Soldaten stehen bei einem Rückkehrerappell in einem Hangar auf dem Gelände vom Fliegerhorst Wunstorf. © dpa-Bildfunk / dpa Foto: Michael Matthey

Bundeswehr-Einsatz in Mali: Soldaten und Politiker blicken zurück

Stand: 15.12.2023 17:32 Uhr

Die letzten Soldaten aus dem Mali-Einsatz sind am Freitag auf dem Fliegerhorst in Wunstorf gelandet. Damit endet die aktuell gefährlichste Mission der Bundeswehr. Die Bilanz des Einsatzes ist ernüchternd.

von Johannes Koch und Marco Schulze

Es ist der Tag der Rückkehr nach Wunstorf. Bald landet das Militärflugzeug, das Oberst Heiko Bohnsack und weitere Soldatinnen und Soldaten aus dem Auslandseinsatz zurückbringt. Rückblick: Als der 54-Jährige im März als Kontingentführer aus Munster nach Mali aufbricht, steht er vor einer schwierigen Aufgabe, wie er damals selbst sagt. Es ist Bohnsacks fünfter Auslandseinsatz, aber noch nie hatte er so viel Verantwortung. In Mali beginnt er seinen Tag stets so: Laufschuhe, T-Shirt, kurze Hose - drei Runden durch das Camp joggen. Morgens kurz vor sechs Uhr, da liegen die Temperaturen noch bei erträglichen 30 Grad. Das Laufen ist Bohnsacks Morgenritual. Dabei sei er eine Stunde ganz bei sich: "Das kann mir keiner nehmen. Und das hilft einem tatsächlich, einen harten Tag zu überstehen." Von solchen privaten Momenten hat der Kontingentführer nur wenige, dafür viele dieser harten Tage.

Auftrag: Überwachen und Sichern

Der Soldat Tim M. steht in Mali vor Bundeswehrfahrzeugen. © NDR
Im Mali sorgten Soldaten wie Tim M. für Sicherheit - bis die malische Militärjunta sie im Juni zum Abzug aufforderte.

Sechs Monate soll Heiko Bohnsack den Einsatz im westafrikanischen Mali leiten. Aufklärung ist dort die Aufgabe der Deutschen: Sie überwachen große Landstriche, sorgen für Sicherheit in einem Staat, in dem sich gleich mehrere Terrorgruppen, Rebellen und malische Streitkräfte bekriegen. Unter den Soldaten ist auch Tim M. aus Rotenburg (Wümme). Vor wenigen Monaten hat der 28-Jährige seine Ehefrau Patricia geheiratet. Im März 2023 bricht er auf in seinen ersten Auslandseinsatz. Tim ist aus Überzeugung Soldat geworden, sagt er: "Wir sind die Lebensversicherung, die hoffentlich nie jemand brauchen wird". Von der Verpflichtung bei der Bundeswehr erzählt er seinen Eltern erst nach der Unterschrift. Sein Vater sieht den Auftrag der UN-Mission kritisch: "Ich bin der Meinung, dass wir in Mali als Bundesrepublik Deutschland nichts verloren haben". Das gelte auch für seinen Sohn.

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Mission endet anders als geplant

In Mali gehört es zu Tims Aufgaben, in Ortschaften zu patrouillieren und das Gebiet rund um das Bundeswehrcamp zu sichern. "Es geht nicht darum, hier blindlings irgendwo reinzustürmen und dabei zu sterben", sagt der 28-Jährige im Interview mit dem NDR. Seine Aufgabe kann er nur wenige Monate erfüllen, denn im Juni fordert die malische Militärjunta die Vereinten Nationen und damit auch Deutschland zum Abzug auf. Sie setzt lieber auf russische Wagner-Söldner statt auf Blauhelmtruppen.

Der Soldat Tim M. steht in Mali vor Bundeswehrfahrzeugen. © NDR
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Aus Einsatz wird Abzug

Kontingentführer Heiko Bohnsack steht in einem Hangar in Mali. © NDR
Heiko Bohnsack leitete den Abzug. Er ist einer der letzten deutschen Soldaten, die aus Mali zurückkehren.

Seit dem Rausschmiss leitet Kontingentführer Heiko Bohnsack keinen Einsatz mehr, sondern einen Abzug. Tausende Tonnen Material müssen schnellstmöglich das Land verlassen. Der einzige Weg raus führt über eine kleine Flugpiste direkt am Camp, kontrolliert vom malischen Militär. Immer wieder muss der Oberst aus Munster mit den malischen Behörden über Start- und Landerechte verhandeln, die eigene Truppe gleichzeitig bei Laune halten. Mal kommt keine Feldpost an, mal keine Luftpolsterfolie, die man dringend benötigt, um Material einzupacken. Immer wieder dürfen Flugzeuge nicht starten, die Menschen oder militärisches Gerät ausfliegen sollen. Bohnsack hat sich dort hineingearbeitet, Kontakte geknüpft, Vertrauen aufgebaut. Das ist gut für den Abzug und heißt für den Oberst gleichzeitig, dass er länger als geplant in Mali bleibt. Mit all seinen Konsequenzen, darunter wenig Zeit, um Verbindung zur Familie zu halten: "Ich habe öfter mal Heimweh. Ich bin ein Typ für Heimweh, ist aber nichts Schlimmes."

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Politik zieht ernüchternde Bilanz des Mali-Einsatzes

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ist dem Oberst sehr dankbar für seine Arbeit. Das sagt der SPD-Politiker in einem exklusiven Interview mit dem NDR. Gleichzeitig bilanziert Pistorius darin: "Wenn wir von Anfang an gewusst hätten, dass es so ausgeht, hätten wir vermutlich alle gesagt: 'Dann lassen wir es.' Aber man weiß es ja vorher nicht." Ähnlich ernüchtert zeigt sich auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Das Land werde nach dem Abzug vermutlich in Gewalt ersticken, so die FDP-Politikerin: "Das ist den Menschen gegenüber, denen wir helfen wollten, ein bitteres Fazit". Dennoch: Der Einsatz sei sinnvoll gewesen, sagt die Grünen-Politikerin Sara Nanni. Sie persönlich habe sich nie für ein Ende der Mission ausgesprochen.

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Kritik am Einsatz

Zu lange habe die Bundesregierung am Einsatz in Mali festgehalten, heißt es aus der Union. Verteidigungspolitiker Henning Otte (CDU) aus Celle hält es dennoch für richtig, dass Deutschland sich 2013 für einen Einstieg in die UN-Friedensmission entschieden hat: "Was wäre wohl aus dem Land geworden, wenn die Gemeinschaft nicht eingeschritten wäre? Dann wäre vielleicht dort ein fester IS-Staat, der die Menschen dort terrorisieren würde und von dort aus einen Brückenkopf bildet in Richtung Europa, um die Migration als Druck gegen die westliche Welt einzusetzen." Otte nennt den Einsatz sinnvoll, doch spätestens seit den Militärputschen in Mali habe auch er daran gezweifelt. Laute Kritik kommt aus der Linken und der AfD. Die Frage, welchen deutschen Interessen der Einsatz in Mali gedient habe, sei nie beantwortet worden, so der AfD-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Lucassen. In den zehn Jahren in Mali seien Not, Hunger, Vertreibung und Terror gestiegen, so Ali Al-Dailami von der Linkspartei.

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Sinn der UN-Mission

Der Einsatz, den Oberst Bohnsack aus Munster abgewickelt hat, gilt für viele Verteidigungspolitiker nicht als Erfolg - ganz im Gegenteil. Bohnsack selbst sagte schon vor seinem Abflug nach Mali: "Militärisch fängt es an, dass es keinen Sinn mehr macht. Politisch ist es eine andere Frage." Doch vor Ort, im Sommer, antwortet der Kontingentführer anders: Die deutschen Soldatinnen und Soldaten hätten für Sicherheit rund um das Camp gesorgt, auch für die malische Zivilbevölkerung. Darin sehe er einen Sinn. Dem stimmt auch Tim M. aus Rotenburg (Wümme) zu: "Sinn ergibt es auf jeden Fall, was wir dort machen. Nur wie nachhaltig ist das Ganze?"

Politische Aufarbeitung soll folgen

Die Bilanz des Mali-Einsatzes kennt auch Verluste: Drei deutsche Soldaten kamen ums Leben. 13 wurden verwundet. Heiko Bohnsack ist am Freitag als einer der letzten deutschen Soldaten der UN-Mission in Wunstorf zurückgekehrt. Beim Rückkehrerappell waren auch die Verteidigungspolitiker dabei, die bereits jetzt ankündigen: Der Einsatz in Mali müsse aufgearbeitet werden.

Die ganze Geschichte der Soldaten aus Niedersachsen ab sofort zu sehen in der mehrteiligen Doku-Serie "Einsatzbefehl Mali" - jetzt in der ARD Mediathek.

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Verteidigungsminister Boris Pistorius zeichnet Oberst Heiko Bohnsack mit einer Einsatzmedaille bei einem Rückkehrerappell in einem Hangar auf dem Gelände vom Fliegerhorst Wunstorf aus. © dpa-Bildfunk / dpa Foto: Michael Matthey

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Regional Hannover | 15.12.2023 | 15:00 Uhr

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