Ausbildung zur Hebamme: "Die Geburt ist ein ganz emotionaler Moment"
Die Geburtshilfe in Schleswig-Holstein steht unter Druck. Trotzdem wollen jedes Jahr Hunderte Bewerberinnen und Bewerber Hebammen werden. Wir haben eine von ihnen begleitet.
Es ist voll auf der Geburtsstation im Städtischen Krankenhaus Kiel, fast alle Kreißsäle sind an diesem Vormittag belegt. In einem davon lernt Lia-Marie Boxberger gerade, wie man einen Wehentropf legt. Die 23-Jährige will Hebamme werden und studiert deshalb seit dem vergangenen Herbst Hebammenwissenschaften an der Universität Lübeck, den Praxisteil ihrer Ausbildung macht sie in Kiel.
Hebammenwissenschaften in Kiel: 240 Bewerbungen auf zwei Plätze
Damit ist sie eine von Hunderten, die sich für den Beruf begeistern, allein am Städtischen Krankenhaus in Kiel bewerben sich laut der leitenden Hebamme Martina Piol bis zu 240 Interessierte auf zwei Plätze pro Jahr. Und das, obwohl die Geburtshilfe nicht nur in Schleswig-Holstein in einer tiefen Krise steckt. Mehrere Krankenhäuser haben ihre Geburtsstationen geschlossen, oft aus wirtschaftlichen Gründen. Das hält Menschen wie Lia-Marie Boxberger aber nicht davon ab, sich an die Ausbildung wagen.
Ein Beruf, für den man brennt
"In meiner vorherigen Ausbildung als Physiotherapeutin habe ich auf der Frühgeborenen-Intensivstation auch den ein oder anderen Praxiseinsatz gehabt", erzählt die 23-Jährige. Dort ist sie fasziniert davon, wie sehr die Hebammen sich für ihren Beruf begeistern können. "Da habe ich festgestellt, dass das ein Beruf werden könnte, für den ich auch so sehr brennen könnte, auch wenn es oft anspruchsvoll ist", sagt sie. Dieses Brennen, die Leidenschaft, beschreibt auch Ausbilderin Martina Piol. "Für den Beruf braucht man eine große Begeisterung und da sind einem die Hürden eigentlich auch egal."
Schließung von Geburtsstationen belastet Arbeit der Hebammen
Aber es gibt sie, die Hürden. Durch die Schließung von anderen Geburtsstationen haben die verbleibenden mehr zu tun. Das ist auch im Städtischen Krankenhaus Kiel spürbar, sagt Piol. "Letztens hat sich eine Frau von Fehmarn angemeldet, wir haben Frauen von den Inseln, die hier irgendwo Geburtskliniken suchen. Das ist eigentlich ein unhaltbarer Zustand", berichtet die Praxisanleiterin. Aus Angst, es nicht rechtzeitig zu schaffen, kommen viele Frauen deutlich früher in die Klinik und müssen dementsprechend länger betreut werden. Das beschreibt auch Julia Minninger, Regionalsprecherin der Jungen und Werdenden Hebammen (JuWeHen) im Deutschen Hebammenverband. Für die Ausbildung neuer Hebammen ist zudem problematisch, dass vor allem kleinere Kliniken sich Geburtshilfe nicht mehr leisten können. "Gerade die kleinen Häuser sind oft sehr gut, um zu lernen", sagt Minninger. "Henstedt-Ulzburg ist da ein Beispiel, was sicherlich einen großen Verlust darstellt, wenn es nicht mehr als Kreißsaal und auch nicht mehr als Ausbildungshaus fungieren kann."
Akademisierung verbessert Ausbildung - kostet aber Plätze
Doch auch die Ausbildung selbst ist anspruchsvoller geworden. Wer Hebamme werden will, muss seit 2020 dual studieren, immer im Wechsel zwischen Hör- und Kreißsaal. Schleswig-Holstein war das erste Bundesland, das bereits im Jahr 2017 einen entsprechenden Studiengang in Lübeck einführte. Rund 30 Plätze gibt es laut Julia Minninger jedes Jahr. Die Akademisierung habe die Qualität der Ausbildung verbessert, findet sie. "Weil man mittlerweile sehr reflektiert in die Praxis geht", erklärt sie. "Es ist durchaus so, dass wissenschaftliche Erkenntnisse lange brauchen, bis sie in der Praxis ankommen, aber das Hebammenstudium bildet jetzt gerade die Brücke. Die Studierenden tragen neu erworbene Erkenntnisse in die Praxis und können dort in die Diskussion gehen und zum Teil auch neue Standards anregen."
Gleichzeitig sind durch die Umstellung auf das duale Studium auch Ausbildungsplätze verloren gegangen. Denn die neuen Lehrpläne geben vor, dass die Studierenden in den Praxisphasen einen bestimmten Anteil sogenannter Anleitungsstunden bekommen müssen, in denen ihnen abseits einer konkreten Geburt fachliche Abläufe erklärt werden. Diese Praxisanleitungen kann aber nicht jede Hebamme durchführen, dafür ist eine zusätzliche Fortbildung nötig. Außerdem gehen die Anleitungsstunden von der Arbeitszeit der Hebammen in den Kreißsälen ab, was es für viele Kliniken schwierig mache, diese personellen Ressourcen vorzuhalten, erklärt Ausbilderin Piol. Dadurch gibt es jedes Jahr deutlich mehr Bewerbungen, als die Kliniken Kapazitäten haben. "Das heißt, wir haben eigentlich einen Hebammenmangel später in der Praxis und gleichzeitig sind wir limitiert in der Nachwuchsförderung", sagt Minninger.
Auch Gewalterfahrungen bedenken
Auch der Hebammenberuf an sich hat sich verändert. Hebammen bräuchten inzwischen deutlich mehr Wissen über Vorerkrankungen wie Schwangerschaftsdiabetes oder Bluthochdruck, meint Piol. Außerdem erklärt sie Lia-Marie Boxberger an diesem Vormittag, wie wichtig der richtige Ton bei einer Untersuchung ist. "Viele Frauen haben Gewalterfahrungen gemacht. Wir sagen zum Beispiel nicht einfach ‚Entspann dich!‘, das ist so eine Sprache, die auch Menschen benutzen, die Frauen misshandeln." Es sei deshalb besonders wichtig, das Vertrauen der Frau zu gewinnen und einen geschützten Raum zu schaffen.
Moment der Geburt "jedes Mal ein Geschenk"
Viel zu lernen also für angehende Hebammen. "Es ist schon so, dass die Dienste für mich anstrengend sind, weil es ist auch theoretisch für mich ganz viel Input ist", erzählt Lia-Marie Boxberger. Am Anfang erlebe man oft Situationen, in denen man noch nicht unterstützen könne. "Gerade wenn es eine Notfallsituation ist, steht man manchmal so ein bisschen tatenlos nebendran. Da ist man nach dem Dienst dann schon unzufrieden, weil man nicht so helfen konnte, wie man wollte", sagt die angehende Hebamme. Mittlerweile könne sie Situationen aber schon besser einschätzen, außerdem finde sie ihren Ausgleich im Sport. Im Städtischen Krankenhaus fühlt sie sich sehr wohl. "Wie wir hier als Studenten begleitet, wie wir mitgenommen werden, selbst in ganz stressigen Situationen, das ist für uns das Schöne." Besonders motivieren sie aber die Erlebnisse mit den werdenden Eltern. "Wenn es zur Geburt kommt, das ist natürlich ein ganz emotionaler Moment", beschreibt sie. "Wenn man den ersten Kontakt zwischen dem Kind und der Mutter spürt, wo das Herz schneller schlägt. Das ist jedes Mal ein ganz großes Geschenk."