Zehn Jahre nach Rücktritt von Christian Wulff: Was bleibt?
Am 17. Februar vor zehn Jahren ist Christian Wulff vom höchsten Amt des Staates zurückgetreten, nach nicht einmal zwei Jahren Amtszeit. Der Fall des Bundespräsidenten wirft auch heute noch Fragen auf.
Wulff war in seiner zweiten Legislaturperiode als Ministerpräsident in Niedersachsen für viele überraschend nach Berlin ins Schloss Bellevue gewechselt. Mit seiner zweiten Frau Bettina gab er ein strahlendes Paar ab. Der Boulevard nannte sie die "Kennedys von der Leine". Doch nach nur 598 Tagen trat Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurück. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung seiner Immunität beantragt. Das gab es in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit einem Bundespräsidenten noch nie. Es folgte ein Prozess, der von einem beispiellosen Medieninteresse begleitet wurde. Am Ende gab es einen Freispruch für den Bundespräsidenten a.D.
Ein Moment, der sich einprägte
Kaum ein Fall hat die Republik so sehr bewegt, wie die Umstände dieses Rücktritts. Die knapp vierminütige Erklärung des scheidenden Bundespräsidenten, die schnellen Schritte seiner Frau Bettina, mit denen sie die Szenerie vor ihm verließ. Das waren Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis der ganzen Republik eingebrannt haben. Die Trennung des Paares wenig später füllte die Gazetten. Mit seinem Rücktritt kam Wulff der Aufhebung seiner Immunität zuvor. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelte.
Was die Affäre ausgelöst hatte
Eine kleine Anfrage der Grünen Anfang 2010 im Niedersächsischen Landtag hatte die Affäre ausgelöst. Damals war Wulff noch Ministerpräsident. Es ging um die Finanzierung seines Wohnhauses und die Frage, ob Wulff im Oktober 2008 dafür einen 500.000-Euro-Kredit von seinem Freund, dem Unternehmer Egon Geerkens, erhalten hatte. Der Vorwurf: Wulff habe Geerkens als Gegenleistung mit zu Auslandsreisen genommen, als Vertreter der niedersächsischen Wirtschaft. Wulff antwortete auf die Anfrage im Landtag, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer in den vergangenen zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben habe.
Von der Kreditaffäre zur Medienaffäre
Im Dezember 2011 versucht Christian Wulff vergeblich, einen kritischen Bericht der Bildzeitung darüber mit einem Anruf bei Chefredakteur Kai Diekmann zu verhindern: "Bin grad auf dem Weg zum Emir…". Über den Anruf berichten andere Zeitungen später. Im Januar 2012 bezeichnet Wulff den Anruf in einem Interview von ARD und ZDF als schweren Fehler. Zwei Wochen später ließ die Staatsanwaltschaft das Haus seines langjährigen Sprechers Olaf Glaeseker wegen Korruptionsverdachts durchsuchen. Anfang Februar berichtet die Bildzeitung von einem Luxusurlaub auf Sylt, den Wulff angeblich von einem Filmproduzenten bezahlen ließ. Eine Woche später beantragt die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten. Am Tag darauf erklärt Wulff seinen Rücktritt.
War der Rücktritt nötig?
Kreditaffäre, Medienaffäre, bezahlte Urlaubsreisen. Es folgte ein Prozess, der ein gewaltiges, bundesweites Medieninteresse auf sich zog. Am Ende wurde Wulff freigesprochen. Bei der Vorstellung seines Buchs "Ganz oben - ganz unten" 2014 sagte Wulff: "Der Rücktritt war falsch und ich wäre auch heute der Richtige im Amt." Das sieht der Bundestagsabgeordnete Stefan Wenzel anders. Damals war er Fraktionschef der Grünen im Niedersächsischen Landtag. Er nannte den Bundespräsidenten in einem Interview einen Lügner und forderte ihn auf seinen Hut zu nehmen, bevor er Recht, Gesetz und Anstand weiter in den Dreck ziehe. Heute steht er zu seinen Worten: "Das war damals eine harte Formulierung, aber das hatte auch eine lange Vorgeschichte. Aus heutiger Sicht finde ich den Rücktritt nach wie vor richtig."
Gingen die Medien zu weit?
Christian Wulff wollte über seinen Rücktritt vor zehn Jahren nicht erneut mit dem NDR sprechen. In seinem Buch wirft er der Staatsanwaltschaft vor, sich dem Druck der Medien gebeugt zu haben. Ein Fall wie seiner dürfe sich nie wiederholen. Peter Mlodoch, Vorsitzender der Landespressekonferenz Niedersachsen, bestätigt: "Es hat eine regelrechte Jagd stattgefunden, die Jagd nach der schnellen Schlagzeile. Einige Medien hatten sich auf die Fahnen geschrieben, den Bundespräsidenten vom Hof zu jagen. Zum Teil gab es aber durchaus Vorgänge, die zur Kritik berechtigt haben und die am Ende, hätten die sich herausgestellt, durchaus einen Rücktritt gerechtfertigt hätten."
War Wulff das Opfer einer politischen Intrige?
CDU-Parteifreund Bernd Busemann war damals Justizminister. Wulff schreibt in seinem Buch, er habe Stimmung gegen ihn gemacht. Busemann wiederum glaubt, Wulff sei vieles aus dem Ruder gelaufen. Einige aus der Partei hätten sich gewundert, "als der früher so familienorientierte, für manche bieder erscheinende Christian Wulff, Deutschlands idealer Schwiegersohn, plötzlich mit einem anderen Lebensstil aufwartete."
Busemann: Affäre wirkt sich auf CDU aus
Busemann räumt die Spannungen zwischen ihm und Wulff freimütig ein und berichtet, wie die Affäre auch die CDU beschädigt habe. Das Wahlergebnis 2013 sei sicher von den Ereignissen überschattet worden. Gerüchte, er habe Einfluss auf die Ermittlungen genommen, weist er empört zurück. Kein Justizminister greife mit Weisungen in die Arbeit der Staatsanwaltschaften ein. Wer so agiere, sei "politisch lebensmüde". Zu der Frage, wie regelmäßig Prozessinterna an die Presse gelangten, sagte er: "Es gibt eben Kräfte, die interessiert sind und auch nachrichtenhungrig sind und da wird dann der ein oder andere schon mal schwach." An die Medien gerichtet mahnt er, in Fällen wie der Wulff-Affäre sorgfältiger mit den Persönlichkeitsrechten hochprominenter Menschen umzugehen.
Ein Freispruch mit „Geschmäckle“?
Unter dem medialen Dauerfeuer musste Wulff einem enormen psychischen Druck standhalten. Zwei Jahre nach seinem Rücktritt wird er freigesprochen. Ein lupenreiner Freispruch, sagt er. Es bleibt ein "Geschmäckle", sagen seine Kritiker. Journalist Peter Mlodoch bemerkt: "Was ich immer vermisst habe, ist ein Wort des Bedauerns, dass man das ein oder andere auch anders hätte sehen können in der moralischen Betrachtung. Vom Bundespräsidenten und Ministerpräsidenten erwarte ich Vorbildfunktion, dass er, wenn er etwas annimmt, äußerst vorsichtig ist."
Wie konnte es so weit kommen?
Wie kommt es, dass der zeitweise beliebteste Politiker Deutschlands am Ende so viel Hass und Häme auf sich zog? Jenseits justiziabler Vorwürfe schien der Politiker persönlich zu polarisieren. Wulff war für seine Schärfe bekannt, mit der er vermeintliche moralische Verfehlungen anderer rügte. Seinen eigenen Moralvorstellungen ist er nach Meinung seiner Kritiker nicht gerecht geworden und den moralischen Ansprüchen des Amtes, das er innehatte, auch nicht. Für den heutigen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Stefan Wenzel, gibt es eine klare Lektion aus dem Fall. "Das Beispiel, auch die Berichterstattung, zeigt, dass man im politischen Raum gut daran tut, sich hier in solchen Fragen unangreifbar zu machen." Er verweist auf verschärfte Regeln in Niedersachsen für Geschenke und Einladungen. Die Affäre habe das Bewusstsein im politischen Raum geschärft.