Echt: Wie aus der Flensburger Rock-AG eine Boyband wurde

Stand: 04.02.2024 10:57 Uhr

Als sie zum ersten Mal für die Bravo abgelichtet und interviewt werden und ihr Song auf dem Musiksender Viva läuft, gehen Kim Frank, Florian Sump, Kai Fischer, Andreas Puffpaff und Gunnar Astrup noch zur Schule. Die Kurt-Tucholsky-Schule in Flensburg ist der Ort, an dem alles begann für die Schülerband "Echt".

von Isabelle Breitbach

"Alles wird sich ändern, wenn wir groß sind" - so heißt die erste Single, mit der fünf Jungs aus Flensburg 1998 groß rauskommen, noch bevor sie wirklich groß sind. Bei Flo und Kai flammt dieser Wunsch schon bei ihrer Einschulung auf. Auf der Bühne begrüßen "Teachers Unlimited" die neuen Fünftklässler. Eine Lehrerband, die "The Police" und "Cream" covert, Grönemeyers "Männer" umdichtet und dafür tosenden Applaus bekommt. So was wollen sie auch.

Nach dem Auftritt räumt Englischlehrer Dietmar Wagner, Bassist der Lehrerband, noch im Bandraum auf. Er erinnert sich gut an die erste Begegnung, als Flo und Kai ihn dort aufgesucht haben. Zwei Fünftklässler, die ihn ziemlich direkt fragen: "Können wir nicht auch 'ne Schülerband machen?" Im Bandraum stehen Instrumente und so bittet Wagner sie, etwas vorzuspielen. Zu diesem Zeitpunkt hatte nur einer von beiden Unterricht: Kai lernte Bass. Aber auch Flo konnte auf dem Keyboard etwas klimpern. "Das hab' ich als Grundlage gut gefunden und in der darauffolgenden Woche kamen die beiden schon mit den Sängerinnen an", sagt Wagner.

Fünf Schulbands und eine Lehrerband: Wilde Zeit an der Schule

Eine VHS-Aufnahme einer Lehrerband wird auf einem alten Röhrenfernseher abgespielt. © NDR
Von der damaligen Lehrerband der Kurt-Tucholsky-Schule in Flensburg gibt es VHS-Aufnahmen. Dietmar Wagner ist mit dabei (Zweiter von rechts).

Nach und nach findet sich eine Band zusammen, die Wagner betreut. Damals eine von vielen. "Das war schon eine wilde Zeit. Fünf Schulbands, eine Lehrerband …" Letztere existiert nur etwa ein Dreivierteljahr, aber die Schüler sind nicht zu stoppen. Neben den Sängerinnen Sandra und Becky schleppen Kai und Flo auch einen Gitarristen an: Puffi. Die erste Zeit bleibt wechselhaft. Instrumente werden getauscht, Bandmitglieder kommen und gehen, aber es läuft.

Kim Frank kommt erst ein Jahr später auf die Schule. Als Dietmar Wagner ihn in seinem Unterricht entdeckt, spielt er Querflöte. "Da dachte ich sofort an Ian Andersen von Jethro Tull oder Peter Gabriel von Genesis." Er stellt Kim in seiner Rock-AG vor, aber die Unterstufenband hat musikalisch andere Vorstellungen. Sie nehmen ihn auf, aber als Sänger.

"Die anderen Bands wollten immer was nachspielen, aber die wollten ihre eigenen Sachen schreiben und Flo war eigentlich Hip-Hopper, der auch ständig mit Texten kam und Kai war einfach ein begnadeter Riff-Erfinder, so wie Keith Richards." Dietmar Wagner, Lehrer an der Kurt-Tucholsky-Schule

Der Bandraum, in dem alles angefangen hat, bleibt ihr Fixpunkt an der Schule. Ein fensterloser Raum, vollgestopft mit Instrumenten und Equipment. Hier coacht Dietmar Wagner die Rock-AG. Und auch außerhalb der Schule wird geprobt. Jonas Schäfer, ein älterer Mitschüler und damals ebenfalls Schützling von Wagner, nimmt die Band unter seine Fittiche. Sein Proberaum in Steinberghaff wird auch ihrer.

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Bandfoto:ECHT © ARD

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Rockmusik als Aushängeschild für die Kurt-Tucholsky-Schule

Und wie zuvor schon Jonas Schäfer nimmt Dietmar Wagner die Band mit zum Schüleraustausch ins englische Carlisle. Sein Plan: Rockmusik als Aushängeschild für die Kurt-Tucholsky-Schule. Dass er aufgehen könnte, zeichnet sich recht schnell ab. Unter dem Namen SevenUp spielen sie in Kindergärten und Schulen - 13 Konzerte in zehn Tagen. Misserfolge wie ein Auftritt vor sieben Zuhörern in einem Jugendclub bleiben die Ausnahme. Eine Situation wird Dietmar Wagner wohl nie vergessen: "Wir gingen von der Jugendherberge weg, wo wir unterwegs waren, und da kam Kim mit 30 Mädchen im Schlepptau die Straße längs." Es kommt nicht von ungefähr: Kim entpuppt sich als echter Frontmann - Rampensau und Mädchenschwarm, zu diesem Zeitpunkt aber erst in der siebten Klasse.

Carlisle und die ersten Erfahrungen mit Hysterie

Ein altes Foto zeigt zwei Lehrer und die Schüler, die später die Schülerband "Echt" gründen werden auf einem Bandbus sitzen. © NDR
Jonas Schäfer und Dietmar Wagner mit ihrer Schülerband SevenUp auf dem ersten Bandbus.

An die ersten Erfahrungen mit "der Hysterie" erinnert sich auch Kim Frank. In seiner dreiteiligen Doku "ECHT - Unsere Jugend" kommt er auf die schreienden Mädchen bei ihrer zweiten Tour nach Carlisle, nur ein Jahr später, zu sprechen. Nun als Septett mit Gunnar Astrup am Keyboard und einer ersten CD im Gepäck. Es sei der Moment gewesen, in dem sie "Blut geleckt" hätten, sagt Kim. Ein ambivalentes Gefühl begleitet ihn fortan. Als Sprecher aus dem Off erzählt er in seinem Film: "Schon damals fand ich's geil und beängstigend gleichzeitig, was ich auch in mein Tagebuch geschrieben hab."

Durchbruch als Boyband

Dietmar Wagner ist auf der zweiten Tour nicht dabei. Er wird Vater, weiß seine Schützlinge aber bei Jonas Schäfer in guten Händen und ist bis heute überzeugt: Mit ihrem neuen Keyboarder haben sie einen Qualitätssprung gemacht. Wäre es nach ihrem Entdecker gegangen, dann wären sie wohl SevenUp geblieben. Aber die beiden Sängerinnen scheiden aus - und aus SevenUp wird Echt. Der entscheidende Schritt folgt 1998: der Plattenvertrag, den Jonas Schäfer ihnen vermittelt. Coach Wagner hat sich mittlerweile zurückgezogen, steht der Band aber immer noch nah. Ohne ihre vielen Auftritte, "die Bühnenerfahrung, die diese jungen Menschen hatten", schätzt er, wäre es mit dem Durchbruch wohl nichts geworden. Aber jetzt, als reine Boyband, lässt der nicht lange auf sich warten.

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ECHT – Unsere Jugend © SWR

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Bravo und Viva bringen den Erfolg

"Spooky" sei es anfangs gewesen, so Wagner, als die Jungs plötzlich Autogramme verteilten, nachdem ihr Song "Alles wird sich ändern" auf Viva gespielt wurde. Durch den Musiksender und die Bravo werden die Flensburger schnell bekannt und statt Schule und Bandraum stehen nun Fotoshootings und Promo-Auftritte auf dem Programm. Für den Erfolg lassen sie keine Möglichkeit aus, absolvieren auch etliche Playback-Auftritte, die ihnen eigentlich zuwider sind.

Echte Freunde oder eine Boyband wie alle anderen?

Das hat Folgen - neben den ersten Hits und goldenen Schallplatten auch weniger angenehme. Die Hysterie, so beschreibt es Kim Frank rückblickend, hatten sie jetzt jeden Tag und "sie hat ein ganz anderes Ausmaß angenommen". Die einen lieben, andere hassen sie leidenschaftlich, denn ihr Image ist schnell nicht so anders als das anderer (gecasteter) Boybands, von denen sie sich eigentlich abheben wollen. Als echte Freunde, die echte Musik machen werden sie nicht mehr wahrgenommen.

"Ich glaube, Echt wird es für immer geben"

Dietmar Wagner ehemaliger Musiklehrer und Entdecker der Band "Echt" sitzt in seinem Atelier. © NDR
Auf seine ehemaligen Schüler ist Dietmar Wagner auch heute noch stolz - und er hat sie nie wirklich aus den Augen gelassen.

Ein Teil des Problems: Den größten Erfolg haben sie mit Songs, die andere für sie schreiben: "Du trägst keine Liebe in Dir", "Wo bist Du jetzt", "Weinst Du" oder das Rio Reiser-Cover "Junimond". So konnte es nicht ewig weitergehen. In privaten Aufnahmen, die ebenfalls in seiner Dokureihe zu sehen sind, erklärt Frontmann Kim Frank als einziger überzeugt: "Ich glaube, Echt wird es für immer geben", als es bereits anfängt zu kriseln. 2001 will die Band etwas wagen: endlich ein Album nur mit eigenen Songs - "Recorder". So "Echt" wie nie zuvor, nur kommerziell erfolglos. Wie es weitergehen soll, auch künstlerisch, darüber gibt es Streit. 2002 ist nach vier Jahren Schluss mit Echt.

Lieber Freunde als Band bleiben

Dietmar Wagner hat die Band nie wirklich aus den Augen gelassen, bis sie groß waren und darüber hinaus. Den Hype um Echt, so gesteht er, konnte er erst jetzt so richtig nachspüren, als er die ersten Teile von "ECHT - Unsere Jugend" gesehen hat. Dass die fünf Jungs am Ende lieber Freunde als eine Band bleiben und sich nicht verbiegen lassen wollten, dafür hat er vollsten Respekt: "Ich habe das sehr geschätzt, dass sie diesen Wunsch hatten, weil das ja zu Beginn mit SevenUp auch so war, dass sie ihre eigenen Sachen machen wollten. Und das ist ja auch mein Motto: Do what you like. Egal, ob man Applaus kriegt oder nicht. Man muss einfach zu seiner Sache stehen." Daran hält auch er sich nach wie vor. Nicht mehr als Lehrer, Coach oder Band-Entdecker. Aber als Künstler und Musiker.

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