Querdenker in der niedersächsischen Provinz
In einem Landgasthof nördlich von Oldenburg finden seit Monaten Vortragsveranstaltungen statt. Die Referenten werden der Querdenkerszene zugerechnet. Verboten ist das nicht. Aber bedenklich und eine Gefahr für die Demokratie.
Der alte Erbkrug in Godensholt, Landkreis Ammerland, ist ein klassischer Landgasthof mit Saalbetrieb. Ende März ist ein bekannter Verschwörungsideologe zu Gast: Kayvan Soufi-Siavash, besser bekannt unter dem Namen Ken Jebsen. Mehr als 100 Besucher wollen hören, was er zu erzählen hat.
Ken Jebsen leugnet Demokratie in Deutschland
Filmaufnahmen sind nicht gestattet. Aber davon gibt es schon genug im Netz. Jebsen hat ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis. Die zahlenden Zuschauer eint mit dem Redner die Vorstellung, dass es in Deutschland keine Demokratie gäbe. Dass die Bundesregierung durch höhere Mächte fremdgesteuert sei. Durch einen sogenannten "deep state", eine Art Weltregierung, die durch ihre ökonomische Macht die Strippen zieht.
NDR spricht vorab mit Jebsen
Zufällig kommt Jebsen einem Kamerateam des NDR entgegen. Er trägt eine schwarze Jogginghose, ein schwarzes Sweatshirt. Er sagt, dass er seinem Publikum eine Stimme geben möchte. Denn in einer "sogenannten" Demokratie würden die Menschen ihre Stimme nur abgeben, aber nicht mehr selbst sprechen und denken.
Querdenker-Forscher: "Sehr vielfältige Szene"
Der Göttinger Politikwissenschaftler Joschua Helmer forscht zum Thema Querdenker und kennt die Szene:
"Es handelt sich dabei um eine sehr vielfältige Szene, die insbesondere durch ihren Glauben an Verschwörungserzählungen und die Ablehnung des politischen Systems zusammengehalten wird."
Widersprüchliche Aussagen
Nicht alles, was Ken Jebsen an Thesen vertritt, möchte er einem breiten Publikum zugänglich machen. So bezeichnet er den russischen Angriffskrieg als einen amerikanischen Krieg. Und behauptet, dass bald deutsche Kinder in diesen Krieg geschickt würden. Im Interview mit dem NDR streitet er das ab. Dabei begründet er in einem Video-Podcast im Dezember 2024 seine Wahlempfehlung für die AfD mit dem angeblich amerikanischen Krieg: "Warum ich im Moment sage: ‚wählt mal Blau.‘ Der entscheidende Punkt in Europa und auch in Deutschland ist die Friedensfrage. Das ist der entscheidende Punkt. Ob wir diesen amerikanischen Krieg, der in der Ukraine ausprobiert wird und der zum Flächenbrand werden kann, ob wir ihn austreten können."
Politikwissenschaftler Helmer sagt, es gebe eine Gemeinsamkeit, die viele Querdenker teilen:
"Man kann sagen, dass viele Verschwörungserzählungen, die in der Szene geteilt werden, offen antisemitisch sind. Indem sie Juden als Feindbild markieren."
Jebsen setzt Israel mit Nazideutschland gleich
Jebsen bedient auch dieses Segment. Zum Beispiel, indem er Israel wegen des Gazakriegs mit Nazideutschland gleichsetzt: "Dieser Staat hat sich entzaubert, vollkommen entzaubert. Das ist nicht mehr das gelobte Land, sondern das ist ähnlich fanatisch wie Deutschland fanatisch war. Ich würde mal sagen ‚auserwähltes Volk‘ und ‚Herrenrasse‘, das ist dieselbe Medaille."
Weitere Querdenker im Erbkrug
Seit mindestens Mai 2024 treten immer wieder Referenten im Erbkrug auf, die der Querdenker- oder Verschwörungsideologieszene zugerechnet werden. Einer der bekanntesten ist Wolfgang Wodarg. Der Arzt bestreitet, dass es jemals eine Corona-Pandemie gegeben habe. Sie sei nur eine Art Erfindung gewesen, damit die Pharmaindustrie damit Geld verdienen kann.
Politikwissenschaftler sieht Szene als Gefahr für Demokratie
Verboten ist das alles nicht. Allerdings gibt Politikwissenschaftler Helmer zu bedenken, dass von Verschwörungsideologen eine Gefahr für die Demokratie ausginge. Weil es Bestrebungen gebe, das politische System zu stürzen. Dazu zähle zum Beispiel auch die Bedrohung von politischen Gegnern.
Besucher bleiben unter sich
Was da an Veranstaltungen läuft, bleibt lange Zeit unter dem Radar. Die genauen Termine und der Ort für die Vorträge werden nicht offen beworben. Auch der Bürgermeister der zuständigen Gemeinde Apen bekommt davon nichts mit. Die Besucher werden über eine Telegram-Gruppe informiert. Man bleibt offenbar lieber unter sich.
Gastronom lehnt Interview ab
Nach den Recherchen von NDR und taz wird die Veranstaltungsreihe allerdings beendet. Bürgermeister Matthias Huber (SPD) sagt, es gebe in Godensholt eine intakte Dorfgemeinschaft: "Ich kann mir durchaus vorstellen, dass der eine oder andere auch formuliert hat, dass man sich so was im Dorf nicht wünscht." Weshalb der Gastronom seine Räume überhaupt für solch umstrittene Referenten zur Verfügung stellte, bleibt unklar. Ein Interview lehnt er ab.
