Mülltonnen stehen am Straßenrand. © NDR Foto: Anna Schlieter

Mülltonnen auf dem Radweg - Anordnung von Landkreis sorgt für Ärger

Stand: 13.09.2024 09:34 Uhr

Der Landkreis Aurich setzt eine Richtlinie um, wonach Müllwagen nicht mehr rückwärts fahren dürfen. Folgen hat dies für den kleinen Kadelberger Weg in Norden. Die Bewohner sollen ihre Tonnen jetzt auf einem Radweg an der B72 abstellen.

von Anna Schlieter

Die Abholtage der Müllabfuhr sind für Anwohner Herbert Thiele jedes Mal ein echtes Problem. Seit Juli muss er seine oft randvollen Tonnen nicht mehr nur vor die Haustür rollen, sondern etwa einhundert Meter weiter an die benachbarte Bundesstraße. Thiele ist 83 Jahre alt und mit einer künstlichen Hüfte schwerbehindert. "Das ist eine schwere Schlepperei, der ganze Weg hierher", sagt er atemlos. In der Straße wohnen viele Ältere. Eine Dame ist jetzt sogar 200 Meter unterwegs. Doch nicht nur das bereitet den 14 Familien im Kadelberger Weg Bauchschmerzen.

Anwohner haben ein ungutes Gefühl 

Herbert Thiele muss einen weiten weg zurücklegen, um seine Mülltonnen zur Entleerung rauszustellen. © NDR Foto: Anna Schlieter
Herbert Thiele muss einen weiten weg zurücklegen, um seine Mülltonnen zur Entleerung rauszustellen.

Der Landkreis hat ihnen im Juli eine Sammelstelle für ihre Mülltonnen zugewiesen: auf dem vielbefahrenen Radweg an der ebenso stark frequentierten B72. Hier gilt Tempo 70. "Man hat schon ein ungutes Gefühl", sagt Anwohner Wolfgang Janßen. "Man will ja nicht, dass jemand verletzt wird." So nah an der Nordsee ist es häufig stürmisch. Die Anwohner fürchten, dass Tonnen auf die Straße oder den Radweg geweht werden. Schon jetzt würden die Tonnen bei der Leerung oft umfallen und teils liegen bleiben. Das Müllfahrzeug hat einen seitlichen Greifarm. Es ist nur mit einem Fahrer besetzt, der im Normalfall nicht aussteigt. Die Radfahrer an der B72 sehen die Gefahr auch. "Teilweise muss man da auch schon mal ausweichen. So kurz vor dem Graben neben dem Radweg ist das nicht schön", sagt Lukas Saathoff, der hier jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit vorbeikommt.

Rückwärts fahrende Müllfahrzeuge können eine Gefahr sein 

Grund für die neue Sammelstelle ist eine Richtlinie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) aus dem Oktober 2016. Danach sollen Rückwärtsfahrten auf den Touren der Müllfahrzeuge möglichst vermieden werden, zumindest ohne entsprechende Sicherheitsmaßnahmen. In ganz Niedersachsen wird diese Richtlinie jetzt umgesetzt oder ist bereits umgesetzt worden. Teils wurden in Absprache mit den Bürgern neue Sammelstellen eingerichtet wie im Landkreis Aurich. Rund 400 Straßen, oft Sackgassen wie der Kadelberger Weg, betrifft es aktuell.

Alternativen zu Mülltonnen

Aber einige Landkreise hatten auch andere Ideen, so dass Mülltonnen teils wie gewohnt vor den Häusern abgestellt werden können. So wurden zum Beispiel in Lüchow-Dannenberg und Verden kleinere Sammelfahrzeuge angeschafft. In Osnabrück ersetzen in einigen Straßen sogar wieder Müllsäcke die Mülltonnen. Die werden dann mit einem Pritschenwagen abgeholt. Eine solche Lösung käme in Aurich nicht in Frage. "Durch den Einsatz kleinerer Entsorgungsfahrzeuge würden die Kosten der Abfallerfassung erheblich steigen, die dann durch die Gesamtheit der Gebührenzahler zu tragen wären", schreibt der Landkreis auf Anfrage.

Wer haftet im Schadensfall?

Wolfgang Janßen muss einen weiten Weg zurücklegen, um seine Mülltonnen zur Entleerung rauszustellen. © NDR Foto: Anna Schlieter
Wolfgang Janßen macht sich Sorgen wer haftet, wenn es wegen der Tonnen auf dem Radweg einen Unfall geben sollte.

Die Anwohner in Norden treibt noch eine andere Sorge um. Wer haftet, wenn nun doch etwas passiert? Wenn ein Radfahrer jetzt in der beginnenden dunkleren Jahreszeit gegen eine Tonne fährt? "Unsere Befürchtung ist, dass wir dann in Regress genommen werden", sagt Wolfgang Janßen. Anwalt René Castagna aus Oldenburg kann da zum Teil beruhigen. "Sie haben eine Verkehrssicherungspflicht, was ihre Tonne angeht", erklärt er. Stehen allerdings in der Satzung des Landkreises bestimmte Zeiten, wann die Tonne raus oder wieder reingestellt werden soll, und hält man sich auch genau an den vorgegebenen Abstellort, droht einem im Falle eines Unfalls keine Strafe. Im Landkreis Aurich heißt das: Die Tonne muss am Abholtag bis spätestens 6.30 Uhr raus und bis zum Abend wieder rein. Stellt man die Tonne aber schon am Abend vorher raus, kann man im Schadensfall haftbar gemacht werden.

Ältere Anwohner wünschen sich Hilfe 

Die Bewohner des Kadelberger Weges würden sich dennoch wünschen, dass man ihre Ängste ernster nimmt. Zwei Anhörungstermine mit dem Landkreis brachten keinen Kompromiss. Seit Juli gilt die neue Anordnung. Für die älteren Menschen wie Herbert Thiele schlägt der Landkreis vor, dass sie einen Dienstleister beauftragen können, der die Tonnen bewegt. "Gegebenenfalls auftretende persönliche Schwierigkeiten bei der Bereitstellung der Abfallbehälter fallen nicht in den Verantwortungsbereich der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger", schreibt der Landkreis. "Wir brauchen nicht drüber zu sprechen. Als Rentner hat man kein großes Einkommen", sagt Wolfgang Janßen. Er hat inzwischen gegen die Anordnung Widerspruch eingelegt. Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.

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