Das Ende der Freizügigkeit? Der Grenzstreit mit Dänemark
Der ungehinderte Grenzverkehr gilt als eine der zentralen Errungenschaften der EU. Für die knapp 13.000 Grenzpendler aus Schleswig-Holstein ist das EU-Abkommen unerlässlich. Doch immer wieder kontrolliert Dänemark die Grenze. Ein Ärgernis für Betroffene.
Erich Mick fährt jeden Morgen dorthin, wo viele Schleswig-Holsteiner nur im Urlaub hinfahren - nach Dänemark. Zwar lebt er in Flensburg, sein Geld verdient er allerdings jenseits der Grenze. Er arbeitet in einer Ziegelei im dänischen Broager. Ein Betrieb, in dem er nicht der einzige Deutsche ist.
In dem Traditionsunternehmen seien die Hierarchien flacher, der Druck niedriger und gleichzeitig das Gehalt höher als in Deutschland, sagt Mick. Es sind Gründe wie diese, die ihn tagtäglich über die Grenze pendeln lassen.
Acht Jahre Grenzkontrollen
Das läuft mal so, mal so. Morgens gebe es kaum Probleme, aber am Wochenende, in den Ferien oder zur Mittagszeit kann es längere Staus am Übergang geben, so Mick. Bis zu einer Dreiviertelstunde muss er dann warten, um über die Grenze zu kommen. Denn Dänemark kontrolliert wieder seine Grenze zu Deutschland - oder besser gesagt, die Sicherheitskräfte kontrollieren immer noch. Mittlerweile sind es acht Jahre, dass Autofahrer die Absperrungen und Container der dänischen Grenzwächter teilweise nur im Schritttempo passieren können.
Verlängerung wegen Terrorgefahr
Gerade erst hat die dänische Regierung die Kontrollen wieder verlängert. Der Grund diese Mal: Terrorgefahr. Denn immer wieder hat es in den vergangenen Monaten in Dänemark und in Schweden Koran-Verbrennungen gegeben. Auch die angespannte sicherheitspolitische Lage angesichts des Gaza-Kriegs trägt zur erhöhten Vorsicht der dänischen Behörden bei.
Die Begründungen für die Grenzkontrollen variieren. Was heute die Terrorgefahr ist, war zuvor die Migration oder die Pandemie. Seit 2016 geht das so. Immer wieder aufs Neue, alle sechs Monate, verlängert der dänische Staat die Kontrollen wegen nationalstaatlicher Interessen und erhält damit den "Ausnahmezustand" aufrecht.
Mehr Zusammenarbeit statt Grenzen
Eigentlich sollten eben jene Kontrollen an innereuropäischen Grenzen seit dem Schengen-Abkommen von 1985 der Vergangenheit angehören. Ziel des Abkommens ist laut Bundesaußenministerium, dass statt der Kontrollen an Binnengrenzen die Kontrollen an den Außengrenzen des Schengenraums verstärkt und effizienter gestaltet werden sollen. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit der Behörden.
Dänemark ist 2001 dem Schengen-Raum beigetreten. Aber seit acht Jahren sind sie auf dänischer Seite zurück, die Grenzkontrollen. Es ist ein herber Einschnitt für die Pendler aus Deutschland. Laut Zahlen der Region Sønderjylland-Schleswig waren es zuletzt 12.834 Grenzpendler zwischen den beiden Ländern. 12.237 die regelmäßig Richtung Dänemark und 597 die nach Deutschland pendeln. Mehr Kontrollen bedeuten für sie mehr Wartezeiten - aber auch Unsicherheiten und Frust.
Kontrollen als Ärgernis
Erich Mick ist nicht nur selbst Grenzpendler. Als Vorsitzender des Grenzpendler-Vereins setzt er sich auch aktiv für die Interessen derer ein, die in Deutschland leben und in Dänemark arbeiten - und umgekehrt. Dadurch ist er viel mit anderen Grenzpendlern im Kontakt.
Und da gebe es einige, die die Kontrollen als Ärgernis wahrnehmen, erzählt er. Vor allem seien jene betroffen, die später am Tag über die Grenze müssten und im Schicht-Dienst arbeiten würden - wie zum Beispiel im Krankenhaus der Aabenraa Kommune.
Die Pendler müssten bei Kontrollen eine erheblich längere Zeit einplanen, so Mick. "Da kann ich das Ärgernis schon verstehen." Er selbst hat Glück, denn er fährt dann zur Arbeit, wenn die meisten noch schlafen und kehrt zurück, wenn andere zu Mittag essen. Es sei eine spürbare Spannung, die durch die Kontrollen entstünde, sagt Mick. "Man fährt wieder über eine Grenze, an der man kontrolliert werden kann. Da fragt man sich schon: Muss das sein?"
Grenzkontrollen auch Thema bei Staatstreffen
Dass es ein Thema ist, dass die Grenzregion dauerhaft bewegt, zeigt sich auch darin, dass es großer Bestandteil der Gespräche zwischen Schleswig-Holsteins Landesregierung und der dänischen Ministerpräsidentin, Mette Frederiksen, war. Im Januar war eine Delegation aus Schleswig-Holstein nach Kopenhagen gereist, um über Themen wie dieses zu sprechen. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hatte bereits im Vorfeld mehrfach die Grenzpolitik der Dänen öffentlich kritisiert.
Auch Deutschland kontrolliert
Dass Dänemark immer wieder Grenzkontrollen einführt, ist laut des Schengener Grenzkodex nicht verboten. Es sei demnach dann möglich, wenn die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit in Gefahr ist. Dänemark ist zudem nicht das einzige Land, das sich der Sonderregelung bedient. Auch Deutschland hat an seinen Grenzen Kontrollen eingerichtet - zwar nicht an der dänischen, aber zeitweise an den Grenzen zu Österreich oder Polen.
Laut Grenzkodex dürfen die Kontrollen nur in einem begrenzten Zeitraum gelten und die Verlängerungen als auch die Mittel der Kontrollen müssen laut Europäischen Gerichtshof verhältnismäßig sein. Heißt: Es muss geprüft werden, ob statt breit angelegter Grenzkontrollen nicht auch kleinere polizeiliche Maßnahmen die Gefahr abwenden können.
"Kontrollen nicht verhältnismäßig"
Insbesondere zu der Verhältnismäßigkeit gibt es kritische Stimmen. So sagt Anna Kompatscher, Verfassungsrechtlerin der Universität Flensburg, dass die Kontrollen Dänemarks nicht verhältnismäßig seien und die Gefahr bestehe, dass das Prinzip der Freizügigkeit immer weiter ausgehöhlt werde, so Kompatscher.
"Deshalb hat Dänemark - nach dem Gießkannenprinzip - immer wieder neue Gründe aufgeführt, in der Hoffnung, dass einer der Gründe bestimmt akzeptiert wird." Anna Kompatscher, Verfassungsrechtlerin
Dass die einzelnen EU-Länder trotz des Schengen-Abkommens an ihren Binnengrenzen kontrollieren, ist laut Kompatscher Ausdruck dafür, dass die nationalstaatlichen Interessen überwiegen und der europäische Gedanke nicht gemeinsam gedacht wird.
Europa-Wahl stellt die künftigen Weichen
Was am Ende überwiegt, ob es die errungene Freizügigkeit ist oder der Fokus auf nationalstaatlichen Interessen gelegt wird, dafür werden bei der EU-Wahl im Juni die Weichen gestellt. Dann wird sich auch zeigen, ob sich bei der Grenzpolitik etwas tun wird - und ob die Grenzpendler im Land bald mit weniger Stau zur Arbeit fahren können.