Phenomobile: Wenn die Praxis zum Baby kommt
Säuglinge müssen oft untersucht werden. So will man sichergehen, dass sie sich normal entwickeln. In Göttingen haben Forschende nun ein mobiles Labor entwickelt, das zu den Babys kommt.
Wie entstehen Motorik, Vokalisation und auch die ersten Interaktionen? Was wissen wir über die frühkindliche Entwicklung? "Nicht genug", sagt Peter Marschik von der Universitätsmedizin Göttingen. Das Problem: Um mehr über die ganz frühe Entwicklung zu erfahren, müssten die Babys ab der Geburt in ganz engen Zeitabständen untersucht werden. Für die Eltern ist das ein enormer Zeitaufwand. Für die Studien bedeutet das weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Wie können die Kinder engmaschiger untersucht werden?
Der Österreicher Marschik ist für seine Idee - das Phenomobile - nach Göttingen gekommen. Gemeinsam mit einem zehnköpfigen Team hat er das Entwicklungslabor der Klinik nachgebaut und in einen einen Transporter eingesetzt. So können die Forscherinnen und Forscher direkt vor die Haustür fahren und dort die Babys untersuchen. Auch für die Eltern ist das ein Vorteil: "Für mich ist das eine absolute Zeitersparnis," sagt beispielsweise Mutter Lena Pütsch. Ihr Sohn Justus ist acht Wochen alt und seit der Geburt einmal die Woche im Phenomobile.
"Das ist für einen Säugling eine echt schöne Umgebung"
Nach einer kurzen Begrüßung haben die Babys erstmal Zeit, im vorgeheizten Transporter anzukommen. Danach liegen sie alleine in einer Krippe. Lena Pütsch wartet für drei Minuten, ohne auf ihren Sohn einzugehen. Dann dürfen Mutter und Sohn für weitere drei Minuten miteinander kommunizieren. "Am Anfang hat er gar nicht reagiert und inzwischen mit acht Wochen guckt er mich dann auch an und spricht mit mir. Das ist echt schön."
Sechs Kameras, Bordcomputer und Künstliche Intelligenz
Bewegungen, Geräusche und jedes kleine Lächeln werden von sechs Kameras erfasst. Mithilfe der Filmaufnahmen kann eine 3D-Rekonstruktion des Babys erzeugt werden. Anhand charakteristischer Punkte wie dem Kopf oder den Hand- und Fußgelenken ergibt sich eine sogenannte "Stick-Figure". Diese braucht es, damit eine Künstliche Intelligenz (KI) die Bewegungen der Kinder analysieren kann. Der Göttinger Physiker Florentin Wörgötter erläutert: "KI wird verwendet, um die Bewegungsmuster von gesunden Kinder von jenen mit Entwicklungsstörungen zu unterscheiden."
Entwicklungsstörungen früh erkennen
Hierbei geht es zum Beispiel um eine Früherkennung von Autismus. "Wir können damit Neugeborene untersuchen, die schon ein älteres Geschwister haben, bei mit Autismus diagnostiziert wurde. Dadurch können wir die Entwicklungswege von einem Kind, das vielleicht auch ein erhöhtes Risiko trägt, besser nachvollziehen", sagt Luise Poustka von der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Göttingen. Sie ist die klinische Leiterin der Studien, die mit dem Phenomobile durchgeführt werden.
"Wir sind geographisch nicht begrenzt"
Peter Marschik und sein Team sind bereit, für ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse weite Wege auf sich zu nehmen. "Wir fahren so weit, wie wir kommen und wir hoffen, dass wir viele Kinder einschließen können und so auch viele Entwicklungsstörungen früher erkennen", sagt Marschik. Unterstützt wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Volkswagenstiftung, der Leibniz-Gemeinschaft und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung. Wer sich über eine Teilnahme an den Studien informieren möchte, kann das auf der Homepage der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen tun.