Anschlag in Magdeburg: Wie geht es dem 15-jährigen Niclas aus Peine?
Bei dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt 2024 in Magdeburg ist ein 15-jähriger Junge aus Peine schwer verletzt worden. Zwei Monate nach dem Anschlag spricht NDR Niedersachsen mit seinen Eltern.
Am 20. Dezember 2024 ist der 15-jährige Niclas Brauer aus Peine bei seiner Tante in Magdeburg zu Besuch. Er möchte sie abholen und fährt mit der Straßenbahn ins Stadtzentrum. Er steigt aus - geht zu einer Ampel am Weihnachtsmarktgelände, um die Straße zu überqueren. Es ist die Stelle, an der der Attentäter mit seinem Auto auf den Weihnachtsmarkt einbiegt. Niclas wird von dem Fahrzeug erfasst. In dem Chaos nach dem Anschlag dauert es 21 Stunden, bis seine Eltern ihren Sohn in einer Klinik finden. Eine Horrorsituation. Wir haben jetzt - zwei Monate nach dem Anschlag - mit den Eltern von Niclas gesprochen.
Wie geht es Niclas aktuell?
Sonja Brauer: Ihm geht es relativ gut. Die haben für Niclas in der Vor-Reha einen speziellen Rollstuhl angefertigt, denn er darf sich nur bis zu 60 Grad beugen. Er hat noch Fixateure im Körper, das ist ein Implantat, das das Becken stabilisieren soll. Aber durch diesen speziellen Rollstuhl kann er jetzt auch nach draußen und sich das Rehagelände anschauen. Er hat momentan ab und zu noch eine depressive Phase - aber sonst geht es ihm eigentlich gut.
Wie geht es denn jetzt weiter für ihn?
![Das Bild zeigt einen Jungen, der in einem Bett im Krankenhaus liegt. Das Bild zeigt einen Jungen, der in einem Bett im Krankenhaus liegt. © privat](/nachrichten/niedersachsen/magdeburg226_v-contentgross.jpg)
Sonja Brauer: Am 13. März soll Niclas zurück zur Uniklinik nach Magdeburg. Einen Tag später, am 14. März, wird er dann operiert und dann soll er ab dem 15. März in die offizielle Reha. Da soll er dann wieder lernen, zu stehen, zu sitzen - einfach wieder zurück ins Leben finden. Aber wir wissen noch nicht, wie das alles klappen wird. Sie bewegen jetzt aktuell schon seine Beine etwas - damit beispielsweise die Muskeln nicht einschlafen. Sein linkes Bein kann er aktuell noch eine Minute oben halten - es dreht sich aber noch nach links, also so, wie es mal war, ist es noch nicht.
Was hatte er denn für Verletzungen?
Sonja Brauer: Sein Oberarm war gebrochen, da ist jetzt ein Nagel drin. Auch sein Becken war zweifach gebrochen, da sind jetzt eben diese Fixateure drin, um das zu stabilisieren. Am rechten Bein hatte er dazu noch einen offenen Bruch am Oberschenkel, auch da ist ein Nagel drin. Und sein rechtes Sprunggelenk war auch um 180 Grad verdreht. Beim linken Bein war zum Glück nichts gebrochen. Das musste aber auch wieder eingerenkt werden - da waren die Sehnen angeschlagen.
Wie haben Sie die Situation an dem Abend wahrgenommen?
Christian Brauer: Im Fernsehen lief ein Text durch, dass da in Magdeburg ein Anschlag war. Da war schon der Gedanke: Hat's Niclas erwischt, hat's Niclas nicht erwischt - das war immer im Hintergrund. Aber wir haben nicht damit gerechnet, dass es ihn jetzt wirklich erwischt hat - wir waren immer positiv gestimmt, dass Niclas nichts passiert ist, weil er ja bei seiner Tante war. Es war schon ein Scheiß-Gefühl - muss ich ganz ehrlich sagen - weil es so eine Ungewissheit war.
Was haben Sie in dem Moment gedacht, als Sie erfahren haben, Niclas ist unter den Verletzten?
Christian Brauer: Als die Polizei zu uns kam, haben sie gesagt: "Setzen Sie sich hin - wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht." Sie haben uns dann gesagt, dass Niclas lebt und er aktuell auf der Intensivstation liegt. Da war dann die erste Frage von uns natürlich: "Wie geht es ihm?" Wichtig war natürlich, dass er überlebt hat. Es hieß ja gleich: Intensivstation, Koma. Und da denkt man ja meistens immer das Schlimmste. Wichtig war für uns erst mal, dass er überlebt hat. Das andere kriegt man irgendwie auf die Reihe - wenn er behindert ist, das kriegt man auf die Reihe, aber wenn er tot ist, das ist das Schlimmste, was einer Familie passieren kann.
Was haben Sie gemacht, als Sie davon erfahren haben?
Christian Brauer: Wir haben am selben Tag, als uns die Polizei informiert hat, sofort rumtelefoniert und versucht, Sachen zu organisieren. Unser Gedanke war sofort: Wir müssen nach Magdeburg. Wir sind dann die Zeit, die Niclas hier in Magdeburg im Krankenhaus war, bei meiner Schwägerin zu Besuch gewesen.
Wie war das erste Gespräch mit Niclas?
Christian Brauer: Wir konnten zu Beginn nicht viel reden. Er lag ja an Schläuche angebunden im Bett. Wir konnten erst ein oder zwei Tage später mit ihm sprechen. Aber wie es aussah, als wir ankamen - das wünsche ich keinem.
Wie wichtig ist Ihnen, hier in Magdeburg nahe bei Niclas gewesen zu sein?
Christian Brauer: Es ist sehr wichtig. Er ist ja unser Kind - wir wollen die Nähe des Kindes. Wir haben zwar noch den Kleinen (Niclas Bruder), der uns jetzt etwas ablenkt oder Verwandte, die uns ein bisschen ablenken - aber trotzdem: Er ist unser Sohn und ich muss bei meinem Sohn sein, wir müssen bei unserem Sohn sein - und wenn er irgendwo anders gelegen hätte, wir wären überall hingefahren.
Es gab einen Spendenaufruf von Niclas Schule gemeinsam mit der Caritas. Wie haben Sie die Unterstützung von außen wahrgenommen?
Christian Brauer: Wir sind total dankbar für die Spenden - das ist unglaublich. Es sind auch Menschen auf uns zugekommen, die wir jahrelang nicht gesehen oder gesprochen haben - und die haben sich jetzt an uns gewandt und gefragt: Wie geht's Niclas? Oder auch: Wie geht es uns selbst damit? Ich finde das super.
Sie hatten im Vorgespräch auch das Thema Verantwortung angesprochen. Ist das bei Ihnen ein großes Thema?
Christian Brauer: Soweit ich weiß, hat keiner die Verantwortung übernommen.
Wie geht es Ihnen damit?
Christian Brauer: Schlecht. Denn wenn keiner Verantwortung übernimmt, kann man auch nichts ändern. Ich möchte jetzt keinem den schwarzen Peter zuschieben, aber jemand muss die Verantwortung übernehmen - um dann zu sagen: Das und das und das können wir später besser machen. Wenn ich keine Fehler einsehe, kann ich auch keine Fehler verbessern. Das ist bei uns so und das ist auch in diesem Fall so. Für mich hat die Regierung versagt und die Leute, die hier alles rund um den Weihnachtsmarkt geplant haben.
Das Interview führte Kevin Poweska, NDR.de.
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