"BlueBioPol": Wie Meerestiere die Medizin ans Ziel bringen
Wie kommen Arzneimittel oder Stammzellen genau an die Stelle im Körper, an der sie gebraucht werden? Das Kieler Forschungsprojekt BlueBioPol sucht die Lösung in Trägerstoffen, die aus dem Meer kommen.
Bei einem Knochenbruch helfen in den meisten Fällen ein Gips und ein paar Wochen Ruhe. Mitunter arbeiten Chirurgen auch mit Nägeln, Stiften, Schrauben und Platten. Es gibt jedoch Brüche, bei denen der Spalt zwischen den Knochen so groß ist, dass sie so nicht heilen können. "Da muss vom Patienten oft selbst Knochenmaterial gewonnen werden, was eine zusätzliche Belastung durch eine zusätzliche OP für den Patienten bedeutet", sagt Sabine Fuchs von der experimentellen Unfallchriurgie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) und Koordinatorin des Projekts BlueBioPol. Da solche Patienten häufig bereits älter sind, entspricht das Gewebe "nicht den Qualitätskriterien", so Fuchs.
Knochen im Labor züchten
Darum verfolgt die Zellbiologin mit ihrem Team bei BlueBioPol einen anderen Ansatz: "Die Hoffnung besteht darin, im Labor neuen Knochen zu züchten, der dann als Implantat-Material für den individuellen Patienten genutzt werden kann." Die Idee: Stammzellen der Patienten aus dem Knochenmark gewinnen, diese direkt an die defekte Stelle bringen, damit sie sich dort ansiedeln, vital sind, sich teilen und neues Knochengewebe bilden.
Biokompatibel und biologisch abbaubar
Stammzellen aus Knochenmark zu gewinnen, ist kein Problem. Aber wie kommen diese Stammzellen zu der defekten Stelle? Der Ansatz des Teams am Quincke-Forschungszentrum in Kiel sind wasserunlösliche Gele, sogenannte Hydrogele. Sie dienen als Transportmittel. Stammzellen werden in ihnen verkapselt. Das Forscherteam will die Hydrogele aus marinen Biopolymeren, also grundlegenden Verbindungen von Meereslebewesen herstellen und setzt auf Alginat aus Meeresalgen, Collagen aus Quallen und Chitin aus den Panzern von Krustentieren. "Marine Biopolymere besitzen den Vorteil, dass sie weniger immunologische Reaktionen aufweisen", sagt Fuchs, sie seien besonders kompatibel zum menschlichen Gewebe und biologisch abbaubar.
Modelle aus menschlichen Knochen
Aus einem Brutschrank holt Fuchs ein Versuchsobjekt. Ein knapp einen Zentimeter hohes Stück eines menschlichen Oberschenkelknochens. Der Patient habe ein künstliches Hüftgelenk erhalten, dafür sei der Knochen teilweise entfernt worden, erklärt Fuchs. In die Mitte haben die Forscher eine Mulde gebohrt. Sie wollen es schaffen, dass diese wieder komplett mit Knochengewebe gefühlt wird. Durch ein digitales 3D-Abbild wissen sie genau, wie groß das Loch im Knochen ist und welche Form es hat. Diese Informationen geben sie an einen Bio-3D Drucker, der aus einem Hydrogel das genaue Gegenstück druckt.
Konsistenz wie ein Gummibärchen
Dafür wird das zähflüssige Hydrogel, in dem sich auch die Stammzellen befinden, von dem Drucker durch blaues Licht Schicht für Schicht ausgehärtet. "Die Konsistenz kann man sich vorstellen wie ein Gummibärchen", sagt Julie Kühl, Doktorantin in der Forschungsgruppe. Da die Forscher noch am Anfang ihrer Arbeit stehen, bestehen die Hydrogele momentan noch fast ausschließlich aus künstlichen Hydrogelen. Ihre Aufgabe ist es jetzt nach und nach immer mehr bioloigische Bestandteile hinzufügen bis die Hydrogele komplett aus Grundstoffen von Algen, Quallen und Krustentier-Panzern bestehen. Nach etwa 20 Minuten ist der Drucker fertig und die Doktorantin befördert das Resultat mit einem kleinen Löffel vorsichtig in die Mulde im Knochen. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob die Stammzellen vital sind und beginnen sich zu Knochenzellen zu verändern und zu vermehren.
CT und MRT sollen in Praxis helfen
Wenn die Forschung erfolgreich sein sollte, wäre es später möglich per Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) ein 3D-Abbild eines gebrochenen Knochens zu erstellen, dessen Spalt so groß ist, dass er von alleine nicht mehr zusammenwachsen würde und ein passgenaues Fühlstück im Bio-Drucker zu drucken und entsprechend einzusetzen, damit die vitalen Stammzellen dafür sorgen, dass der Bruch schnell, vollständig und stabil heilt. Bei ihren momentan verdruckten Hydrogelen lassen sich bereits durchs Mikroskop Stammzellen erkennen, die anwachsen.
Durchblutungsstörungen und Aneurysmen
Die Behandlung von Knochendefekten ist aber nicht die einzige Möglichkeit marine Biopolymere als Trägerstoffe einzusetzen. Die Arbeitsgruppe "Translationale Kardiologie und Angiologie" versucht eine regenerative Therapieform für Durchblutungsstörungen und Aneurysmen (Ausbuchtungen) in Muskelgewebe beziehungsweise in Gefäßwänden zu finden. Und auch das Fuchs-Team geht weiteren Ideen nach.
Künstliches und Natürliches soll zusammenwachsen
Mit einem anderen 3D-Drucker drucken sie aus einem Gemisch von künstlichen und körpernahen Substanzen Implante, die mechanisch sehr stabil sind. Diese sehen aus wie Rohre, die poröse Außenwände haben. Sie ähneln einem Schwamm und sind der inneren Knochenstruktur nachempfunden. Die Forscher wollen in die Mitte das im Druck gehärtete Hydrogel mit verkapselten Stammzellen stecken. Dort sollen sie Knochengewebe bilden, den Innenraum also verknöchern und auch in die Löcher der Außenwand wachsen, sodass sich das Knochengewebe mit dem Implantat verbindet und dann dem Patienten eingesetzt werden kann. 3D-Druck in der Medizin ist nicht ungewöhnlich, aber das seien nur Konstrukte auf Materialbasis, sagt Fuchs: "Der Schritt hin zum Bio-Druck, Dass man wirklich vitale Zellen integrieren kann oder bioaktive Substanzen, darin besteht die Herausforderung." Und dabei sollen die marinen Biopolymere helfen.
Einsatz bei chronischen Entzündungen
Und auch bei chronischen Entzündungen von Gelenken sollen Hydrogele zum Einsatz kommen. Denn sie dienen nicht nur als gedrucktes Trägermaterial für Stammzellen. Sie können auch per Spritze injiziert werden und so Arzneistoffe direkt an die betroffene Stelle transportieren. Für Labortest mischt der technische Assistent Lennard Arp ein Hydrogel aus drei Komponenten und zieht es dann in eine Pipette. Das könnte man auch mit einer Spritze machen und dann an entzündete Stellen spritzen, sagt Arp. Sabine Fuchs ergänzt: "Angenommen jemand hat eine Entzündung im Kniegelenk und man möchte jetzt Arzneistoff direkt in das Kniegelenk spritzen, sodass sich dieser auch auf die Oberfläche vom Kniegelenk anlagert, dann kann man die Hydrogele verwenden." Die Substanz würde an der Gelenkoberfläche regelrecht anheften und die Wirkstoff genau da abgeben, wo er gebraucht wird.
Wirkstoffe durch externe Impulse auslösen
Die Wissenschaftler versuchen dabei auch, die Hydrogele mit den Wirkstoffen zu überfrachten und auszuprobieren, ob sie durch bestimmte Reize, wie zum Beispiel Licht, Temperatur oder elektrischen Impuls, eine bestimmte Dosis der Arznei freigeben. Dazu müssen bestimmte, funktionale Nanomaterialien beigemischt werden. Das hätte den Vorteil, dass mit einer Injektion mehrere Wirkstoffgaben möglich wären und so die Entzündung für eine längere Dauer minimiert werden könnte.
In drei Jahren sollen vitale Zellen gedruckt werden
Das Forschungsprojekt "BlueBioPol" ist auf drei Jahre ausgelegt. Sabine Fuchs geht davon aus, dass sie mit ihrem Team den Druck von vitalen Zellen auf Forschungsebene in diesem Zeitraum schaffen wird. Das Fernziel, die Anwendung in der Klinik, wird vermutlich innerhalb des Projekts nicht erreicht werden, da dort auch langwierige Zulassungsprozesse durchlaufen werden müssen.
Bund fordert mit rund 800.000 Euro
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) glaubt an das Projekt und fördert es mit rund 800.000 Euro. Neben den Arbeitsgruppen des UKSH sind auch die Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU) und die oceanBASIS GmbH an dem Projekt beteiligt, das im Regionalen Bündnis "BlueHealthTech" angesiedelt ist.