VW-Klagen: Erfolg nur am "richtigen" Wohnort?
In Deutschland klagen derzeit Tausende von VW-Kunden wegen ihrer abgasmanipulierten Diesel-Autos. Allerdings sind die Erfolgsaussichten höchst unterschiedlich. Der mögliche Erfolg oder Misserfolg der Klage hängt nämlich offenbar weniger vom Einzelfall ab, als vielmehr - so absurd das klingen mag - vom Wohnort des Klägers. Denn der Gerichtsstand liegt in Fällen von Kaufverträgen dort, wo der Käufer wohnt.
Braunschweig: Von fast 400 Fällen nur vier Erfolge für Kläger
Beispiel Niedersachsen: Das Landgericht Braunschweig verhandelt besonders viele Klagen; dort widmen sich inzwischen zwei Kammern mit insgesamt sechs Richtern ausschließlich den VW-Abgas-Verfahren. Fast 400 Fälle wurden schon entschieden, aber nur vier Mal zugunsten der Kläger, im vergangenen Jahr in gar keinem Fall mehr. Wer in Braunschweig vor Gericht zieht, scheint derzeit praktisch keinerlei Aussicht auf Erfolg zu haben.
Osnabrück: Meistens zugunsten der Kläger
Ganz anders sieht es etwa in Osnabrück aus: Das dortige Landgericht habe in der Vergangenheit ganz überwiegend zugunsten der Kläger entschieden, sagte Sprecherin Katrin Höcherl gegenüber NDR 1 Niedersachsen. Allein im vergangenen Jahr hätten die Kammern in Osnabrück in 30 Fällen den Klagen stattgegeben. Hier haben Kläger also eine reelle Chance, ihre Ansprüche durchzusetzen. Die anderen neun niedersächsischen Landgerichte liegen in ihren Entscheidungen irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Konkrete Zahlen konnte die Landgerichte auf NDR Anfrage nicht nennen.
In Braunschweig zu viel Nähe zu VW?
Dass nun ausgerechnet das Landgericht in Braunschweig so kompromisslos gegen die Kläger entscheidet, wirft Fragen auf. Spielt die Nähe zur VW-Konzern-Zentrale eine Rolle? Ist man im Schatten von Wolfsburg eher geneigt, die Interessen des Autobauers zur berücksichtigen als andernorts? Diesen Verdacht will Rike Werner, Sprecherin des Braunschweiger Landgerichtes, nicht stehen lassen: Die Richterinnen und Richter entschieden völlig unabhängig und nur nach der eigenen juristischen Einschätzung.
Anwalt: Unterschiede schwer zu erklären
Für die Kläger sei der aktuelle juristische Flickenteppich kaum nachvollziehbar, erklärt Rechtsanwalt Stefan Rieneker aus Thüringen, der zahlreiche Verfahren angestrengt hat: 90 Prozent der Beratungszeit mit seinen Mandanten vergehe damit, ihnen zu erklären, warum die Rechtslage so schwierig ist.
Richter auch unzufrieden
Aber nicht nur die Kläger, auch viele Richter sind unzufrieden mit der Situation. Man brauche eine richtungsweisende Entscheidung, heißt es immer wieder an den Landgerichten; eine Entscheidung von einem Oberlandesgericht, an der man sich orientieren könne. Aber die kommt nicht zustande: Landet nämlich ein Verfahren in der zweiten Instanz vor einem der drei niedersächsischen Oberlandesgerichte, kommt es sehr schnell zu einem außergerichtlichen Vergleich. Über die Einzelheiten wird Stillschweigen vereinbart - man kann nur vermuten, dass der Kläger angemessen entschädigt wird. Der Vorteil für VW: Eine wegweisende Entscheidung auf OLG-Ebene kommt nicht zustande - und damit auch keine, die für VW nachteilig sein könnte. Die Dinge bleiben in der Schwebe.
Mit außergerichtlichen Vergleichen Richter-Urteile "kaufen"?
Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Konzern versucht, durch außergerichtliche Vergleiche höchstrichterliche Entscheidungen praktisch "wegzukaufen". In der Versicherungsbranche hat es das schon gegeben, auch bei Finanzdienstleistern. VW weist diese Darstellung aber auf NDR Anfrage zurück: Man "prüfe jeden einzelnen Fall und werde nicht in jedem Fall Berufung gegen erstinstanzliche Entscheidungen einlegen", heißt es in einer Stellungnahme.
Eines ist jedenfalls klar: Die Zeit arbeitet für VW. Noch verzichtet der Konzern freiwillig auf seine Verjährungs-Ansprüche. Aber diese Zusage gilt nur bis zum Ende des Jahres: Wer bis dahin nicht geklagt hat, wird wohl leer ausgehen.