Expertin zu "Artgemeinschaft": SH spielt eine wichtige Rolle
Die Bundesregierung hat die Neonazi-Organisation "Artgemeinschaft" verboten und in mehreren Bundesländern deren Räume durchsucht. In Schleswig-Holstein soll sie unter anderem ihre Wurzeln haben. NDR Schleswig-Holstein hat mit Extremismusexpertin Andrea Röpke darüber gesprochen.
Laut Bundesinnenministerium richtet sich die Gruppe "gegen den Gedanken der Völkerverständigung" und "gegen die verfassungsmäßige Ordnung". Deshalb hat Nancy Faeser (SPD) den Verein verboten. Sie nannte die "Artgemeinschaft" eine "sektenartige, zutiefst rassistische und antisemitische Vereinigung".
Frau Röpke, im Fall der "Artgemeinschaft" ist jetzt von 150-300 Mitgliedern die Rede. Das klingt relativ wenig. Wie wichtig ist die Gruppierung in der rechtsextremen Szene?
Andrea Röpke: Die "Artgemeinschaft" ist ja seit den 50er- und 60er-Jahren aktiv. Sie verbreitet vor allen Dingen Antisemitismus und Rassismus. Sie hat ein so genanntes Sittengesetz und sie nimmt immer mehr Einfluss auch in den sozialen Medien. Das heißt, man kann es nicht an diesen Mitgliederzahlen ausmachen, sondern ihr Einfluss ist viel, viel weitreichender.
Welche konkrete Gefahr geht von dieser Gruppierung aus, die dann ein Verbot rechtfertigt?
Röpke: Die "Artgemeinschaft" ist eine Organisationsstruktur, die einerseits völkische Ideologie verbreitet. Das heißt, auch völkische Lebensweise, deutsches Brauchtum, Elitegedanken. Aber andererseits eben auch mit militanten Kameradschaften zusammenarbeitet, mit verbotenen Strukturen bis hin zu terroristischen Kameradschaftstrukturen. Das heißt, sie ist sehr unberechenbar und waffenaffin über ihre Mitgliederinnen und Mitglieder.
Welche Rolle spielt konkret Schleswig-Holstein jetzt für diese Gruppierung?
Röpke: Die "Artgemeinschaft" ist in den 50er- und 60er-Jahren vor allen Dingen über völkische Siedlerinnen und Siedler in Schleswig-Holstein über Alt-Nazis mit aufgebaut worden. Dann hat Jürgen Rieger von der NPD in Hamburg das Ganze übernommen - auch mit sehr starkem Hang und sehr vielen Aktivitäten in Schleswig-Holstein. Und mittlerweile sind dort auch viele aus den Kameradschaftsstrukturen mit aktiv. Schleswig-Holstein spielt da durchaus eine wichtige Rolle.
Wie stark schätzen Sie denn insgesamt die rechtsextremistische Szene hier im Land ein?
Röpke: Also ich glaube, dass sie sehr geschickt, sehr professionell agiert. Das heißt, nicht mehr wie bei der NPD, dass man mit Provokation arbeitet, sondern ihnen gelingt es wirklich, auch an Strukturen der Alternative für Deutschland (AfD) und an rassistische, antisemitische Ressentiments über die so genannte "Querdenken-Bewegung" anzudocken. Sie sind stärker denn je und sie fühlen sich zur Zeit im Aufwind. Die rechtsextreme Szene ist sehr selbstbewusst, auch an der Küste, und das macht sie umso gefährlicher.
Haben Sie vielen Dank für Ihre Einschätzung Frau Röpke.
Das Interview führten die NDR Schleswig-Holstein-Moderatoren Marie-Luise Bram und Gerrit Derkowski.