Depressionen und Angst bei Schülern: Kieler Studierende helfen

Stand: 29.05.2024 05:00 Uhr

Ein Team aus 35 Kieler Psychologiestudierenden bietet in Schulen Workshops zur psychischen Gesundheit an. Ihr Ziel ist es, psychische Störungen zu entstigmatisieren und Schülerinnen und Schülern aufzuzeigen, wo sie Hilfe finden können, wenn es ihnen nicht gut geht.

von Lisa Pandelaki

Erst vergangenes Jahr hat Toleen Nachtigall ihr Abitur an der Gemeinschaftsschule Friedrichsort in Kiel gemacht. Jetzt steht sie als Psychologiestudentin selbst vor einer Klasse und spricht über psychische Erkrankungen. "Wir spielen jetzt: Ich hab' noch nie", kündigt sie zu Beginn des Workshops mit den Zwölftklässlern an und beginnt in den Raum zu rufen: "Ich hatte noch nie Alpträume. Ich hatte noch nie Schwierigkeiten morgens aus dem Bett zu kommen. Ich hab mich noch nie einsam gefühlt."

Treffen diese und andere Aussagen zu, halten die 15 Schülerinnen und Schüler ihren Daumen hoch. Trifft es nicht zu, bleibt er unten. Sie sitzen in einem Stuhlkreis zusammen, sehen also, wie andere reagieren. Danach wird evaluiert.

"Ich fand es angenehm zu sehen, dass es uns allen fast gleich geht, außer bei ein paar Fragen", fasst eine Schülerin ihr Empfinden nach der Spielrunde zusammen. "Ich denke, durch die Fragen kann man Schlussfolgerungen ziehen und gucken, wie es einem wirklich geht", ergänzt ein anderer Schüler.

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Workshops werden an Schulen in ganz Europa gehalten

"Mind the Mind" heißt der Workshop, den Toleen hier zusammen mit Kommilitonin Laura Kruse hält. Er gehört zur European Federation of Psychology Students Associations (EFPSA) und soll dazu beitragen, dass psychische Erkrankungen entstigmatisiert werden. Seit neun Jahren gehen Psychologiestudierende europaweit in Schulen, um in interaktiven Workshops Symptome psychischer Erkrankungen zu erarbeiten, aufzuzeigen, dass es jeden treffen kann und wo es Hilfe gibt.

Kieler Studierende setzen Theorie in Praxis um

Zwei junge Frauen sitzen an einem Tisch, auf dem ein Laptopp steht. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Jeder Workshop wird individuell auf die Klassenstufe und die Bedürfnisse der Teilnehmenden angepasst.

Seit diesem Jahr gibt es die Workshops auch in Schleswig-Holstein. "Ich hoffe, SchülerInnen ermutigen zu können, mehr über ihre psychische Gesundheit zu sprechen", erklärt Toleen ihre Motivation. Außerdem sei es eine gute Gelegenheit, die zumeist theoretischen Studiumsinhalte praktisch und sinnstiftend weiterzugeben. Die Workshops geben sie und ihre Mitstudierenden ehrenamtlich.

Vor den Workshops stehen intensive Schulungen

Toleen ist Teil eines Teams aus 35 Psychologiestudierenden in Kiel. Am Anfang dieser Gruppe stand Charlotte Heindorf. Sie kannte die Workshops aus ihrem Bachelor-Studium in Leipzig. "Ich hab' schon im allerersten Workshop gemerkt, dass es mir total Spaß macht mit SchülerInnen zusammen zu arbeiten", erzählt sie. "Ich merke einfach, dass ich mit diesem Wissen was bewirken kann in den Workshops - und das gibt mir ein Gefühl von Selbstwirksamkeit."

Zwei junge Frauen lächeln in die Kamera. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Charlotte (rechts) und Lisa haben die "Mind the Mind"-Gruppe in Kiel gegründet und koordinieren die Workshops.

Für ihren Master zog sie dann nach Kiel. "Mind the Mind" nahm sie mit und gründete zusammen mit Kommilitonin Lisa Lutze die Lokalgruppe. Wer mitmachen möchte, bekommt eine spezielle Schulung zu den Inhalten und besonders auch zur Didaktik. Danach geht es darum, Schulen zu suchen, an denen sie ihre Workshops halten können.

Viele Jugendliche von psychischen Erkrankungen betroffen

"Es ist gar nicht so leicht, Schulen zu finden", erzählt Lisa. Viele der angeschriebenen Schulen meldeten sich nicht zurück - obwohl das Angebot für sie mit keinerlei Kosten verbunden ist. Der Kontakt zur Gemeinschaftsschule in Friedrichsort kam über Toleen zustande. "Das Problem mit psychischen Störungen, das ist etwas, das hier die ganze Schule sehr, sehr beschäftigt, weil wir merken, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler von psychischen Erkrankungen betroffen sind", sagt Schulleiter Manfred Behrens.

Toleen konkretisiert die Situation der Jugendlichen: "Ich hab' FreundInnen, die Lehrkräfte sind und mir immer wieder erzählen, was für einen Druck SchülerInnen gerade aushalten müssen, wegen Noten, wegen des Klimawandels, der globalen politischen Lage, wegen der Auswirkungen der Pandemie."

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Workshops kommen in Friedrichsort gut an

Es ist bereits der achte Workshop, der in Friedrichsort stattfindet - für verschiedene Klassen und Stufen. Das Feedback sei bisher durchweg positiv, sagen sowohl Schulleitung als auch die Studierenden. Wie gut der Workshop bei den Schülerinnen und Schülern ankommt, zeigt sich auch daran, dass alle gut mitarbeiten und keiner den Raum verlässt - auch wenn das Angebot keine Pflichtveranstaltung ist.

Vier Frauen besprechen sich vor einer Gruppe Schülerinnen und Schülern. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
15 Schülerinnen und Schüler nehmen an diesem Tag an dem Workshop teil.

"Auch wenn eine Schülerin, ein Schüler gerade keine Berührungspunkte mit dem Thema hat oder sich noch nicht so ganz bereit fühlt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, kann diese Schülerin oder dieser Schüler vielleicht im späteren Verlauf darauf zurückgreifen", sagt Charlotte.

Stars ohne psychische Probleme? "Das ist nicht so"

Zurück im Klassenraum: "Wir haben euch ein paar Leute mitgebracht, die der ein oder andere vielleicht aus den Medien kennt", erklärt Laura die nächste Folie. Zu sehen sind darauf Fotos von bekannten Personen. Darunter steht, mit welchen psychischen Krankheiten sie zu kämpfen haben.

"Habt ihre ein Idee, warum wir euch diese Folie zeigen?", fragt Laura in die Runde. "Stars werden ja meist als das perfekte Bild dargestellt, haben keine Probleme. Das ist - wie man da jetzt sieht - nicht so", antwortet ein Schüler und zeigt auf die Fotos.

Niemand muss im Workshop Persönliches teilen

Depressionen und Angststörungen sind die beiden psychischen Erkrankungen, die sie in ihren Workshops immer ansprechen. Dazu kann die Lehrkraft der Klasse oder des Kurses sich inhaltlich noch eine weitere Störung aussuchen, zu der dann auch noch informiert wird.

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Persönliches teilen muss niemand. Um dafür trotzdem Raum zu schaffen, ist die Lehrkraft während der 90 Minuten Workshop nicht mit dabei. Im Anschluss daran bleiben die Studierenden immer noch rund eine halbe Stunde vor Ort. Es gebe fast immer noch Redebedarf, erzählen sie.

Workshops sollen Gespräche unter Schülern in Gang bringen

Für die zwölfte Klasse der Gemeinschaftsschule Friedrichsort ist der Workshop vorbei. Einige schreiben an die Tafel, was sie aus den 90 Minuten mitnehmen: "Dass eine psychische Störung nichts Schlimmes ist", "Wie vielfältig Störungen sein können", "Über Probleme sprechen". In kleinen Gruppen verlassen die Schülerinnen und Schüler dann den Raum.

Toleen und Laura sind zufrieden mit dem Workshop an diesem Tag. Sie hoffen, dass sie mit ihren Inhalten Gespräche im Umfeld der Schülerinnen und Schüler in Gang bringen. Dass aus der Floskel "Wie geht’s?" eine echte Einladung wird, sein Inneres ohne Scham vor Stigmatisierung zu teilen.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 29.05.2024 | 19:30 Uhr

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