Betreuungsvereine in Niedersachsen fordern Zukunftssicherheit
Betreuungsvereine warten seit mehr als einem Jahr auf finanzielle Sicherheit. Gut jeder dritte steht vor dem Aus. Ein breites Bündnis fordert Zusagen von der Justizministerkonferenz in Hannover.
Was passiert, wenn man im Koma liegt und keine Verwandten da sind, die Entscheidungen über die medizinischen Maßnahmen treffen können? Oder wenn man sich in einer psychischen Krise befindet und Behördengänge sowie Anträge nicht mehr selbst erledigen kann? Dann können in Deutschland rechtliche Betreuerinnen und Betreuer einspringen. Sie sollen im Sinne der betreuten Person Entscheidungen über medizinische Maßnahmen, Verwaltungsakte oder auch finanzielle Fragen treffen. 125.000 Menschen in Niedersachsen sind auf einen rechtlichen Betreuer angewiesen. Ein Zehntel der Betreuten erhält Hilfe von sogenannten Betreuungsvereinen. Diese schlagen Alarm, denn ihre Finanzierung sei nicht ausreichend.
Große Verantwortung für wenig Geld
Sabrina Kleene ist Betreuerin beim Betreuungsverein Cloppenburg. Klientin Erika Oppenheimer wurde ihr im Januar vom Amtsgericht zugewiesen. Sie lag damals im Koma. Nähere Verwandte, die für sie Entscheidungen treffen konnten, gab es nicht. Innerhalb kürzester Zeit musste sich Kleene in das Leben ihrer Klientin einarbeiten, denn alle Entscheidungen, die sie für ihre Klientin trifft, sollen auch in deren Sinne sein.
Betreuerin: "Wir sind natürlich auch haftbar"
"Die Verantwortung ist sehr, sehr groß, allein auf behördlicher Ebene, weil dort Fristen eingehalten werden müssen", sagt sie. "Wir sind dann natürlich auch haftbar. Genauso ist es bei medizinischen Entscheidungen, wo man wirklich abwägen muss: Willige ich jetzt in eine Operation ein oder nicht?" Für diese Arbeit erhält der Betreuungsverein Cloppenburg, für den Kleene arbeitet, im Schnitt 127 Euro pro Monat vom Land Niedersachsen. Das reicht für drei Stunden Arbeitszeit. In dieser Zeit müssen die Betreuer alles erledigt bekommen: Anträge auf eine höhere Pflegestufe, Bankgeschäfte oder Behördengänge. Das sei nicht zu schaffen, sagen die Vereine.
Niedersachsen: Vereine kümmern sich um etwa 12.000 Menschen
Die Betreuung wird in Deutschland von vier verschiedenen Gruppen übernommen. Den Großteil übernehmen Angehörige, die oft am besten entscheiden können, was im Sinne der betreuten Person ist. Dann gibt es ehrenamtliche Betreuer. Sie erhalten für ihre Arbeit eine sehr geringe Aufwandspauschale von rund 40 Euro monatlich. Bei ihnen liegen in der Regel die einfachen Fälle, zum Beispiel wenn eine Person schon länger im Heim lebt und der Status quo aufrechterhalten werden muss. Hauptberufliche Betreuer arbeiten entweder selbstständig oder für einen Betreuungsverein. Etwa 12.000 Menschen werden in Niedersachsen von Betreuungsvereinen betreut. Sozialarbeiter oder Juristen übernehmen teilweise besonders harte Fälle, wenn es zum Beispiel um Menschen geht, die kleine Kinder haben, oder um besonders komplexe Fälle, die medizinisches Fachwissen erfordern.
Neues Gesetz sollte Klarheit schaffen
Anfang 2023 ist ein neues Betreuungsgesetz in Kraft getreten. Der Bund wollte so mehr Klarheit schaffen. Bis zum 1. Januar 2023 war die Finanzierung der Betreuungsvereine eine freiwillige Sache. Seitdem stehen die Betreuungsvereine fest im Gesetz und müssen finanziert werden. Was allerdings nicht geregelt wurde, ist, wie genau die Vereine finanziert werden sollen. Das führt nun dazu, dass zu wenig Geld im System ist und die Vereine um ihre Existenz kämpfen müssen.
Umfrage: Gut jeder dritte Betreuungsverein von Pleite bedroht
Bei einer Umfrage des NDR Niedersachsen, an der 43 der rund 60 Betreuungsvereine im Bundesland teilnahmen, gaben mehr als 30 Prozent an, dass sie von einer Schließung wegen unzureichender Finanzierung bedroht sind.
Jeder zweite Verein bei Querschnittsarbeit unterfinanziert
Ebenfalls im Gesetz wurde festgelegt, dass die Betreuungsvereine auch für die sogenannte Querschnittsarbeit verantwortlich sind. Das bedeutet, dass die Vereine zum einen präventive Maßnahmen durchführen sollen, dazu zählt die Beratung über Vorsorgevollmachten zum Beispiel für Heimbewohner. Zum anderen sollen sie Fortbildungen und Beratungen für ehrenamtliche Betreuer anbieten. Hat ein Betreuer einen komplizierteren Fall, kann er sich niedrigschwellig an den Betreuungsverein wenden, um dort mehr Hilfe zu bekommen. Das soll das System der hauptberuflichen Betreuer entlasten. Wer in welcher Höhe für die Querschnittsarbeit aufkommt, ist allerdings auch nicht geregelt. Jedes Bundesland kann dort anders entscheiden. Etwa 50 Prozent der Vereine gaben dem NDR Niedersachsen gegenüber an, dass die Finanzierung der Querschnittsarbeit nicht oder gar nicht ausreichend sei.
Justizminister sollen nach langer Zeit Lösungen finden
Die Justizministerkonferenz in Hannover soll Licht in das Finanzierungschaos bringen. Die Forderung lautet: Statt nur drei Stunden Zeit für die Betreuung sollen mindestens fünf oder sechs Stunden möglich sein. Für die Beratung von ehrenamtlichen Betreuern und deren Fortbildung sollen ebenfalls mehr Mittel zur Verfügung stehen. Auch bedarf es Mittel für die Werbung neuer ehrenamtlicher Betreuer und für die Beratung von Menschen, die Betreuungsvollmachten benötigen.
Kommunen müssten Aufgaben der Betreuungsvereine übernehmen
Reicht die Finanzierung am Ende dann immer noch nicht aus und müssen einzelne Vereine schließen, ist das eine Katastrophe vor allem für die Kommunen. Denn die Betreuungsstellen der Gesundheitsämter müssen das auffangen, was die Betreuungsvereine dann nicht mehr leisten können.