Porträtfoto von Wieland Gabcke. © NDR

Kommentar zu Urteil nach Mord in Göttingen: "Schwer nachvollziehbar"

Stand: 21.02.2025 12:23 Uhr

Weil er seine Frau mit 23 Messerstichen umgebracht hat, wurde ein 40-Jähriger am Donnerstag in Göttingen zu lebenslanger Haft verurteilt. Niedrige Beweggründe seien ihm nicht anzulasten, so der Richter - warum?

Ein Kommentar von NDR Redakteur Wieland Gabcke

Es gibt juristische Argumente, die schwer nachzuvollziehen sind. Da bringt ein Mann, der mehrfach wegen körperlicher und verbaler Gewalt gegenüber seiner Frau und seinen Kindern aufgefallen war, der sich wegen häuslicher Gewalt ihnen eigentlich gar nicht nähern durfte, sich aber immer wieder aufdrängte, die Mutter vor den Augen der Kinder um. Lässt nicht von der Mutter ab, obwohl die älteste Tochter ihn dazu auffordert und ruft dann noch seinen Kindern zu, er habe das aus Liebe zu ihnen gemacht, weil die Mutter eine Verräterin sei und sie es bei ihm besser hätten. So hat es der Richter am Landgericht Göttingen in seinem Urteil beschrieben. Und hat dann auch zugegeben: Objektiv habe der Täter aus niedrigen Beweggründen gehandelt - also ein klares Mordmerkmal.

Nebenklage-Anwältin: Patriarchales Besitzdenken ausgeklammert

Verurteilt hat er den 40-jährigen Syrer deshalb aber nicht - weil er subjeḱtiv diese Beweggründe nicht habe erkennen können. Weil der Täter eine paranoid-narzisstische Persönlichkeitsstörung habe. Die Nebenklage-Anwältin Helen Wienands, die Vertreterin der Kinder vor Gericht, hat diese Deutung scharf kritisiert - nämlich, dass der Richter das patriarchale Besitzdenken des Täters ausklammert. Ein Besitzdenken, wonach er über Leben und Tod entscheiden könne.

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War das etwa keine verwerfliche Straftat?

Die Argumentation des Richters ist schwer nachvollziehbar und es wäre nicht verwunderlich, wenn der Bundesgerichtshof den Fall anders bewertet. Genauso wie die Frage, ob hier auch die besondere Schwere der Schuld vorliegt, weil die Kinder eben die grauenvolle Tat mit ansehen mussten. Wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt, kann ein Täter nicht vorzeitig aus der Haft entlassen werden. Das hatte die Anklage gefordert, das Gericht aber mit dem Verweis darauf, dass es dazu keine klaren Vorgaben durch die Rechtssprechung gebe, verworfen. Das bedeutet: Die Kammer wäre vielleicht ein juristisches Wagnis eingegangen, hätte aber anders urteilen können. Und da fragt man sich: Wieso hat das Gericht so geurteilt? War das etwa keine verwerfliche, außergewöhnliche Straftat?

Richter: Urteile wegen besonderer Schwere sind selten

Der Richter erklärte, diese Karte habe er in seiner Zeit am Landgericht Göttingen bisher erst einmal gezogen. Beim Doppelmord von Grone, als ein narzisstisch gestörter Mann seine Ex-Freundin auf offener Straße erstochen und angezündet hatte. Dann erwähnte der Richter den Wiesenstraßen-Mord, als ein ebenfalls narzisstisch gestörter IT-Techniker aus Hannover seine Ex-Freundin ermordete und anschließend mit gefälschten Nachrichten an das Umfeld der Toten den Mord vertuschen und es wie einen Selbstmord aussehen lassen wollte. Hier sah er keine besondere Schwere der Schuld, ebenso bei dem 40-Jährigen Syrer. Das wirkt eher willkürlich. Was alle Fälle gemeinsam haben: Die Herkunft des Täters ist völlig egal. Ob es nun Deutsche sind, wie beim Doppelmord von Grone oder dem Wiesenstraßen-Mord, oder ein Syrer, wie beim Mord der Mutter vor den Augen der Kinder - in allen Fällen handelt es sich um narzisstisch gestörte Männer, mit patriarchalem Besitzdenken. Und das führt zum sogenannten Femizid - den es im deutschen Strafrecht aber als Kategorie gar nicht gibt. Es ist höchste Zeit, das zu ändern.


21.02.2025 12:21 Uhr

In einer früheren Version hieß es, der Richter habe bisher zweimal in Mordprozessen die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Das ist nicht der Fall. Er hat das nur beim Doppelmord Grone getan. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Regional Braunschweig | 21.02.2025 | 07:30 Uhr

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