Berufserkrankung bei Landwirten: Pestizide verursachen Parkinson
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundessozialministerium hat entschieden, dass Parkinson nach dem Einsatz von Pestiziden eine Berufskrankheit darstellen kann. NDR.de sprach darüber mit dem Vorsitzenden des Beirats, dem Arbeitsmediziner Prof. Thomas Kraus.
Herr Prof. Kraus, zwölf Jahre hat es gedauert, bis die Anerkennung als Berufskrankheit vorlag. Warum so lange?
Thomas Kraus: Wir wussten schon sehr lange, dass es Zusammenhänge zwischen einer Pestizid-Belastung im Beruf und der Parkinson-Krankheit gibt. Aber es war extrem schwierig, die wissenschaftliche Literatur aus der ganzen Welt zu bewerten, aufzuarbeiten und dann Kriterien einer Berufskrankheit für das deutsche Sozialrecht abzuleiten.
In Frankreich ist Parkinson ja schon seit 2012 als Berufskrankheit anerkannt. Auch Italien war schneller. Haben die mehr in Forschung investiert, oder warum ging das dort schneller?
Kraus: Da sind Berufskrankheiten zum Teil anders definiert, und das geht dann einfacher. Wir haben in Deutschland hohe sozialrechtliche Hürden. Und im Ärztlichen Sachverständigenbeirat arbeiten wir alle ehrenamtlich. Wir haben selber gesehen, dass es zu langsam voran ging. Deshalb wurde das Gesetz jetzt auch geändert und wir haben eine wissenschaftliche Geschäftsstelle. Wir hoffen, dass wir dadurch bei künftigen Entscheidungen zur Anerkennung von Berufskrankheiten schneller sind.
Bei Pestiziden denkt man sofort an Glyphosat, dessen Zulassung in Europa trotz vieler Proteste gerade erst verlängert wurde. Hinter Glyphosat und anderen Pestiziden stecken große Herstellerfirmen. Haben diese Firmen oder deren Lobbyisten versucht, eine Entscheidung zu verhindern?
Kraus: Nein, da gab es keinerlei Einflussnahme der Hersteller.
Jetzt haben Sie Risikogruppen definiert. Wer ist denn besonders gefährdet?
Kraus: Landwirte, Winzer und andere Anwender von Pestiziden. Und da sind Herbizide, Fungizide und Insektizide eingeschlossen. Wenn man bei einem dieser Pestizide mindestens 100 Anwendungstage im Berufsleben hatte, dann ist das Kriterium einer Berufskrankheit bei einer gesicherten Diagnose Parkinson erfüllt.
Was hat Sie am Ende überzeugt, so dass sie sicher sagen können, Pestizide können Parkinson verursachen?
Kraus: Letztlich die Vielzahl an Studien aus der ganzen Welt – etwa aus Frankreich oder den USA. Da gab es Studien mit einer guten Datenqualität, auch über die Dosis-Wirkungs-Beziehung.
Was ändert sich für Betroffene, durch die Anerkennung als Berufskrankheit?
Kraus: Wenn ein Betroffener eine Berufskrankheit anerkannt bekommt, dann wird auch geprüft, inwiefern eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Diese Minderung der Erwerbsfähigkeit wird dann in Prozentzahlen angegeben, und dafür gibt es eine finanzielle Entschädigung. Die Zahlung orientiert sich am letzten Jahresbruttoverdienst des Beschäftigten. Und es gibt weitere Leistungen der Unfallversicherung, die sind besser als die normalen Leistungen der Krankenversicherung, wo es immer nur um das Notwendige geht.
Es gibt ja inzwischen deutlichere Warnhinweise, Arbeitsschutzkleidung und -ausrüstung für den Umgang mit Pestiziden - ganz anders, als in der Vergangheit. Reicht das jetzt aus?
Kraus: Die Warnhinweise und Verfahrensregeln fürs Spritzen und Anmischen der Pestizide reichen schon aus. Wichtig wäre, dass sie angewendet würden. Oft fehlt das Bewusstsein für die Gefahr, und die Unterweisungen sind mangelhaft. Da könnte die Anerkennung als Berufskrankheit helfen. Eine neue Berufskrankheit schärft oft das Bewusstsein und bringt einen Schub für die Prävention. Das erhoffe ich mir jetzt auch für Parkinson und den Umgang mit Pestiziden.
Sind die aktuellen Vorschriften denn auch praxistauglich und werden sie kontrolliert?
Kraus: Vor 30, 40 Jahre war das Gefahrenbewusstsein noch nicht so ausgeprägt. Aber es gibt auch heute noch Defizite. Gerade in kleinen und mittelgroßen Betrieben ist noch viel Nachholbedarf. Und auch bei den Kontrollen sehe ich Defizite.
Was ist Ihre Botschaft für junge Landwirte, Gärtner und Winzer, die heute Pestizide nutzen? Müssen die Angst haben, in Zukunft an Parkinson zu erkranken?
Kraus: Ich finde es aus ökologischer Sicht sinnvoll, so wenige Pestizide wie möglich einzusetzen in der Landwirtschaft. Wenn man sie einsetzt, ist es wichtig, dass man sich persönlich schützt, um das Erkrankungsrisiko so gering wie möglich zu halten. Und da geht es vor allem um den Kontakt über die Haut und Atemwege. Wir können sagen: Je weniger ein Landwirt spritzt, desto niedriger ist das Risiko. Und wenn er Pestizide nicht meiden kann, dann muss er sich und seine Beschäftigten gut schützen.
Das Interview führte Susanne Schäfer, NDR.de