Struktureller Rassismus bei der Polizei: Das sind die Risikopunkte
Forschende haben erstmals Risikopunkte in der Polizeiarbeit ausgemacht, die strukturellen Rassismus begünstigen können. Für die Studie der Polizeiakademie Niedersachsen wurden Polizisten ein Jahr lang im Alltag begleitet.
Die Forscher haben zwölf Risikopunkte in der Polizeiarbeit ausgemacht, die mögliche Diskriminierung begünstigen - fünf davon seien als rassistisch anzusehen, teilte die Polizeiakademie am Montag mit. So sei beim Streifendienst der Kriminal- und Bereitschaftspolizei in Niedersachsen bei der Beobachtung zwischen den Jahren 2021 und 2022 festgestellt worden, dass ausländisch gelesene Menschen deutlich stärker von polizeilichen Kontrollen betroffen seien als andere, sagte Astrid Jacobsen, Soziologin und Professorin an der Polizeiakademie Niedersachsen. "Wir konnten beobachten, wie pauschal gesucht wurde nach Albanern, die mit Kokain handeln", so Jacobsen.
Studie: Ethnische Pauschalisierungen für Bewertung von Gefahren verwendet
Es geht laut der Forscherin aber auch um die Bewertung von Gefahren, bei denen ethnische Pauschalisierungen verwendet wurden. So würden "Südeuropäer als impulsiv, Russen als gewaltbereit, Clan-Angehörige als unkooperativ und polizeifeindlich gelten". Durch gewisse Stereotype könne es sein, dass vor Ort dann schnelle Lösungen durch Härte und Dominanz gewählt werden würden, so die Polizeiforscherin.
Pauschale Unterstellungen bei bestimmten Personengruppen
Moralische Werturteile über bestimmte Nationalitäten und Kommunikationsstörungen aufgrund von Sprachbarrieren sehen die Forschenden als weitere Risikofaktoren für rassistische Diskriminierung bei Polizisten. Bestimmten Personengruppen werde von Beamten außerdem pauschal unterstellt, dass sie die polizeiliche Autorität infrage stellten, etwa linken Aktivistinnen und Aktivisten, sowie jungen Männern mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund, sagte Jacobsen. Dadurch bestehe die Gefahr, dass die Polizisten sich gegenüber diesen Personengruppen grundsätzlich machtbetont verhalten würden.
Wer Diskriminierung erfährt, radikalisiert sich leichter
Für die Forschenden ist ein Gegensteuern gerade vor dem Hintergrund des mutmaßlich islamistischen Anschlags in Solingen dringend notwendig. Menschen, die Diskriminierung erführen, radikalisierten sich leichter. Jacobsen plädierte dafür, nach britischem Vorbild unabhängige Beschwerdestellen mit Ermittlungskompetenzen für Polizisten einzurichten.
GdP: Kein Beleg für systematisch diskriminierendes Verhalten
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen rief am Dienstag dazu auf, die vorgestellten Studienergebnisse differenziert zu betrachten. Man sei sich vieler Risiken bereits bewusst, weshalb etwa in der polizeilichen Aus- und Fortbildung "intensiv interkulturelle Kompetenzen vermittelt werden", heißt es in der Mitteilung. "Darum legen wir Wert auf die Feststellung, dass die Studie keinen Beleg für systematisch diskriminierendes Verhalten der Polizei liefert." Auch sollten sinnvolle und etablierte Prozesse nicht vorschnell verworfen werden. "Für die Polizeiarbeit sind sowohl individuelles Erfahrungswissen als auch situativ erfasste oder datengestützte Informationen in der Lagebewertung und -bewältigung essenziell", heißt es mit Blick auf polizeiliche Kontrollen von Personen. Die GdP spricht sich dafür aus, die Ergebnisse der Studie von Experten aus der Polizeipraxis, der Diskriminierungsforschung und mit juristischer Kompetenz bewerten zu lassen.
Innenministerium will Schritte gegen rassismusfördernde Prozesse prüfen
Niedersachsen Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sagte am Montag, die Ergebnisse der Studie seien sehr wertvoll. Es solle nun geschaut werden, was es zu verändern gilt, um rassismusfördernde Prozesse abzustellen. Der Verein Afrikanischer Dachverband Norddeutschland sieht sich bestätigt: neben den persönlichen Erlebnissen gebe es jetzt auch wissenschaftliche Belege dafür, dass es Momente bei der Polizeiarbeit gibt, die Rassismus fördern. Der Vorsitzende Eby Bakari Tangara sagte dem NDR Niedersachsen, unschuldig verdächtigt zu werden, belaste Betroffene psychisch sehr.