Erster AfD-Landrat in Sonneberg: Wie reagiert Niedersachsen?
In Thüringen ist erstmals ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt worden. Die Parteien in Niedersachsen versuchen daraus Schlüsse zu ziehen. Ein Politikwissenschaftler erklärt den Symbolcharakter des Wahlsieges.
Robert Sesselmann ging aus der Stichwahl am Sonntag mit 52,8 Prozent der Stimmen als Sieger hervor. Damit lag er laut vorläufigem Wahlergebnis vor dem CDU-Kandidaten Jürgen Köpper, den ein Allparteienbündnis unterstützt hatte. Zwar ist die politische Situation in Thüringen eine andere. Dennoch hat die Wahl des AfD-Politikers die Landespolitik in Niedersachsen teilweise überrascht.
Innenministerin Behrens: "Schockmoment für Demokraten"
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) nennt die Wahl einen "Schockmoment für alle Demokratinnen und Demokraten". Denn obwohl die AfD in Thüringen erwiesenermaßen rechtsextrem sei, habe die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler dem AfD-Kandidaten zugetraut, ein Landratsamt zu übernehmen. "Unser Auftrag für Niedersachsen muss sein, dass man immer mit Menschen eng im Kontakt ist, dass man Politik erklärt und sich auf die Debattenkultur einlässt", sagt Behrens dem NDR Niedersachsen. Robert Sesselmann sprach im Wahlkampf vor allem über bundespolitische Themen, auf die er als Landrat wenig direkten Einfluss haben wird. "Die Leute, die Sie auf der Straße treffen, die interessiert: Wie geht’s denn jetzt weiter mit den Russland-Sanktionen? Was wird mit unserer Energie?", sagte Sesselmann dem Deutschlandfunk.
Weil: "Darauf kann ich mir keinen Reim machen"
Aus Sicht von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verdeutlicht der Wahlsieg Sesselmanns einen Ost-West-Unterschied. "Gerade in den wesentlichen Fragen der aktuellen Politik herrschen unterschiedliche Stimmungen zwischen Ost und West", sagte Weil am Montag in der Sendung "Frühstart" der Sender RTL und ntv. Er zeigte sich überzeugt, dass ein Großteil der AfD-Wähler inhaltlich nicht überzeugt sei von der Partei, sondern eher enttäuscht von den anderen Parteien. Nicht nachvollziehen kann er, dass ausgerechnet die als rechtsextrem eingestufte thüringische AfD um Landes- und Fraktionschef Björn Höcke diesen Erfolg hat. "Dass das überhaupt keine Resonanz im Wahlergebnis hat, darauf kann ich mir keinen Reim machen", sagte Weil.
Landesverband "gesichert rechtsextrem"
"Das war erst der Anfang", schrieb der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla nach der Wahl auf Twitter. Landeschef Björn Höcke sprach von einem "politischen Wetterleuchten". Sein AfD-Landesverband wird vom Thüringer Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Das Beispiel Sonneberg zeigt, dass es nicht allein wirtschaftliche Gründe sind, die den aktuellen Höhenflug der AfD auslösen. "Der Landkreis ist exportstark, steht wirtschaftlich gut in Ostdeutschland da", sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder, der an der Universität Kassel zu Rechtspopulismus forscht. Es handle sich jedoch um eine konservative Region, in der die CDU in der "Brandmauer"-Frage gespalten sei. Die CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag hat sich aus Termingründen bisher nicht dazu geäußert.
Grüne setzen auf Zusammenarbeit der Parteien
Wohl auch mit Blick auf die CDU sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Anne Kura, es helfe nicht weiter, Verunsicherung zu schüren und den Diskurs nach rechts zu verschieben. Das Ergebnis der Landratswahl in Thüringen dürfe nicht dafür sorgen, dass rechtsextreme Positionen normal werden. Sie setze auf die Zusammenarbeit der Parteien: "In Niedersachsen arbeiten wir konstruktiv an der Lösung der Probleme", so Kura.
Politikwissenschaftler: "Signal für die Bundesrepublik"
Politikwissenschaftler Schroeder warnt: "Man kann und muss die Wahl als Signal für die Bundesrepublik begreifen." Der derzeitige Zuspruch zur AfD habe sich sukzessive seit Mitte 2022 gesteigert. Zwar prophezeit Schroeder der AfD geringe Erfolgsaussichten im Westen Deutschlands. Doch die Wahl habe eine große symbolische Bedeutung. Nun stehe die AfD als bisherige "Dagegen-Protestpartei" im Landkreis Sonneberg vor der Herausforderung, Sachpolitik für die Bürgerinnen und Bürger machen zu müssen.