Warum ausgerechnet Hildesheim?
Über mehrere Jahre hat sich Hildesheim offenbar zu einem Hort der islamistischen Szene entwickelt. Sicherheitsbehörden bezeichnen die niedersächsische Stadt seit Längerem als "Hotspot der Salafistenszene". Im Zentrum: der "Deutschsprachige" Islamkreis (DIK). Der ist seit diesem Dienstag Geschichte. Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat den Verein verboten. Am Morgen wurden zudem mehrere Räumlichkeiten des DIK von der Polizei durchsucht. Über die Frage, warum Hildesheim zu einem Zentrum der Islamisten-Szene in Deutschland wurde, kann bis jetzt nur spekuliert werden. Auch eine Verbindung der Hildesheimer Islamisten zum Berlin-Attentäter Anis Amri steht weiterhin im Raum.
IS-Statthalter seit November in Haft
Die Aktion am Dienstag war nicht die erste Razzia bei der islamistischen Szene in Niedersachsen. Mehrfach hatten die Sicherheitsbehörden bereits Wohnungen, die Moschee und die Vereinsräume in Hildesheim durchsucht. Zuletzt hatte die Polizei in Hildesheim Anfang November mehrere Terrorverdächtige festgenommen - darunter auch die mutmaßliche Nummer 1 des sogenannten Islamischen Staates (IS) in Deutschland, den Prediger Abu Walaa. Der sitzt seit seiner Festnahme in Untersuchungshaft. Er war bereits 2013 ins Visier des Bundesamtes für Verfassungsschutzes geraten. Der Vorwurf der Behörden gegen den mutmaßlichen Statthalter der Terrororganisation: Radikalisierung von Muslimen beim DIK und Motivation zur Teilnahme am Dschihad - dem "heiligen Krieg"- in den Kampfgebieten unter anderem im Irak und Syrien.
Kontakte zum Berlin-Attentäter?
Nach Erkenntnissen der Ermittler geschah dies unter anderem durch Predigten, Seminare und Vorträge. Dort sei zum Hass gegenüber Ungläubigen aufgerufen worden, begründeten die Ermittler im Sommer 2016 eine Durchsuchungsaktion. Nach den Durchsuchungen unter anderem im Juli und November war der DIK im Zuge der Ermittlungen nach dem Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz vor Weihnachten als "Hotspot" im medialen Fokus. Der tunesische Attentäter Anis Amri soll unter anderem Kontakte nach Hildesheim gepflegt haben.
Warum Hildesheim?
Warum sich ausgerechnet die ansonsten eher beschauliche Domstadt zu einem Zentrum radikal-islamischer Muslime entwickelt hat, lässt sich bislang nur spekulieren. Haben sich die Islamisten bewusst eher für die Provinz entschieden, um ihr fundamentalistisches Weltbild auszuleben? Oder war es Zufall, dass sich die Zentren der Islamisten in Niedersachsen eher in den "kleinen" Großstädten Göttingen, Hildesheim und Wolfsburg bildeten? Fürchteten sie unter Umständen, in größeren Städten eher in den Fokus von Sicherheitsbehörden und Medien zu geraten? Die Beweggründe für die "Standortsuche" sind derzeit unbekannt.
25 "Gotteskrieger" aus Hildesheim
Was man hingegen weiß: Ein Drittel der 2015 in Kriegsgebiete ausgereisten Islamisten aus Niedersachsen stammte aus dem Raum Hildesheim. Insgesamt gingen nach Angaben der Sicherheitsbehörden 75 radikalisierte Muslime in den Irak und nach Syrien, um sich dort dem IS oder anderen Terrororganisationen anzuschließen. Zuletzt hatte der niedersächsische Verfassungsschutz die Zahl der radikal-islamischen Salafisten für das Jahr 2015 auf rund 550 geschätzt.
Mutmaßliche Kommandozentrale ausgeschaltet
Mit der erneuten Aktion wollen die Sicherheitsbehörden offenbar zeigen, dass sie den Druck auf die islamistische Szene auch im Norden Deutschlands hochhalten. Binnen weniger Wochen haben die Behörden in Niedersachsen gegen die Islamisten-Szene zweimal zugeschlagen. Nach den Festnahmen von zwei mutmaßlichen Gefährdern in Göttingen haben sie nun eine der mutmaßlichen Kommandozentralen ausgeschaltet und damit dem islamistischen Treiben zumindest in Hildesheim den offenbar wichtigsten Anlaufpunkt genommen. Ob das Verbot einer Zerschlagung gleichkommt oder ob sich die islamistische Szene andernorts in Niedersachsen wieder sammelt, muss sich aber zeigen.