Test beim Lkw-Hersteller: Wie Exoskelette die Arbeit erleichtern
Muskel- und Skelett-Erkrankungen sorgen in Deutschland für die meisten Fehltage. Unternehmen wollen gegensteuern. Beim Lkw-Hersteller MAN kommen Exoskelette zum Einsatz.
Die MAN-Werkstatt liegt in einem Hildesheimer Gewerbegebiet. Rainer Schad klettert in die Lkw-Grube. Über ihm steht ein tonnenschwerer Lastwagen. In der Grube ist es beengt. Man kann kaum stehen. Hier soll er jetzt Gelenkwellenschrauben am Unterboden des Lastwagens festziehen. Besonders belastend dabei: Die Arbeit findet über Kopf statt. Die Arme müssen samt Werkzeug ständig oben gehalten werden. Das geht auf die Knochen und Gelenke. Doch Werkstattmitarbeiter Schad hat inzwischen eine Hilfe, die ihm die Last von den Schultern nimmt: Er arbeitet mit einem Exoskelett am Körper.
Funktioniert wie ein Wanderrucksack
Das futuristisch anmutende Exoskelett verleiht keine Superkräfte. Es entlastet und funktioniert rein mechanisch, ohne Batterie. Dafür muss alles gut sitzen, vor allem im Hüftbereich. Wie bei einem Wanderrucksack trägt der 58-Jährige das Exoskelett eng angeschnallt. Die Schultergelenke werden entlastet, indem das Gewicht auf das Becken umgeleitet wird. Der Beckenknochen ist der stärkste Knochen im menschlichen Körper. Der Kopf von Rainer Schad liegt derweil auf einer Nackenstütze. Seilzüge erleichtern das Anheben und Halten der Arme. Vor allem beim Anheben des schweren Werkzeugs spürt der Kfz-Mechaniker die Unterstützung. Und die kann er gut gebrauchen. Denn pro Tag rollen bis zu 30 Lastwagen in der MAN-Werkstatt über seinen Arbeitsplatz. Die tägliche Über-Kopf-Arbeit hat über die Jahre hinweg Spuren hinterlassen.
Verschleiß ist in ganz Deutschland ein Problem
Seit mehr als 40 Jahren arbeitet Schad bereits beim Lkw-Hersteller MAN. Das stundenlange Schrauben unter den Lkw ist Routine. Doch vor einiger Zeit spielte sein Körper nicht mehr mit. Der erfahrene Mechaniker klagte über Rückenprobleme und eingeklemmte Nerven. Krankmeldungen bis zu zwei Wochen häuften sich. Dann die bittere Erkenntnis: Es geht nicht mehr. "Einige Tätigkeiten hätte ich hier nicht mehr ausführen können", sagt Schad rückblickend. Und er ist damit nicht allein. Rückenbeschwerden zählen zu den häufigsten Gründen für eine Krankschreibung in Deutschland. Die Krankenkassen schlagen Alarm: Muskel-Skelett-Erkrankungen verursachten 2023 bundesweit die meisten Arbeitsunfähigkeitstage bei AOK-Versicherten. Allein in Niedersachsen gingen im vergangenen Jahr bei den AOK-Mitgliedern rund 20 Prozent der Krankheitstage auf Muskel-Skelett-Erkrankungen zurück. Besonders betroffen: das Bau- und Verkehrsgewerbe. So sorgen die Rücken- und Muskelbeschwerden der Kollegen auch bei MAN für Fehlzeiten. Immer wieder gibt es Ausfälle. Das kostet das Unternehmen Geld.
Noch sind nicht alle davon überzeugt
In einer Pilotstudie wurde unter anderem in Hildesheim der Einsatz der Außenskelette getestet. Die Ergebnisse belegen nach Angaben von MAN eine signifikante Verbesserung: So werden Schultergelenke bei der Arbeit über Kopf um mehr als 60 Prozent entlastet. Auch Mitarbeiter bewerteten den Einsatz positiv. Im Juli wurden in 20 deutschen MAN Werkstätten über 75 Exoskelette für Schulter und Rücken in den Normalbetrieb eingeführt. Darunter in Hannover-Laatzen, Hamburg und Hildesheim. Dazu wurden Mitarbeiter der Werkstätten zu "Ergo-Coaches" ausgebildet. Das macht in Hildesheim Frank Lopp. Er kümmert sich darum, die Kollegen vom Nutzen der Stützstrukturen zu überzeugen und hilft, die Exoskelette auch richtig anzulegen. Dabei stößt er teilweise auf verschränkte Arme. "Manche Kollegen stäuben sich noch dagegen - auch jüngere", so seine Erfahrung.
Helfen die Exoskelette wirklich?
Dabei spielt der Tragekomfort von Exoskeletten eine entscheidende Rolle für ihre Akzeptanz und die Nutzungsbereitschaft der Beschäftigten, heißt es von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Der Einsatz solcher Hilfsmittel sei überall dort sinnvoll, wo der Arbeitsplatz sich nicht so einfach im Sinne der Arbeitnehmergesundheit umgestalten ließe. Erkenntnisse über die Folgen einer langfristigen Nutzung von Exoskeletten gebe es aber noch wenige. Dennoch konnte bereits eine Wirksamkeit nachgewiesen werden, sagt Frank Braatz. Er ist Professor für Orthobionik am Gesundheitscampus Göttingen. Hier wird seit längerem der Einsatz von Exoskeletten untersucht. Im Labor konnte nachgewiesen werden, dass das Schultergelenk durch Exoskelette deutlich entlastet wird. Eine Langzeituntersuchung gebe es aber noch nicht. Beim Exoskelett-Hersteller Otto-Bock laufe diese bereits. Die Ergebnisse stehen noch aus. Auch ohne Langzeitstudie ist Kfz-Mechaniker froh, bei seiner Arbeit etwas Hilfe unter den Armen zu haben. Das merkt er jeden Tag nach Feierabend. Die skeptischen Werkstatt-Kollegen will er davon überzeugen.