Aufbruchstimmung im digitalen Dorf
Digitalisierung und Landleben gehen gut zusammen und können ganz neue Perspektiven eröffnen - das beweisen zwei ganz verschiedene Projekte im ländlichen Raum.
Die Dorf-Whatsapp-Gruppe, smarte Lösungen, mit denen Landwirte digital ihre Bewässerung kontrollieren können, mobiles Arbeiten auf dem Land und in kleineren Städten - auch außerhalb der großen Metropolen ist die Digitalisierung angekommen. Vielerorts gibt es inzwischen auch eine sehr gute Internetversorgung, die aber nicht unbedingt entsprechend genutzt wird. Zwei Projekte wollen zeigen, was mit Digitalisierung im ländlichen Raum alles möglich ist: Zum Beispiel ein Co-Working-Space mitten auf dem Dorf.
Alternative zum Homeoffice
Stabiles WLAN und guter Kaffee gehören wohl zu den wichtigsten Dingen in einem Co-Working-Space. Beides gibt es im Co-Working-Holzcontainer im dörflichen Niendorf an der Stecknitz, in Schleswig-Holstein nahe der Grenze zu Hamburg. Als Co-Worker sitzt man hier am Schreibtisch in einem luftig gestalteten und im Lounge-Stil eingerichteten Holzcontainer. Wie zum Beispiel ein Mitarbeiter einer Hamburger Behörde. Da er im Homeoffice arbeiten soll, ist der Co-Working-Space am Niendorfer Dorfplatz für ihn eine schöne Abwechslung zum Arbeitszimmer: "Morgens mache ich die Haustür zu und gehe nur einen ganz kleinen Schritt weiter - aber doch habe ich eine deutliche Trennung von Privat und Dienst."
Digitalisierung bietet viel Potential für Lösungen
Der Co-Working-Space mit jeweils zwei Arbeitsplätzen drinnen und draußen steht hier noch bis Mitte September und wird von der Wirtschaftsförderung im Kreis Herzogtum Lauenburg gefördert. Initiatorin des Experiments ist die Digitalberaterin Sandra Schink. Sie hat noch mehr mit dem Dorf vor und will zeigen, was alles möglich ist, wenn sich die 650 Einwohner*innen auf mehr Digitalisierung einlassen: "Weil es hier im Winter sehr dunkel ist, werden hier die Laternen über Nacht angelassen. Manche Bürger*innen haben aber so eine Laterne direkt vor ihrem Schlafzimmerfenster und fühlen sich durch das Licht gestört. Durch digitale Lösungen wie Bewegungssensoren könnte sich diese Laterne dimmen, wenn jemand in der Nähe ist."
Pioniere wollen Städte wiederbeleben
Mobiles Arbeiten außerhalb der Stadt - und frische Ideen und Impulse, die Dörfer und Kleinstädte zum Blühen bringen: Dafür steht auch die Initiative "Summer of Pioneers", unter anderem aktiv im brandenburgischen Wittenberge zwischen Hamburg und Berlin. Wittenberge ist eine schrumpfende Stadt mit historischen Gebäuden, viel Leerstand und guter Internetverbindung. Ein halbes Jahr konnten dort 20 Digitalarbeiterinnen und -arbeiter aus Großstädten wie Berlin, Hamburg und Zürich günstig wohnen und im eigens eingerichteten Co-Working-Space in einer alten Ölmühle arbeiten. Im Gegenzug sollten sie vor Ort Projekte in Sachen Kultur, Vernetzung und Digitalisierung voranbringen, von denen alle Wittenberger*innen profitieren. Der Plan ist aufgegangen, sagt Summer of Pioneers-Initiator Frederik Fischer: "Das Safari, ein ehemaliger Geschenkeladen stand hier viele Jahre leer. Ein Team aus Pionieren hat den renoviert und zu einem Kultur- und Begegnungsort gemacht. Im Sommer wurde dort noch ein Open-Air-Kino eingerichtet." In der nächsten Stufe wurde das sogenannte Dschungelbüro gegründet - ein Ort für partizipative Stadtgestaltung. Durch den "Summer of Pioneers" sei eine Menge an Fördermitteln in die Stadt gekommen mit dem Ziel, gemeinsam mit den Menschen vor Ort die Stadt weiterzuentwickeln.
Projekt mit nachhaltiger Wirkung
Das Besondere: Nach Projektende ist die Hälfte der Pioniere geblieben. Sie setzen das Projekt nun als "Elblandwerker" fort, gründeten Agenturen oder arbeiten dort als Selbstständige. Frederik Fischer findet das bemerkenswert: "In Wittenberge kann man wirklich schön sehen, dass das keine Veranstaltung ist, die nach einem halben Jahr weiterzieht. Das Ziel ist es, eine dauerhafte Transformation vor Ort zu unterstützen." Der Summer of Pioneers hat neben Wittenberege noch an drei weiteren Standorten in Deutschland Veränderungen bewirkt: Im westfälischen Altena, im hessischen Homberg und in Tengen in Baden-Württemberg. Dort werden beispielsweise neue gastronomische Konzepte ausprobiert oder Ideen für die Nachnutzung von leerstehenden Gebäuden entwickelt. In Tengen sind die Pläne besonders ambitioniert. Dort konnten die Pioniere für die Dauer des Projektes im örtlichen Schloss arbeiten. Die Gemeinde möchte das Schloss nun dauerhaft als einen Ort für Co-Living, Co-Working, sowie als Innovationshub etablieren. Als "Open-Government Modellkommune" probiert die Stadt während eines zweijährigen Projekts, wie eine digitale Verwaltung für mehr Teilhabe sorgen kann.
Chancen der Digitalisierung aufzeigen
Der Co-Working-Space im dörflichen Niendorf an der Stecknitz wird hingegen kaum genutzt - so die Zwischenbilanz von Digitalberaterin Sandra Schink. Für sie kein Problem: Mit dem Holzcontainer wollte sie vor allem mit Dorfbewohner*innen ins Gespräch kommen und sie neugierig auf die Chancen der Digitalisierung machen. Sie will weiter Angebote machen. So plant sie zum Beispiel generationsübergreifende Programmierworkshops. Ihre Umfragen im Dorf hätten gezeigt, dass ein Dorftreffpunkt und Einkaufsmöglichkeiten dringender gebraucht werden als ein Coworkingspace, sagt die Digitalberaterin. Deshalb träumt sie von einer Dorfmitte mit Café und einem Laden, wo die Niendorfer Einkäufe abholen können, die sie vorab mit einer App aus der nächstgrößeren Stadt dorthin bestellt haben. Sie ist sich sicher: Digitalisierung birgt viele Chancen, das Leben auf dem Dorf besser zu machen: "Wir leben hier in einer der deutschen Regionen, die hervorragend mit Breitbandinternet ausgestattet sind, und ich finde, daraus sollten wir was machen", sagt sie. Bis zum 10. September steht der Co-Working-Container noch am Dorfplatz in Niendorf an der Stecknitz. Die vier Arbeitsplätze können kostenlos genutzt werden. Am 10. September kommt Schleswig-Holsteins Landwirtschafts- und Digitalminister Jan Phillip Albrecht zu einer Podiumsdiskussion rund ums Thema "Digitale Dörfer" nach Niendorf.