Kreuz auf einem Wörterbuch mit dem Wort Missbrauch. © picture alliance / Bildagentur-online/Ohde Foto: Bildagentur-online/Ohde

400.000 Euro Schmerzensgeldprozess gegen katholische Kirche

Stand: 07.11.2024 13:36 Uhr

Ein besonderer Prozess beginnt am Freitag vor dem Landgericht Hildesheim. Jens Windel klagt gegen das Bistum Hildesheim auf Schmerzensgeld. In Niedersachsen ist es die erste Missbrauchs-Klage dieser Art gegen die katholische Kirche.

von Florian Breitmeier

Jens Windel ist im Bistum Hildesheim kein Unbekannter. Seit Jahren setzt er sich mit der von ihm gegründeten Betroffeneninitiative für Menschen ein, die sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche erlitten haben. Auf Bundesebene engagiert er sich im Betroffenenbeirat der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Auch den Bundespräsidenten hat er deshalb schon getroffen. Nun führt ihn sein Weg in den Sitzungssaal 137 des Hildesheimer Landgerichts.

Klage gegen das Bistum Hildesheim

Jens Windel wirft dem Bistum Hildesheim vor, es sei nicht konsequent gegen einen Geistlichen vorgegangen, der auch ihn missbraucht haben soll. Dass es Hinweise auf sexualisierte Gewalt des mittlerweile verstorbenen Geistlichen gegenüber Minderjährigen gibt, bestreitet das Bistum nicht. Allerdings hat das Bistum erklärt, es lägen keine schriftlichen Quellen oder anderweitige Hinweise vor, dass der Geistliche auch gegen Jens Windel sexualisierte Gewalt ausgeübt habe.

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Beweislast im Prozess liegt beim Kläger

Die Taten sollen sich laut Windel Mitte der 1980er Jahre in Sorsum bei Hildesheim ereignet haben. Damals war er Messdiener. Rund 40 Jahre ist das her. Das Bistum setzt in dem Prozess auf die Einrede der Verjährung. Die gilt in einem Zivilverfahren nicht automatisch, sondern muss aktiv erhoben werden. Genau das hat das Bistum gemacht. Die Beweislast in dem Verfahren liegt damit bei Jens Windel.

Treuwidriges Verhalten des Bistums?

Dessen Anwalt ist allerdings überzeugt, dass sich das Bistum nicht auf die Einrede der Verjährung berufen könne, weil es in dem Fall "treuwidrig" und "widersprüchlich" vorgegangen sei. Es wird zum Beispiel betont, dass das Bistum Hildesheim das Engagement des Betroffenensprechers wertgeschätzt und ihm für seine Aufklärungsarbeit mehrmals öffentlich gedankt habe. Auch ein Entschuldigungsschreiben für das erlittene Unrecht habe es gegeben. Und Jens Windel verweist auf Anerkennungszahlungen, die er von der katholischen Kirche erhalten hat. Das stellt die Kirche auch nicht in Frage.

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Missbrauchsvorwürfe: Bistum spricht von Verjährung

Durch die Einrede der Verjährung macht das Bistum Hildesheim nun in einem Zivilprozess deutlich, dass es keine Aussagen dazu machen kann, ob die Missbrauchsvorwürfe von Jens Windel gegen den mittlerweile verstorbenen Geistlichen zutreffen oder nicht. Auch wird die Auffassung vertreten, dass keine Amtshaftungsansprüche bestehen, die von Jens Windel geltend gemacht werden könnten. Das Bistum wahre mit der Einrede seine Rechte als Prozesspartei, wie es jede andere Institution auch tun könne, sagte Bistumssprecher Volker Bauerfeld. Der moralischen Verantwortung stelle man sich.
Die Einrede der Verjährung ist in Prozessen dieser Art häufig umstritten. Auch weil es Juristen gibt, die die Frage stellen, ob eine Einrede auf Verjährung zulässig ist, zum Beispiel wenn ein Bistum die Pflichtverletzungen von Klerikern nicht sanktioniert oder vertuscht hat. Wie verhält es sich im konkreten Fall?

Freiwillige Zahlungen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht

Jens Windel sucht nun die Entscheidung vor Gericht. Von der Kirche ist er enttäuscht. Er hat von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) insgesamt 50.000 Euro zugesprochen bekommen. Die katholischen Bischöfe haben die Kommission Ende 2020 eingerichtet und sich auf dieses bundesweit einheitliche Verfahren verständigt. Die freiwilligen Leistungen erfolgen ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Die Angaben von Jens Windel wurden auf ihre Plausibilität hin geprüft, aber eben nicht streng juristisch. Dies sei ein niedrigschwelliges Verfahren, ohne das die Betroffenen wie in einem Gerichtsprozess Beweise vorlegen müssten, heißt es aus den katholischen Bistümern mit Blick auf die UKA.

Bistum lehnt außergerichtliche Einigung ab

Der Hildesheimer Dom. © picture alliance Foto: Ole Spata
Das Bistum Hildesheim beruft sich auf die Einrede der Verjährung.

Deshalb habe man auch eine von Jens Windel vorgeschlagene außergerichtliche Vergleichsverhandlung abgelehnt, weil damit eine unabhängige Instanz fehlen würde, argumentiert das Bistum Hildesheim. Angesichts des erlittenen Leides und der Folgen seien 50.000 Euro aber viel zu wenig, sagt Jens Windel. Für ihn blieb nur der Gang vor Gericht, auch wenn ihn das belaste und schmerze.

Betroffene von Missbrauch protestieren gegen Einrede der Verjährung

Nun muss der Prozess klären, wie sich die Einrede der Verjährung mit geleisteten Anerkennungszahlungen, kirchlichen Entschuldigungsschreiben, und öffentlich ausgesprochenem Dank vertragen. Eine Prüfung kann zeitintensiv werden. Denkbar wäre deshalb zum Beispiel, dass das Gericht den Prozessparteien einen Vergleich vorschlägt. Dann müsste nicht detailliert geklärt werden, ob im konkreten Fall die erhobene Einrede der Verjährung rechtens ist oder nicht.

Zehntausende unterschreiben Petition

Betroffenen-Initiativen wie der "Eckige Tisch" stören sich daran, wenn die Kirche in Zivilprozessen von Missbrauchsbetroffenen die Einrede der Verjährung erhebt. Darauf solle grundsätzlich verzichtet werden lautet eine Forderung - auch dieser Tage in Hildesheim. Eine entsprechende Petition hätten bundesweit bislang mehr als 65.000 Menschen unterschrieben, sagt Matthias Katsch vom Eckigen Tisch. Wie die katholische Kirche so wird auch er den Prozessauftakt in Hildesheim aufmerksam verfolgen.

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