein vor einem Jahr selbst noch als Teilnehmerin besucht - denn auch sie hatte mit den Folgen ihrer Flucht zu kämpfen. "Ich bin aus Odessa allein nach Kiel gekommen. Die ersten Monate hier waren für mich nicht einfach. Ich habe viel geweint, und hatte viele negative Gefühle. Aber ich habe viel mit mir selbst gearbeitet und mich dann irgendwann wieder sicher und stabil gefühlt", erzählt die 40-Jährige. Seit einem Jahr ist sie jetzt bei der Brücke angestellt und leitet neben offenen Treffen in Preetz und Plön zum Beispiel auch noch eine Elterngruppe, bei der es speziell um die Bedürfnisse von geflüchteten Familien geht.
Panikattacken und großes Heimweh
Für ihre Arbeit in Deutschland nutzt Olga Farina die gleichen Techniken wie in der Ukraine. Als erstes holt sie heute einen kleinen, pinkfarbenen Ball aus ihrer Tasche. "Das ist ein Anti-Stress-Ball“, erklärt sie. "Wenn man ihn drückt, dann spürt man seinen Körper und das hilft, den Stress zu reduzieren." Die Teilnehmerinnen reichen den Ball zwischen sich herum. Wer ihn in der Hand hat, berichtet von den eigenen Gefühlen und Erlebnissen in den vergangenen Wochen. "Ich hätte nie gedacht, dass man so großes Heimweh haben kann", erzählt eine Teilnehmerin, während sie mit den Tränen kämpft.
Ihre Sitznachbarin berichtet von Panikattacken, die sie immer wieder heimsuchen. "Zwei Mal war ich deswegen im Krankenhaus. Beim dritten Mal hat mich meine Tochter beruhigt und mir etwas zu essen gemacht. Ich weiß jetzt besser damit umzugehen, aber es ist trotzdem ein schreckliches Gefühl", berichtet sie. Olga Farina hört ihnen aufmerksam zu, reicht Taschentücher und bestätigt die geflüchteten Frauen darin, ihre Emotionen zuzulassen. "Es ist wichtig, dass wir diese Gefühle teilen und über unseren Schmerz und die negativen Emotionen sprechen. Denn das nimmt uns ein bisschen Last von den Schultern und hilft uns, alles zu verarbeiten."
Psychologische Betreuung für Geflüchtete
Zum "Offenen Treff" in Preetz kann jeder kommen, der möchte. Das psychosoziale Zentrum der Brücke in Kiel bietet außerdem die Möglichkeit von Einzelgesprächen, die Olga Farina auch manchmal übernimmt. Dass sie die Gespräche auf ukrainisch führen könne, sei ein großer Gewinn für die zum Teil stark traumatisierten Geflüchteten, erklärt Kollegin Amelie von Eye: "Zum einen ist der Vorteil, dass Olga selber ähnliche Erfahrungen gemacht hat und die Leute sich eher verstanden fühlen, zum anderen aber auch, dass sie direkt kommunizieren können, ohne Dolmetscherinnen und Sprachmittlerinnen."
Die ukrainische Seele verstehen
Auch in Preetz sind sich alle Teilnehmerinnen einig, dass sie am liebsten mit einer Person aus dem eigenen Land über ihre Erfahrungen sprechen. Olga Farina könne sie ganz anders verstehen als ein Mensch, der Krieg und Flucht nur aus Erzählungen oder dem Fernsehen kenne, sagen die Frauen. Die Psychologin hört mit und lacht leise. "Ich kann eben die ukrainische Seele verstehen", meint sie. Am liebsten würde sie auch noch spezielle Angebote für geflüchtete Kinder und Jugendliche entwickeln, sagt Olga Farina. Ob es dafür eine Finanzierung gibt, muss sie noch abwarten. Was für die Ukrainerin aber jetzt schon feststeht: Ihre Arbeit in Deutschland hat gerade erst begonnen.