Kurzzeitpflege für behinderte Kinder kämpft ums Überleben
Das Aegidius-Haus in Hannover war vor zehn Jahren als Leuchtturmprojekt gestartet. Es sollte Eltern entlasten, die ihre schwer kranken Kinder pflegen. Jetzt endet die Finanzierung des Landes.
Erst waren es nur Gerüchte, dann stand es fest: Ende September läuft die Finanzierung des Landes für das Aegidius-Haus aus. Katrin Wernke, die Mutter der neunjährigen Marta erzählt: "Uns hat es relativ kalt erwischt, obwohl man natürlich auch wusste, es könnte schwierig werden. Marta geht seit ungefähr anderthalb Jahren zweimal im Jahr ins Aegidius-Haus". Marta ist am sogenannten Rett-Syndrom erkrankt. Das ist eine seltene genetische Erkrankung, die in ihrem Fall dazu führt, dass sie ihre Hände nicht kontrolliert einsetzen und kaum sprechen kann. Bewegungen fallen ihr grundsätzlich schwer. Sie braucht rund um die Uhr Betreuung.
Pflegende Angehörige bangen um Unterstützung
Auch Kathrin Hiller bringt ihren mehrfach schwerstbehinderten zehnjährigen Sohn Tammo regelmäßig für Kurzaufenthalte ins Aegidius-Haus. "Man kann sich das nicht vorstellen: wenn man immer verantwortlich ist, man immer zuständig ist. Diese Aufenthalte hier sind ganz wesentliche Zeiten, wo wir Eltern mal etwas alleine machen können."
Leuchtturmprojekt sollte Entlastung schaffen
Eltern, die ihre behinderten Kinder pflegen, sind hoch belastet, auch weil es an Kinderpflegediensten mangelt. Deshalb waren mit dem Aegidius-Haus so große Hoffnungen verbunden. Als das Haus vor zehn Jahren neben dem Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover eröffnet wurde, galt es als beispielhaftes Modell. Damals gab es in ganz Niedersachsen keine Entlastung für Eltern, die schwerstbehinderte Kinder pflegen. Mittlerweile gibt es immerhin noch eine weitere Einrichtung mit 12 Plätzen in Oldenburg, unter dem Dach der Diakonie. Und dennoch: Der Bedarf an Kurzzeitpflege für Kinder und Jugendliche ist enorm - nach Angaben des Branchennetzwerks becura e.V. sind rund 4.500 Familien in Niedersachsen betroffen.
Pflege von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung
Das Aegidius-Haus versorgt nach eigenen Angaben regelmäßig etwa 400 Kinder und Jugendliche. Sie können drei Wochen im Jahr in die Einrichtung kommen. Zwölf Plätze stehen hier zur Verfügung, die in der Regel in Urlaubszeiten frequentiert sind, dann zum Beispiel, wenn die Eltern mit den Geschwisterkindern in die Ferien fahren möchten.
Großer Bedarf - trotzdem zu geringe Auslastung
Und genau das ist das Problem des Hauses: So ist einerseits der Bedarf groß. Andererseits konzentriert sich das Interesse an freien Plätzen auf wenige Wochen im Jahr. Doch die laufenden Kosten für Personal und Unterhalt schlagen das ganze Jahr über zu Buche. Eine unglückliche Situation, die kaum zu lösen ist. Die durchschnittliche Auslastung liegt bei gerade einmal fünfzig Prozent. Zu wenig für schwarze Zahlen.
Pflegesätze decken die Kosten nicht
Aber auch die Kostenträger tragen Verantwortung dafür, dass das Haus nicht aus den roten Zahlen kommt. Das Problem: Die Pflegesätze der Kassen von maximal 390 Euro pro Tag decken nicht annähernd die Kosten von derzeit rund 550 Euro pro Tag - offenbar kein rein hannoversches Problem. Der stellvertretende Vorstand der Trägerstiftung Hannoversche Kinderheilanstalt, Stephen Struwe-Ramoth, erklärt: "Für uns ist der Fortbestand dieses Hauses extrem wichtig. Aber wir wissen auch, wie nicht nur in Niedersachsen, sondern in ganz Deutschland das Thema Kurzzeitpflege im Moment aussieht. Wir haben kaum noch ein solches Angebot und das liegt sicherlich auch daran, dass wir eine nicht auskömmliche Finanzierung dieser Kurzzeitpflege haben."
Geldgeber machen Rückzieher
Das Land hatte der Einrichtung eine Anschubfinanzierung von insgesamt drei Millionen Euro gewährt, 300.000 Euro pro Jahr für maximal zehn Jahre. Die sind jetzt um. Die Stiftung Kinderheilanstalt steuert nach eigenen Angaben inzwischen jährlich bis zu 450.000 Euro bei, um den Betrieb zu finanzieren. Doch die Stiftung schiebt allein schon wegen des verschuldeten Kinderkrankenhauses auf der Bult ein Millionendefizit vor sich her und sieht sich dauerhaft nicht in der Lage, das gewaltige Minus auszugleichen.
"Schließung wäre Katastrophe"
Unterdessen hagelt es Kritik vom Sozialverband SOVD und dem Verein pflegender Angehöriger "wir pflegen!". "Für viele Familien, die aufgrund des Pflegefachkräftemangels und der akut fehlenden Pflegeentlastung bereits mit dem Rücken zur Wand stehen, wäre eine Schließung des Hauses eine totale Katastrophe," warnt Christiane Hüppe, pflegende Mutter und Vorstandsmitglied vom Landesverein "wir pflegen!". Dirk Swinke, Vorstandsvorsitzender des SoVD in Niedersachsen, fragt: "Wie kann es sein, dass der Sozialminister betroffene Kinder und ihre Eltern derart im Stich lässt?" Es müsse nicht weniger, sondern mehr solcher Angebote geben. Deshalb habe er Minister Andreas Philippi von der SPD einen Brief geschrieben.
Gespräche über Rettung der Einrichtung für behinderte Kinder
Kritik, die sich der Sozialminister nicht zu eigen machen will. Er verweist darauf, dass sein Haus schon seit Jahren auf die schlechte Grundfinanzierung des Aegidius-Hauses hingewiesen habe. Zugleich berichtet er von intensiven Gesprächen über eine mögliche Rettung der Einrichtung. Derzeit versuche sein Ministerium mit der Hausleitung, der Trägerstiftung und den Kassen "ein stabiles Konzept, das sich wirtschaftlich trägt, auf die Beine zu stellen." Man sei im konstruktiven Austausch. Eine reine Kurzzeitpflege allerdings könne das Haus dann vermutlich nicht bleiben, eher eine Kombination mit einer anderen Einrichtung, die mehr Auslastung außerhalb der Ferienzeiten ermögliche. Mehr könne er noch nicht verraten. Bis zum Jahresende sei der Weiterbetrieb gesichert und für die Zeit danach habe er Hoffnung, dass es weitergehe.