Die abgehängte Glocke aus der NS-Zeit, die mit einem Hakenkreuz versehen ist, steht auf dem Boden der Michaelkirche. © picture alliance/dpa Foto: Philipp Schulze

Umstrittene Kirchenglocke: Vom Dachboden ans Tageslicht

Stand: 17.01.2025 10:49 Uhr

Eine umstrittene Kirchenglocke aus der NS-Zeit soll in Faßberg öffentlich ausgestellt werden. Die Glocke und ihre Geschichte soll Teil einer Gedenkstätte werden. NDR.de war bei einem Treffen zu dem Thema dabei.

von Jon Mendrala

Sie ist nicht einmal 200 Kilogramm schwer und hat doch eine tonnenschwere Last auf sich geladen. Die Kirchenglocke steht eingestaubt auf dem Dachboden der Michaelkirche in Faßberg. Im Bronzeguss steht zu lesen "1938" - das Jahr des Gusses - sowie das Emblem der Luftwaffe mit einem Hakenkreuz.

Ein neuer Platz für die Glocke

Pastor Rudolf Blümcke und Regionalbischöfin Marianne Gorka stehen nebeneinander. Fahles Licht fällt auf die beiden hinab, Staubflocken tanzen im Scheinwerfer. "Wir wollen nichts verschweigen", sagt Pastor Blümcke. Er hat den Streit um die Bronzeglocke von Anfang an mit begleitet. "Hier gehört die Glocke her - hier wird sie ihren Platz finden. Aber wir werden damit vorsichtig umgehen - das hat schließlich auch eine strafrechtliche Komponente", so der Pastor. "Deshalb werden wir uns da auch von Fachleuten beraten lassen, wie man das einordnet und dann einen angemessen Ort finden, um sie auszustellen."

Jahrelanger Streit um NS-Glocke

Die Glocke war über Jahre ein Streitpunkt in der 6.000-Einwohnergemeinde in der Südheide, nachdem 2017 einige Faßbergerinnen und Faßberger der Gemeinde vorgeworfen hatten, unkritisch mit der eigenen Geschichte umzugehen. Sie forderten daher: Die Glocke mit Hakenkreuz müsse abgehängt werden. Aber auch eine Gegenbewegung organisierte sich: Mitglieder argumentierten, dass die Glocke, unter der sie getauft oder geheiratet hatten, nicht einfach eingeschmolzen werden dürfte. 2018 wurde die Glocke dann abgehängt und auf dem Dachboden der Kirche eingelagert. Die Landeskirche spendierte eine neue Glocke für 10.000 Euro, die seitdem die Gläubigen zum Gottesdienst ruft.

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Landeskirche will NS-Zeit weiter aufarbeiten

Marianne Gorka hört aufmerksam zu, als Pastor Blümcke erzählt, wie damals der Glockenstreit die Gemeinde und den Ort bewegt hat. Lüneburgs Regionalbischöfin ist noch nicht einmal ein ganzes Jahr im Amt - aber hat sich schon jetzt bewusst an dieses Kapitel der Kirchengeschichte gewagt: "Wir haben eine klare Haltung und wir haben ein klares Menschenbild. Es ist wichtig, dass wir uns als Landeskirche unserer Verantwortung stellen - auch und gerade für die Zeit im Nationalsozialismus", sagt Gorka.

Ein WeltCafé für einen Gedenkort

Zwei Stockwerke tiefer, im Erdgeschoss haben sich derweil rund 50 Interessierte eingefunden. Sie wollen unter Anleitung der niedersächsischen Gedenkstätten ein sogenanntes WeltCafé durchführen: Ein Diskussionsformat, das die Stiftung an diesem Donnerstagabend in Faßberg organisiert. Sechs Tische mit verschiedenen Fragestellungen stehen allen Besucherinnen und Besuchern offen. Sie wollen miteinander erarbeiten, wie der Weg aussehen soll, um die Glocke mit NS-Symbolik öffentlich auszustellen.

Bürgermeisterin will unterstützen

Viele Faßberger Bürgerinnen und Bürger haben eine besondere Beziehung zu ihrer Gemeinde. Trotz der Geschichte. Denn bis heute hat Faßberg auch mit dem eigenen Erbe zu kämpfen - vielleicht nur vergleichbar mit der Stadtgeschichte Wolfsburgs und Salzgitters. 1934 wurde die Stadt als Siedlung für den Luftwaffen-Fliegerhorst gegründet. "Ich freue mich, dass der Prozess durch die Kirche wieder in Gang gekommen ist. Wir wollen unterstützen und versuchen, jetzt das Beste daraus zu machen und dort sachlich zu unterstützen, wo wir können", sagt Faßbergs Bürgermeisterin Kerstin Speder.

Ideen für die Zukunft

Zweieinhalb Stunden später gibt es viele Ideen - und viel zu tun. Die Teilnehmenden haben sich über 80 Jahre Kriegsende genauso ausgetauscht wie über die Frage, welche Haltung die Kirche gegenüber rechtsextremen Tendenzen in diesen Zeiten einnehmen sollte. Auch die Frage, wie mit einem schwierigen NS-Erbe umzugehen ist, ist Thema. "Es gibt kein Vorgehen nach Lehrbuch", sagt Elke Gryglewski, die Leiterin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. "Jeder Ort - jeder Gedenkort - ist anders, jede Situation ist individuell. Ich glaube dennoch, dass wir mit diesem Weg - einen Lern- und Gedenkort einzurichten - ein neues Kapitel für Faßberg aufschlagen können."

Thema ist Menschen in Faßberg wichtig

Wie der Abend verlaufen würde - darüber hatte sich Pastor Rudolf Blümcke vorher viele Gedanken gemacht. "Ich bin hoch erfreut, wie viele Menschen hier waren. Natürlich einige bekannte Gesichter aus der Gemeinde, aber auch einige Besucher, die ich vorher noch nicht gesehen habe. Und das zeigt, wie wichtig den Menschen in Faßberg dieses Thema ist."

Jahrelanger Kampf geht zu Ende

Angelika Krämer von der Geschichtswerkstatt Faßberg hatte die Diskussion um die Glocke mit vorangebracht. Sie sagt, als die Faßbergerinnen und Faßberger am Abend auseinandergehen: "Acht Jahre haben wir gekämpft, dieses Thema auf den Tisch zu bringen. Das ist mein Heimatort. Ich habe mir gewünscht, dass wir das gemeinsam mit den Menschen hier aufarbeiten", so Krämer. "Das ist ein Tag wie Neujahr und Weihnachten zusammen. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie glücklich ich bin." Auch Regionalbischöfin Gorka ist zufrieden: "Ich fühle mich bestärkt, diesen Weg weiterzugehen. Wichtig war und ist, den Leuten zuzuhören und sie mitzunehmen, denn das hier ist ihre Gemeinde - und sie müssen auch dahinterstehen."

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