Virtuelle Menschen aus Zahlen abgebildet. © Benjamin Haas, Fotolia Foto: Benjamin Haas

Revolution im Rathaus: Soltau setzt auf KI statt Papier

Stand: 20.12.2024 14:49 Uhr

Das Soltauer Rathaus ist eines von rund 11.000 Verwaltungsgebäuden in Deutschland. Hier spielt sich eine kleine bürokratische Revolution ab. Denn in Soltau hat die Papierakte ausgedient.

von Jon Mendrala

Klonk. Ein Eingangsstempel saust krachend auf ein Schriftstück. Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung Soltau dokumentiert den Eingang des Briefes. Ein Vorgang, wie es im Amtsdeutsch heißt. Bislang war sakrosankt: Kopieren, abheften und zu den Akten legen. In der 23.000 Einwohner-Stadt im Heidekreis versucht man es nun anders. Jeder Vorgang wird nun digital erfasst. Obendrein hat die Stadtverwaltung auch noch ein eigenes KI-Tool auf den Weg gebracht.

Auch ein "digitale Rathaus" bekommt "normale" Briefe

Das Bild zeigt Soltaus Ersten Stadtrat Karsten Lemke (l.) neben Thomas Körtge. © NDR
Soltaus Erster Stadtrat Karsten Lemke (l.) und Thomas Körtge sind stolz auf das "digitale Rathaus".

Das "digitalen Rathaus" Soltau ist die Verwaltung nicht vor Schriftverkehr aus der analogen Welt gefeit. Damit die Abläufe dann sofort digital werden, wird nach dem Scannen des Schriftstücks der Brief geschreddert. "Für uns ist die digitale Version das Original, etwas anderes haben wir nicht mehr", sagt Thomas Körtge, Fachgruppenleiter für die zentralen Dienste. Er ist somit zuständig, um die rund 150 Mitarbeitenden der Soltauer Stadtverwaltung zu koordinieren.

QR-Sticker beim Eingang

Poststellenmitarbeiter Rainer Busse bekommt den eben in Empfang genommenen Brief, klebt einen kleinen QR-Sticker auf und scannt ihn dann ein. "Das System erkennt durch den Code sofort, in welche Abteilung dieses Dokument gehört und ordnet es digital dem richtigen Fachbereich zu", erklärt Busse. Rund 80 Prozent des Briefverkehrs würden so schon digital abgewickelt, sagt Busse. Eine eigene Frankiermaschine gäbe es nicht mehr, niemand müsse mehr einen Briefumschlag in die Hand nehmen. Abteilungsleiter Körtge ergänzt: "Anfang des kommenden Jahres müssen wir wieder rund 10.000 Bescheide für die neue Grundsteuer verschicken. Früher hätte das mehrere Mitarbeiter zwei bis drei Wochen Arbeit gekostet. Jetzt machen wir das alles digital - und lassen die Bescheide über einen Post-Dienstleister in Braunschweig versenden." Kein Mitarbeiter steckt mehr einen Bescheid in ein Kuvert.

Rechnungen ausschließlich auf dem PC

Das 1982 gebaute Rathaus wirkt schlicht, aber hell und aufgeräumt. Keine Rollwagen stehen in den Fluren. Auch die Büros sind papierlos - abgesehen von ein paar Notizblöcken. Am Ende des Flures im Erdgeschoss sitzt Sabine Weigel und bearbeitet das Rechnungswesen. Früher musste sie mit einer Kollegin eine Zettelflut von bis zu 1.500 Papierbelegen pro Woche abarbeiten. Doch nun kommen die Rechnungen ausschließlich auf ihrem PC an.

KI kann Dokumente inhaltlich auswerten

Die Freigabe durch einen Vorgesetzten und das Vier-Augen-Prinzip gelten weiterhin. Das sehen die Verwaltungsvorschriften auch weiterhin vor. Doch was mit Umlaufmappen früher auch gut und gerne auch mal 14 Tage dauern konnte, kann nun auch mal in zehn Minuten freigegeben werden. "Ich muss nicht mehr in Zettelsammlungen nach dem richtigen Beleg suchen", sagt Weigel. "Ich kann einfach nach Schlagwörtern, nach einem Datum oder einer Betragssumme suchen. Es spart einfach Zeit." Möglich wird das durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Denn die Software erkennt die PDF-Dokumente nicht nur als Bild, sondern kann sie inhaltlich auswerten und überprüfen.

Videos
Ein Mitarbeiter der Müllabfuhr vor seinem Fahrzeug mit der Aufschrift "Technik entscheidet". © Screenshot
3 Min

Landkreis Uelzen überprüft Biomüll jetzt mit KI

Die Künstliche Intelligenz erkennt falsch entsorgen Müll. So kann die Abfallwirtschaft Müllsündern auf die Schliche kommen. (22.11.2024) 3 Min

Technik als Chance

Bürgermeister Olaf Klang sitzt in seinem Büro. Arbeitssitzungen finden hier nur mit digitalen Endgeräten statt. Der Verwaltungschef öffnet seine Schrankwand: "Selbst hier am Bürgermeister Büro gibt es keine Akten - ich habe hier nur ein paar Werbebroschüren, ein paar Souvenirs und das goldene Buch der Stadt", erzählt Klang schmunzelnd. "Es gibt keine Alternative, als die technischen Hilfsmöglichkeiten, die es gibt, für unsere tägliche Arbeit zu nutzen. Wir stehen im Wettbewerb um neue Mitarbeiter - und denen wollen wir auch etwas bieten", sagt er.

Stadtplanung am Smartboard

Benjamin Schubert steht mit einem Kollegen an einem Smartboard. Was in fast jeder Grundschule mittlerweile Standard ist, findet sich hingegen kaum in Verwaltungsbüros. Der Stadtplaner zieht die Karte größer und kleiner, die Baupläne der neuen Kita in der Südstadt kommen digital auf seinen Tisch. Mit dem Planungsbüro in Hannover kann er sich zusammenschalten und digital über die Pläne beugen: "Kollaborationen sind enorm wichtig für uns", sagt Schubert. "Ich kenne diese Art des digitalen Zusammenarbeitens gut aus dem Studium und schätze sie sehr: wir können so einfach zusammen mal Gebäude auf den Baufeldern umsetzen - oder kleiner oder größer planen." Ein Arbeiten mit staubigen Akten käme für ihn als Vertreter der jüngeren Generation in der Verwaltung nicht mehr in Frage, sagt Schubert.

"Sofia" erklärt die Verwaltungswelt

Der Stadtverwaltung ganzer Stolz liegt unweit des Bürgermeisterbüros: in einem Besprechungsraum ist "Sofia" zuhause. Das steht für "Soltau findet immer alles“ - und ist eine Software, wie es sie sonst wohl in keiner Verwaltung gibt. Gemeinsam mit einem Hamburger Start Up haben sie ein Tool entwickelt, das - ähnlich wie ChatGPT - mit Fragen gefüttert werden kann. Und dann kurz und kompakt Antworten ausspuckt: Dafür durchsucht die Software rund zwei Millionen Datensätze der Stadt Soltau - ab 1946 - und gibt in wenigen Sekunden einen Überblick zu unterschiedlichsten Themen wie Bevölkerungsentwicklung, Bebauungsplänen oder Gebührenordnungen. "Sofia lernt jeden Tag neu dazu", sagt Thomas Körtge zufrieden. "Sie wird jeden Tag besser. Unser Ziel ist es, unsere Mitarbeitenden von aufwändigen Recherchen freizumachen, so dass sie sich auf ihre wirklichen Aufgaben konzentrieren können."

Ein Mensch geht - das Wissen bleibt

Einem weiteren Problem, dem Verlust von Fachpersonal - dem so genannten Brain Drain, das jede Firma und jede Verwaltung erleiden kann, haben sie damit auch entgegengewirkt: "Wenn jetzt ein langjähriger Verwaltungsarbeiter in Ruhestand geht, nimmt er kein Jahrzehnte altes Fachwissen mit in die Pension. Alle Informationen sind für nachfolgende Mitarbeitende der Verwaltung aufrufbar und nutzbar", erläutert Körtge. Damit ist Soltau Vorreiter, was die Digitalisierung anbelangt, unter den 11.000 Kommunen aus ganz Deutschland. Verwaltungsbeamter Körtge hält nun bundesweit Vorträge über das "Soltau Modell". Denn im Rathaus gibt es keine einzige Akte mehr. Ende des Jahres geht Thomas Körtge nach 47 Jahren in der Stadtverwaltung selber in Rente. Sein Wissen aber bleibt im Rathaus. Im digitalen Datenschatz Soltaus.

Weitere Informationen
Das Rathaus in Hannover. © NDR Foto: Paola Mester

Online-Formulare und KI: Hannover will noch digitaler werden

Die Stadt will ihre Dienstleistungen im Internet ausbauen - und 48 Millionen Euro in die Digitalisierung investieren. (25.11.2024) mehr

Ein Bildschirm zeigt Fotos aus dem Inneren eines Müllwagens © NDR

Uelzen: Mit Künstlicher Intelligenz Müllsündern auf der Spur

Der Landkreis Uelzen testet einen Störstoff-Detektor, der unerwünschtes Plastik schon beim Leeren der Biotonne erkennt. (22.11.2024) mehr

Mehr Nachrichten aus der Region

Eine Bankfiliale ist nach einer Automatensprengung stark beschädigt. © NonstopNews

Garstedt: Unbekannte sprengen Geldautomaten und entkommen

Zeugen hatten einen Knall gehört. Die Polizei im Landkreis Harburg fahndete noch nach dem Auto der Täter - erfolglos. mehr

Aktuelle Videos aus Niedersachsen