Käßmann: Julia Hamburg kann dem VW-Aufsichtsrat nur guttun
In der Kontroverse um die Berufung von Niedersachsens Kultusministerin Julia Hamburg in den Aufsichtsrat von Volkswagen erhält die Politikerin weitere Unterstützung - von Frauen aus der Kirche.
"Eine Frau. Eine Grüne. Eine Fahrradfahrerin. Und die im VW-Aufsichtsrat? Könnten alle Aufgeregten bitte mal kurz einen Gang zurückschalten?", forderte die frühere hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Hamburg sei ihrer neuen Aufgabe "sicher nicht nur gewachsen, sondern vor ihrem für diese Branche untypischen Hintergrund womöglich besser als viele andere in der Lage, dem VW-Aufsichtsrat neue Impulse zu geben".
Aktionärsvertreter: "Radfahrerin ohne Fachkompetenz"
Der Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, Ulrich Hocker, hatte die Personalie Hamburg zuvor als "offensichtliche Fehlbesetzung" bezeichnet und angekündigt, dagegen zu klagen. Als Grund gab Hocker an, dass Hamburg als bekennende Radfahrerin ohne eigenes Auto und aufgrund fehlender Fachkompetenz nicht für das Amt in dem Automobilkonzern geeignet sei.
Käßmann verweist auf Klimakrise
Die Welt steuere auf eine Klimakatastrophe zu, deshalb sei eine sozial-ökologische Transformation von Industrie und Wirtschaft alternativlos, sagte Käßmann. Sie stelle immer wieder fest, dass gerade in etablierten Strukturen und Machtgefügen eine massive Angst vor Veränderung verbreitet sei. Gerade im Wirtschaftsleben sei eine solche Haltung aber fatal, betonte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. "Wirtschaft braucht immer das Wagnis, neu zu denken. Ich wünsche mir mehr Mut, alte Muster zu verlassen."
Vor dem Hintergrund der Klimakrise brauche es Menschen, die mit "einer klaren Haltung und mit neuen Ideen" zu einer wirklich nachhaltigen Entwicklung des Weltkonzerns beitragen, argumentierte Käßmann. "Eine Frau wie Hamburg kann dem Gremium doch nur guttun." Die Ministerin werde sicher klug und konstruktiv agieren und habe bestimmt nicht vor, "den Aufsichtsrat aufzumischen".
Theologin: "Wäre sie ein Mann, wäre ihr das nicht passiert"
Zu Käßmann gesellte sich am Sonnabend eine weitere weibliche Stimme aus der evangelischen Kirche. "Es ist unanständig, eine junge Frau, die in ihrer Rolle als stellvertretende Ministerpräsidentin dieses Amt übernimmt, öffentlich so fertigzumachen", sagte Oberlandeskirchenrätin Kerstin Gäfgen-Track am Sonnabend. Zu der Äußerung des Aktionärvertreters Hocker sagte sie: "Das geht überhaupt nicht. Ich bin überzeugt: Wenn Frau Hamburg ein Mann wäre, wäre ihr das nicht passiert." Amtsvorgänger im VW-Aufsichtsrat wie der gelernte Lehrer und frühere niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) seien auch nicht besser qualifiziert gewesen.
Rückendeckung für Hamburg vom Wirtschaftsminister
Zuvor hatte Hamburg unter anderem vom neuen Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) Rückendeckung erhalten. Lies saß zwischen 2013 und 2017 im VW-Aufsichtsrat, als er ebenfalls Wirtschaftsminister war. "Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass der Ministerpräsident und die stellvertretende Ministerpräsidentin - und damit beide Koalitionspartner - dort jeweils ein Mandat wahrnehmen", erklärte Lies dazu. "So stellen wir sicher, dass das Land Niedersachsen weiterhin eine starke Stimme im Aufsichtsrat hat." Hamburg werde hier sicher "einen guten Job machen".
Zweiten Posten besetzte meist der Wirtschaftsminister
Niedersachsen ist Anteilseigner von VW und hat dadurch traditionell zwei Posten im Aufsichtsrat inne. Den ersten besetzt der Ministerpräsident. Für die Besetzung des zweiten Postens hatte in der Vergangenheit in der Regel die inhaltliche Nähe den Ausschlag gegeben, weshalb er mit dem Wirtschaftsminister besetzt wurde. In der neuen rot-grünen Koalition sollen die Grünen auf eine stärkere Rolle in der Wirtschaftspolitik gedrungen haben.