Mordprozess Bramsche: Darf Gericht Urteil unveröffentlicht lassen?
Eine 19-Jährige wird im März in Bramsche getötet. Ein 20-Jähriger steht nun vor Gericht - unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler hält das für rechtswidrig.
Kritik übt der Professor von der Universität Oldenburg an dem rigorosen Ausschluss der Öffentlichkeit im Mordprozess gegen den 20-jährigen Angeklagten. So hatte das Landgericht Osnabrück angekündigt, keine "weitergehenden Auskünfte" zur Tat und zur "ausgeurteilten Strafe" geben zu wollen. Zwar sei es richtig, Jugendliche zu schützen, erklärte Boehme-Neßler. Das gehe aber auch ohne Nachrichtensperre und Ausschluss der Presse.
Herr Boehme-Neßler, der Angeklagte muss sich auch wegen anderer Taten verantworten, die er als Jugendlicher begangen haben soll. Das Gericht will ihn besonders davor schützen, stigmatisiert zu werden. Deswegen soll auch das Urteil nicht bekanntgegeben werden. Warum halten Sie das für rechtswidrig?
Boehme-Neßler: Wir müssen uns eins klar machen: Wir leben in einem Rechtsstaat und einer Demokratie. Dazu gehört eine bestimmte Art von Gerichtsverfahren, nämlich Öffentlichkeit. Urteile werden in Deutschland im Namen des Volkes gesprochen. Deswegen muss es grundsätzlich so sein, dass das Volk, die Bevölkerung, die Bürger sehen können, was die Justiz macht. Deswegen müssen Prozesse grundsätzlich öffentlich sein. Sie dürfen nur ganz selten und ganz im Ausnahmefall im Stillen abgehalten werden.
Das ist die juristische Argumentation. Aber mal ganz praktisch gefragt, warum ist das so wichtig, dass wir alle wissen, was da vor Gericht vor sich geht?
Boehme-Neßler: Weil wir Vertrauen in die Justiz haben müssen. Justiz ist ja ein ganz harter Eingriff in den Alltag der Bürger - wir müssen Urteile ja befolgen. Die Urteile werden zur Not mit staatlicher Gewalt durchgesetzt. Wir müssen Vertrauen haben, dass die Justiz rechtsstaatlich arbeitet, dass sie die Gesetze und die Verfassung beachtet. Und zum Vertrauen gehört Transparenz. Das heißt, wir müssen gucken können, wenn wir wollen: Was macht die Justiz da eigentlich? Was machen die Richterinnen und Richter da?
Im Namen des Volkes wird das Urteil gesprochen, das erfährt aber offiziell nichts von diesem Verfahren. Auch nicht über die Presse. Kann man damit auch sagen, die Pressefreiheit ist in dem Fall vielleicht unzulässig eingeschränkt?
Boehme-Neßler: Ja, das kann man auf jeden Fall sagen. Das Bundesverfassungsgericht sagt immer ganz klar, es gibt ohne Pressefreiheit keine Demokratie.
Das Landgericht Osnabrück argumentiert ja mit dem Jugendgerichtsgesetz. Da steht drin: Der Prozess einschließlich der Verkündung des Urteils sind nicht öffentlich. Trotzdem sehen wir das Beispiel des Landgerichts Hannover. Das hat in einem Mordprozess - da ging es um einen 15-jährigen Täter - zumindest das Urteil hinterher veröffentlicht. Wie viel Spielraum hat das Gericht tatsächlich?
Boehme-Neßler: Also das Gericht hat insofern keinen Spielraum, als es den Prozess insgesamt nicht öffentlich machen könnte. Den Prozess einschließlich der mündlichen Verkündung des Urteils am Ende des Prozesses, das muss nicht öffentlich sein. Was danach aber passiert, das kann das Gericht selber entscheiden. Und das heißt, es muss natürlich das Urteil und die Urteilsbegründung veröffentlichen. Gerne gekürzt, auch geschwärzt, um den Angeklagten zu schützen.