Drohnen über Brunsbüttel: "Man möchte Unsicherheit schaffen"
Seit gut zwei Wochen werden immer wieder Drohnen über kritischer Infrastruktur in Brunsbüttel gesichtet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Spionage und Sabotage. Ein Sicherheitsexperte hält es für möglich, dass Angst und Schrecken erzeugt werden soll.
Wer steckt hinter den Drohnenflügen über dem Industriepark in Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen)? Der Staatsschutz, die Polizeidirektion Itzehoe (Kreis Steinburg) und die Staatsanwaltschaft Flensburg ermitteln wegen mehrerer mysteriöser und illegaler Drohnenflüge auf der Südseite von Brunsbüttel seit dem 8. August. Dort befinden sich ein Industriepark - der ChemCoast Park, das LNG-Terminal und das still gelegte Kernkraftwerk - alles kritische Infrastruktur. Henrik Schilling vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel ist Experte für maritime Strategie und Sicherheit. Im Interview mit NDR Schleswig-Holstein bewertet Schilling die Situation in Brunsbüttel und spricht über mögliche Motive.
Was ist denn so interessant am ChemCoast Park in Brunsbüttel?
Henrik Schilling: Ich bin mir nicht sicher, ob da ein einzelnes Unternehmen das Ziel ist oder nicht. Man muss immer überlegen, welcher Akteur diese Drohnen startet und was der Hintergedanke dabei ist. Wenn man jetzt Infrastruktur im Groben ausspionieren möchte, dann kann man das mittlerweile auch ganz gut über Satelliten machen - und deswegen glaube ich, das es auch dieser Faktor sein könnte, dass man damit eine Unsicherheit schaffen möchte, dass man zeigen möchte: Da ist Infrastruktur, die ist irgendwie angreifbar. Wir können da mit unseren Drohnen einfach rein fliegen und ihr könnt nichts dagegen machen.
Anders ist es, wenn man sich jetzt LNG-Terminals anschaut. Da ist es deutlich relevanter und gerade, wenn man sagen kann - und das ist ja noch nicht sicher, dass diese Drohnen von russischer Seite aus kämen - dann kann man das natürlich auch als Signal verstehen: Wir haben diese LNG-Terminals gebaut und auch verstärkt genutzt, um unabhängiger von Russland zu sein. Und dann passt das schon zusammen. Deswegen glaub ich eher, dass es vor allem dieser psychologische Effekt ist, dass man Angst streut unter der Bevölkerung und auch dieses Gefühl von Verwundbarkeit erzeugt.
Können Sie eine grobe Einschätzung geben, wie häufig so etwas in Deutschland versucht wird?
Schilling: Ich glaube mittlerweile, dass wir uns daran gewöhnen müssen. Das ist ja auch schon in den letzten Jahren vermehrt vorgekommen. Die Bundeswehr hat, ich würde jetzt nicht sagen - starke Probleme, aber im letzten Jahr waren es genau 446 Überflüge über Bundeswehrstandorte. Da ist natürlich die Zahl spätestens seit 2022 stark gestiegen. Was jetzt andere Industriestandorte angeht: Man hört immer wieder, dass etwas darüber fliegt. Bei Flughäfen ist es das gleiche und dort ist es ja so, das es eine direkte Auswirkung hat. Wenn über einen Industriepark eine Drohne fliegt, dann fliegt die da erstmal und macht vielleicht Bilder oder Videos. An einem Flughafen wird dadurch gleich der Verkehr unterbrochen.
Gibt es einen strategischen Grund, ausgerechnet über Brunsbüttel zu fliegen?
Schilling: Wenn sich das wirklich bewahrheitet, dass das von Schiffen aus gesteuert wird, ja. Wobei man auch sagen muss: Es ist auch nicht so schwer, eine Drohne im Kofferraum zu haben und sich irgendwo in ein Waldgebiet zu stellen. Gerade wenn man diese Drohnen mit höherer Reichweite hat, kann man die eigentlich von überall aus starten lassen. Es steht ja im Raum, dass es sein könnte, dass diese Drohnen von Schiffen aus gestartet sind und dann macht das Sinn. Dann wundert es mich eher, dass wir hier über der Ostsee so etwas nicht noch häufiger haben.
Und wie sieht es mit dem Abschießen von Drohnen aus?
Schilling: Da kommt auch die Frage auf: Darf man die einfach abschießen? Das ist immer schwierig, weil erstens muss man das juristisch prüfen. Ich würde behaupten, es ist klar, wenn die Drohne tatsächlich eine akute Gefahr für Infrastruktur oder auch für Menschen darstellt. Das darf die Polizei natürlich machen, wie mit jeder anderen Gefahr auch. Die Frage ist dann aber: Ab wann stellt so eine Drohne eine Gefahr dar? Ist ein reiner Überflug schon eine Gefahr? Müsste man dann sagen: Bei kritischer Infrastruktur - ja? Außerdem ist das mit konventionellen Waffen natürlich schwierig. Im vergangenen Jahr ist es bei Bundeswehr-Standorten nur einmal gelungen, eine Drohne abzuwehren und zum Absturz zu bringen.
In Brunsbüttel mündet ja auch der Nord-Ostsee-Kanal in die Elbe...
Schilling: Da können Drohnen vielleicht nicht so viel ausrichten, aber auch der Nord-Ostsee-Kanal ist kritische Infrastruktur. Man kann natürlich darüberfliegen, sich das anschauen. Was Spionage angeht, ist das eher nicht so relevant. Aber wenn wir im Zuge dieser Drohnen mehr in Richtung kritische Infrastruktur denken, und wie diese von einem Akteur gestört werden kann. Da kann man auch sagen, dass das eine Vorbereitung auf etwas sein könnte, was später mal kommen könnte. Wenn man sich jetzt ausmalt, es gäbe einen großen Konflikt, da ist immer gut für den Gegner zu wissen, wo was ist, was er kaputt machen kann. Ich will damit nicht sagen, dass wir auf diese Richtung zusteuern. Ich glaube nicht, dass so etwas kommt. Wenn herauskäme, dass Russland dahintersteckt, kann man natürlich auch sagen, dass die eben genau wissen wollen, wo bei uns die kritische Infrastruktur ist und sich so ein Lagebild verschaffen.
Am Elbehafen in Brunsbüttel gibt es auch einen Gefahrengutanleger.
Schilling: Ich glaube wir wären naiv, wenn wir glauben würden, dass sich ein möglicher Akteur gerade in Richtung Russland nicht vorbereiten würde und kein Lagebild hätte. Man sieht in den letzten Monaten immer wieder russische vermeintliche Forschungsschiffe, die über kritische Infrastruktur an der Ostsee hin und her fahren und genau aufzeichnen. Das passt ins Bild. Was sie genau damit machen, ist die Frage. Ich glaube nicht, dass plötzlich ein groß angelegter Angriff kommt, dass ganz viel Infrastruktur zerstört würde. Aber das ist natürlich auch in gewisser Weise eine Abschreckung.
Das Interview für NDR Schleswig-Holstein führte Julia Schumacher.