Cochlea-Implantat: Wenn das Hörgerät nicht mehr reicht
Das Cochlea-Implantat ist die einzige Prothese, die ein Sinnesorgan ersetzen kann. Am UKSH Kiel erhielten seit 1988 gut 2.000 Patienten ihre Hörhilfe. Einer von ihnen ist Jens-Uwe Claasen. Auch Jahre nach der Operation muss er noch regelmäßig ins UKSH Kiel.
Mit dem Ruhestand kam seine Schwerhörigkeit. Bei Gesprächen musste Jens-Uwe Claasen immer häufiger nachfragen, auch die Hörgeräte die er inzwischen trug, halfen nur noch wenig. "Es wurde eigentlich immer anstrengender. Für meine Umgebung durchaus auch mal nervig, weil ich immer nachfragen musste", sagte Claasen. Im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Kiel riet ihm der Leiter der Audiologie, Matthias Hey, zu Cochlea-Implantaten. Vor drei Jahren ließ sich Jens-Uwe Claasen hinter sein linkes Ohr und vor gut einem Jahr hinter sein rechtes Ohr eine solche Prothese einpflanzen. Wenn man an Innenohrschwerhörigkeit oder Taubheit leidet, übermitteln die Härchen im Innenohr die Signale nicht mehr an den Hörnerv.
Sprachprozessor hinter dem Ohr
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wenn Claasen weiterhin ein Hörgerät trägt. Der Sprachprozessor hinter der Ohrmuschel ist allerdings mit einer Art "Knopf", der am Kopf anliegt, verbunden. Der Prozessor wandelt Geräusche in einen digitalen Code, über den "Knopf", die sogenannte Spule, wird der an das eigentliche Implantat weitergegeben, das unter der Kopfhaut sitzt. Das Implantat gibt diesen Code als elektrische Impulse an die Hörschnecke im Innenohr, der Cochlea, und von dort an den Hörnerv weiter. So kann Claasen wieder hören.
Durch das Felsenbein in die Hörschnecke
Dafür muss allerdings auch ein Loch durch das Felsenbein, den härtesten Knochen im menschlichen Körper, gebohrt werden, um die Hörschnecke zu erreichen. "Das ist nicht so sympathisch. Überhaupt eine Kopfoperation ist nicht so sympathisch", sagt Claasen, daher hat er einige Zeit gebraucht, sich zu der OP durchzuringen. Entscheidend war der Hinweis von Medizinphysiker Hey, dass Kinder ab einem Alter von neun Monaten ein Implantat eingesetzt bekommen, wenn sie taub geboren werden, erzählt er. "Da musste ich mich auch trauen", sagt er.
Regelmäßige Überprüfung in der Audiologie
Claasen muss noch regelmäßig zur Überprüfung in die Audiologie des UKSH Kiel. Die Audiologie ist Teil des Cochlear-Implant-Centrums Kiel-Schleswig. In der gemeinsamen Einrichtung der HNO-Universitäts-Klinik in Kiel und des Landesförderzentrums Hören in Schleswig kümmern sich Experten aus Medizin, Audiologie, Sonderpädagogik, Logopädie und Psychologie um die Patienten, damit sie ein bestmöglich Betreuung vor, während und nach der Operation bekommen. Jens-Uwe Claasen sitzt in der Mitte eines schall-isolierten Raums. Aus den Lautsprechern rauscht es - mal lauter, mal leiser. Auf einem Touchscreen muss Claasen sein Hörempfinden auf einer Skala von sehr laut bis nichts gehört angeben. "Wenn zum Beispiel ein Topfdeckel in der Küche auf die Erde fällt, dann scheppert es. Wenn wir ohne Cochlea-Implantat das hören, ist es uns einfach zu laut. Und bei Herr Claasen wäre das eventuell sehr unangenehm. Und das würde man dann von vornherein reduzieren."
Implantat ist eine "Krücke, aber eine edle"
Außerdem wird sein Sprachverständnis getestet, denn das ist im Alltag für ihn am wichtigsten. Wenn man nicht versteht, was der Gesprächspartner sagt, kann man nicht richtig kommunizieren. Bis heute ist das Cochlea-Implantat die einzige Prothese, die ein Sinnesorgan ersetzen kann. Ganz so wie vor einer Schwerhörigkeit hören die Patienten es allerdings nicht wieder. "Der Operateur hat mal gesagt: Das ist eine Krücke, aber eben eine sehr edle. Das ist nicht so wie natürliches Hören. Aber man kann eben an Gesprächen teilnehmen oder Freunde treffen, sich unterhalten", sagt Jens-Uwe Claasen. Und das bedeutet Lebensqualität.
Implantat-Zentrum arbeitet interdisziplinär
Auch der heutige Termin in der UKSH-Audiologie ist interdisziplinär. Claasen trifft auf eine Audiometristin, einen Medizinphysiker, eine Logopädin und eine Medizinerin. Die Ergebnisse der Hörtests in der Audiometrie werden vom Medizinphysiker Hey im Nachbarraum direkt in die Sprachprozessoren von Jens-Uwe Claasen einprogrammiert. Dazu werden die Sprachprozessoren nacheinander an den Computer angeschlossen. Auf dem Monitor kann der Medizinphysiker die Frequenzen der hohen, mittleren und tiefen Tonbereiche gezielt ansteuern und so einzelne Frequenzenbereiche verstärken oder reduzieren. Dadurch verbessert sich das Hörvermögen von Claasen.
Patienten zwischen neun Monaten und 90 Jahren
Inzwischen wurden im Implantat-Zentrum gut 2.000 Patienten zwischen acht Monaten und 90 Jahren operiert. Die Besuche in der Audiologie dienen zunächst Claasen und den anderen Patienten, da sie ihre persönliche Situation verbessern sollen. Die Daten nutzt Hey mit seinem Team auch für Forschungszwecke. Die Cochlea-Implante werden permanent weiterentwickelt. Lange ging es darum, dass die Patienten wieder hören können. Das Cochlea-System hat jedes Geräusch verstärkt. War es in der Umgebung laut, hat der Patient trotzdem große Schwierigkeiten gehabt, Gesprächen zu folgen, da die Sprache in den Umgebungsgeräuschen untergegangen ist.
UKSH treibt Weiterentwicklung voran
Heute seien die Ansprüche viel höher, sagt Hey. Im Beruf und der Schule seien den ganzen Tag auch andere Geräusche. "Und es geht darum, mit dieser Hörprothese, das was man verstehen möchte, von dem ganzen Lärm zu trennen." Dank der Forschung am UKSH geht das inzwischen deutlich besser, die Software konnte in den letzte Jahren weiterentwickelt werden, damit das Gerät Störgräusche "filtert".
"Wir haben in den letzten Jahren verschiedene Untersuchungen durchgeführt, um diese Algorithmen so in Straßenlage zu bringen, dass sie wirklich von jedem eingesetzt werden können - wenn sie Kinder in der Schule sind, wenn sie Erwachsene auf einer Familienfeier sind oder in einem Restaurant - um das eigentliche Verstehen bei Hintergrundgeräuschen besser hinzubekommen", erläutert der Leiter der Audiologie.
Implantate sind Bluetooth-fähig
Und auch die technische Ausstattung hat sich weiterentwickelt. Bluetooth ist inzwischen Standard. Deswegen gehört es inzwischen auch zur Aufgabe der Logopädin Susanne Wendt Jens-Uwe Claasen zu erklären, wie man technische Geräte direkt mit der Prothese koppelt. Wendt erklärt Claasen heute, wie ihm ein Minimik im Alltag helfen kann. Das Minimik ist eine Art Ansteckmikrofon. Gesprächspartner können es sich in lauter Umgebung ans die Kleidung stecken, das Sound wird direkt an das Implantat übermittelt.
Entspannte Fernsehabende
Auch sein Smartphone kann Claasen mit seinen Implantaten verbinden und so Gespräche führen. Auch den Ton seines Fernsehers lässt er sich direkt ins Ohr senden. Vor der Operation hat er Kopfhörer genutzt, um sein TV-Gerät nicht voll aufdrehen zu müssen. Die gemeinsamen Fernsehabende mit seiner Frau waren dadurch aber nicht sehr kommunikativ: "Ich war immer offline für das bilaterale Gespräch. Seitdem ich jetzt die Implantate habe und eben mein Fernseher auch über Bluetooth hören kann, ist das Thema deutlich entspannt."
Jedes Mal kommt man ein Stück weiter
In der Audiologie ist Claasen für heute fertig, jetzt geht es für ihn noch zum Tages-Abschlussgespräch mit der Direktorin der HNO-Klinik, Professorin Petra Ambrosch. "Ich finde am besten, dass ich gar nicht merke, wer welche Funktion hat, sondern, dass sich jedes Mal, wenn ich raus gehe, das Gefühl habe, dass wir vorangekommen sind", sagt Claasen. Durch die Implante und die Unterstützung des UKSH-Teams kann Jens-Uwe Claasen sein Leben jetzt fast wieder so führen, wie vor seine Schwerhörigkeit. Dafür nimmer er gerne in Kauf, dass er regelmäßig zur Überprüfung ins UKSH kommen muss.